Griechenland: Regierung vs Pressefreiheit

Foto: Wassilis Aswestopoulos

Massive Einschränkungen der Pressefreiheit als Durchführungsverordnung für künftige Demonstrationen. Einsätze der Polizei sollen von Journalisten weniger beobachtet werden können

Im antiken Griechenland gab es eine Tendenz, für alles, was mit den damals bekannten rationalen Mitteln nicht erklärbar war, eine eigene Gottheit einzuführen. Im modernen Griechenland heißt das Allheilmittel für alles, was die Regierung durchsetzen will, Polizei.

Nun möchte die Regierung sicherstellen, dass die Einsätze der Polizei von der Presse nicht beobachtet werden können. Das Demonstrations- und Versammlungsrecht wird weiterhin ausgehöhlt.

Die "Polizei des 21. Jahrhunderts"

Der griechische Minister für Bürgerschutz, Michalis Chrysochoidis, stellte am Donnerstagmittag im Rahmen einer über das Internet abgehaltenen Pressekonferenz eine Verwaltungsvorschrift für die Polizei vor. Im Anhang der Durchführungsverordnung für die jüngsten Demonstrationsgesetze finden sich Auszüge aus dem Strafrechtskodex.

Interessant ist dabei vor allem ein Auszug aus dem Artikel 169 des Kodex, in dem es um den Ungehorsam geht. Dort wird jeder Person, die sich gewaltlos weigert, einer polizeilichen Anordnung Folge zu leisten, eine Gefängnisstrafe von sechs Monaten oder eine Geldstrafe angedroht.

Teilnehmern einer Versammlung, welche Beamten oder Justizpersonal gegenüber Drohungen ausspricht oder gar Gewalt gegen diese Personen ausübt, droht eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren oder eine entsprechende Geldstrafe. Die Organisatoren einer solchen Versammlung werden mit mindestens drei Jahren Gefängnis bestraft.

Die drakonischen Strafen, die kollektiv sämtliche der versammelten Demonstranten einer Protestkundgebung treffen können, beruhen auf den von der Regierung Mitsotakis erlassenen Änderungen des Demonstrationsrechts. Die Veranstalter von Protestkundgebungen müssen sich über das Portal der Finanzämter anmelden und sind so direkt über den Fiskus für die finanzielle Haftung greifbar. Die auferlegten Strafen gelten, wenn sie nicht beglichen werden, als Steuerhinterziehung.

Neu ins Programm aufgenommen wurde die Legalisierung von präventiven Festnahmen im Vorfeld einer Versammlung, selbst wenn den für eine Kontrolle festgenommen Personen keine konkrete Straftat zur Last gelegt werden kann.

Chrysochoidis leitete seinen Plan mit dem selbsterklärten Ziel, die "Polizei des 21. Jahrhunderts" zu schaffen, ein. Darin wird dargestellt, wie die Polizei bei Demonstrationen vorgehen wird.

Schutzzonen für Journalisten

Unter Punkt "3.3. Präsenz und Schutz der Journalisten" heißt es dort:

Ein wichtiger Aspekt bei Versammlungen ist auch die Präsenz von Journalisten bei diesen. Die Präsenz der Journalisten im Rahmen von Versammlungen ist ein wesentlicher Bestandteil der neuen Planung. Mit dieser wird das Recht der Bürger zur Information, aber parallel auch, die ungestörte Durchführung polizeilicher Maßnahmen, insbesondere wenn es Ausschreitungen gibt, sichergestellt.

Im Sicherheitsplan der Versammlungen ist die Bewahrung der körperlichen Unversehrtheit der Journalisten, welche im Zentrum der Ausschreitungen sein können, enthalten. Aus diesem Grund können sie, abhängig von der jeweils vorherrschenden Situation, Kennzeichen und Schutzkleidung tragen.

Die Polizei wird eine Schutzzone für die Journalisten definieren und einer der Polizeioffiziere wird während der Versammlung als Verbindungsoffizier für die Kommunikation mit diesen fungieren. Ziel ist die Zusammenarbeit und das gegenseitige Verständnis.

Verwaltungsvorschrift für die Polizei

Das Szenario, dass die Polizei Journalisten und Pressefotografen in eine definierte Schutzzone verweisen kann, legte sofort die Vermutung nahe, dass es bei diesem Abschnitt des Plans um eine Kontrolle der Reportagen geht. Wenn sich Journalisten nicht mehr frei bewegen können, sind journalistische Augenzeugenreportagen kaum möglich.

Erst recht unmöglich sind Pressefotos von Ausschreitungen. Die vorgestellte Regelung erklärt nicht explizit, inwiefern der Verweis von Journalisten in die Sicherheitszonen obligatorisch ist. Es wird auch nicht erwähnt, welche Strafen Journalisten drohen, die einer polizeilichen Anweisung zum Trotz, weiterhin die Demonstration aus nächster Nähe beobachten.

Der Begriff des Polizeireporters als wortwörtliche Definition

In einem weiteren Abschnitt der Bestimmung erklärt das Ministerium unter "15. Strategische Kommunikation", dass die Deutungshoheit von Nachrichten bei Versammlungen der Polizei obliegt. Es heißt:

Die Operationen zur Wiederherstellung der Ordnung im Rahmen von öffentlichen Versammlungen sind für Massenmedien und Bürger von Interesse. In vielen Fällen wurde beobachtet, dass extreme Gruppen, welche Ausschreitungen auslösen, Desinformationen verbreiten oder mit Absicht unwahre Nachrichten, vor allem über das Internet, verbreiten.

Aus diesem Grund ist es besonders wichtig, dass eine extrovertierte und dynamische Kommunikation des Ministeriums für Bürgerschutz mit dem Zweck der Erklärung der Aktionen, insbesondere der außerplanmäßigen Operationen der griechischen Polizei, der Präsentation der Ereignisse und der Konfrontation der unwahren Nachrichten (fake news) existiert. Das kommunikative Management der Versammlung ist grundlegender Teil des operativen Plans und des Sicherheitsplans der zuständigen Polizeibehörde.

(…)

Die Mitarbeit der Massenmedien ist essenziell, daher wird das Ministerium für Bürgerschutz und die griechische Polizei ihnen alle notwendigen Informationen zur Verfügung stellen, so dass es eine verantwortungsbewusste Information der Bürger gibt.

Verwaltungsvorschrift für die Polizei

Mit anderen Worten, die Polizei, die in ihrem operativen Plan nun auch die optische Aufzeichnung der Demonstrationen per Foto und Video verankert hat, wird den Massenmedien ihr Material zur Verfügung stellen, während Reporter vor Ort in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt werden können.

Es liegt auf der Hand, dass polizeiliche "Reporter" für Medien, die nicht an einer eigenen Reportage vor Ort interessiert sind oder diese nicht bezahlen können, mit dem kostenlos gelieferten Material preiswerter sind als Agenturen oder freie Journalisten und freie Fotoreporter. Zudem können sie aus polizeilicher Sicht vollständigeres Material liefern.

Im Fall übermäßiger Polizeigewalt können Beweisfotos oder Beweisvideos per se als Fake News erklärt werden. Eine unabhängige Kontrolle der Polizeiarbeit mit journalistisch korrekten Methoden ist mit der vorliegenden Durchführungsverordnung der griechischen Polizei zumindest gefährdet, wenn nicht gar unmöglich.

Verfassungsmäßig sind Demonstrations- und Versammlungsrecht in Griechenland als Grundrechte verankert. Sie sind nur in zwei Ausnahmefällen, bei drohender Gefahr für die Öffentliche Sicherheit, einschränkbar. Über die Einschränkungen entscheidet laut Verfassung das Parlament.

Dieses wurde bereits am 17. November 2020 und am 6. Dezember 2020 übergangen, als mit Berufung auf die CoVid19 Pandemie vom Polizeichef Griechenlands sämtliche Versammlungen von mehr als drei Personen untersagt wurden.

Seinerzeit berief sich das Ministerium für Bürgerschutz auf eine Empfehlung des Rats der Virologen, der während der Pandemie die Maßnahmen zur Eindämmung der Infektionszahlen vorschlägt. Es stellte sich heraus, dass es seitens des Rats der Virologen keinerlei einschlägige Empfehlungen für die angemeldeten Demonstrationen des 17. Novembers oder des 6. Dezembers gab. Das Ministerium hatte die Öffentlichkeit nachweislich belogen. Konsequenzen gab es keine.

Die vorliegende Durchführungsverordnung basiert auf bereits erlassenen Gesetzen. Sie muss daher nicht noch einmal durchs Parlament.

Reaktionen

Wie nicht anders zu erwarten, löste die Vorstellung der umstrittenen neuen Regeln Proteste seitens der Oppositionsparteien aus. Die Partei von Yanis Varoufakis, MeRa25, sieht im Plan einen "weiteren Schritt zur Orbanisierung".

Die kommunistische Partei titelte ihre Stellungnahme mit "Ziel ist es, die gegen die Bevölkerung gerichtete Politik 'mit Feuer und Eisen' durchzusetzen - Die Unterdrückung wird nicht gelingen!".

Die sozialdemokratische KinAl, früher Pasok, der Chrysochoidis lange Jahre als Abgeordneter und Minister gedient hatte, sieht im Plan einen billigen PR-Trick, der von den eigentlichen Problemen ablenken soll.

Für die größte Oppositionspartei des Landes, Syriza, ist der Plan eine "Rückkehr nach 1961". Die Partei verweist damit auf eine Periode der jüngeren griechischen Geschichte, in der die damaligen Polizeibehörden des Landes systematisch Sozialdemokraten und Linke verfolgten, körperlich angriffen und in der es auch zu Todesfällen kam. Damals regierte die Vorgängerpartei der Nea Dimokratia, ERE. Die ERE, Ethniki Rizospastiki Enosi (Nationale Radikale Vereinigung) war die Partei des Gründers der Nea Dimokratia, Konstantinos Karamanlis.

Die journalistischen Verbände des Landes protestierten innerhalb einer Stunde nach Bekanntgabe der neuen Maßnahmen. Die größte Journalistengewerkschaft Esiea rief in einem gemeinsam mit dem Verband der Pressefotografen verfassten und später auch von der Vereinigung der Auslandskorrespondenten unterschriebenen Brief den Minister zum Dialog auf.

Foto: Wassilis Aswestopoulos

In diesem Schriftstück äußern die Verbände:

"Widerspruch und Besorgnis über den neuen Nationalen Plan für die Verwaltung öffentlicher Versammlungen im Freien, den Sie in Bezug auf die Rolle und Anwesenheit von Journalisten bei öffentlichen Versammlungen vorgestellt haben. Mit der "Abgrenzung" von Journalisten, wie sie sich im obigen Plan widerspiegelt, erhält die Informationsfreiheit der Bürger, eine der Säulen der Demokratie, einen schweren Schlag. Um alle wichtigen Fragen des Plans zu klären, möchten wir uns so bald wie möglich mit Ihnen treffen."

In der Folge musste sich Chrysochoidis im Fernsehen den kritischen Fragen von Journalisten stellen. Chrysochoidis betonte immer wieder, dass seine Maßnahmen dem Schutz von Journalisten und Bürgern dienen sollten.

Während der Nachrichtensendung des Senders Mega TV konfrontierte ihn die Nachrichten-Anchorwoman Rania Tzima mit Videoaufnahmen einer Demonstration. Gezeigt wurde, wie Polizisten einem wehrlos am Boden liegenden Demonstranten mit Stiefeln gegen den Kopf traten. Chrysochoidis wich aus und verwies darauf, dass einzelne Bildersequenzen kein vollständiges Bild des Geschehens zeigen könnten.

Tzima beharrte auf eine Antwort auf ihre Frage, wie der Minister die offensichtliche übermäßige und unnötige Gewaltanwendung der uniformierten Bürgerschützer kommentieren würde. Chrysochoidis konterte, "wieso fragen sie so intensiv? Sind sie der Bürgerobmann?".

Zu später Stunde kam vom Ministerium eine Presserklärung zum Thema:

Nach den Ankündigungen von Berufsverbänden von Journalisten und Fotojournalisten bezüglich der heutigen Präsentation des Nationalen Plans für die Verwaltung öffentlicher Außenversammlungen wird Folgendes klargestellt:

1) Journalisten - Fotojournalisten können nach Belieben berichten und bei einer Versammlung dorthin gehen, wo sie möchten.

2) Außerdem wird vor der Versammlung ein Schutzort festgelegt, damit sie wissen, dass sie freiwillig Zuflucht suchen können, wenn sie im Falle von Zwischenfällen geschützt werden möchten.

3) Der Korrespondenzoffizier für Journalisten/Fotojournalisten ist so definiert, dass diese sich jederzeit an ihn wenden und um Hilfe bitten können, wenn sie sich in Gefahr fühlen oder wenn eine Bedrohung oder Verletzung vorliegt.

Es ist klar, dass die oben angekündigten Maßnahmen, die heute angekündigt wurden, nur Schutzmaßnahmen mit rein optionalem Charakter für Journalisten/Fotojournalisten sind.

Jede andere Interpretation ist, wenn nicht gar beabsichtigt, zumindest missbräuchlich.

Stellungnahme der griechischen Regierung

Bei der Presseerklärung des Ministeriums handelt es sich jedoch nur um eine Stellungnahme. Eine entsprechende Änderung der Durchführungsverordnung, in welcher die fraglichen Maßnahmen erwähnt werden, wurde nicht angekündigt.

Griechenland hat 320 Personen medizinisches Personal pro 100.000 Einwohner in privaten oder öffentlichen Einrichtungen. Demgegenüber stehen 500 Polizisten pro 100.000 Einwohner. Seit Jahresbeginn wurden zwei weitere Polizeieinheiten angekündigt. 1.000 neu einzustellende Uniformierte sollen die seit März 2020 wegen der Pandemie faktisch geschlossenen Hochschulen des Landes überwachen. Ziel ist es, die politische Betätigung von Studenten einzuschränken.

Eine noch unbekannte Anzahl von Polizisten soll eingestellt werden, um die öffentlichen Verkehrsmittel des Landes zu überwachen. Chrysochoidis kündigte am Donnerstag eine weitere neue Einheit unbekannter Stärke an. Diese soll für die Festnahmen bei öffentlichen Versammlungen zuständig sein.

Interessantes Detail am Rande ist, dass der heute regierende Premierminister Kyriakos Mitsotakis 2013 als Minister für Verwaltungsreform 1349 Beschäftigte aus dem Staatsdienst entließ. Deren Aufgabe war es, als nichtbewaffnete Wächter die Universitäten zu schützen.

Es handelte sich um eher schlecht bezahlte Angestellte, die keinerlei polizeiliche Befugnis hatten. Mitsotakis, der sich seinerzeit dem Sparplan unterworfen hatte, erschien ihre Tätigkeit unnötig.