Griechenland: Vorbei die Zeiten der Solidarität

Seite 2: Ansteigende Zahlen

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Die griechische Regierung kann Zahl der Asylbewerber nicht mehr bewältigen. Innerhalb der letzten sechs Monate kamen knapp 45.000 neue Bewerber ins Land.

In Mitsotakis Wahlkampf waren die Flüchtlinge eines der Themen, für das der jetzige Premier schnelle und effektive Lösungen versprach. Für 2020 geht die Regierung nun von einer Zahl in der Größenordnung von 100.000 neuen Asylbewerbern aus. Mit dem jetzigen Verfahren, diese zunächst auf den Inseln, auf denen sie ankommen, zu lassen, würde die Zahl der dort Verbleibenden stetig steigen.

Nach internationalem Recht illegale Push-Back Aktionen, wie sie Anfang Dezember vom Spiegel mit einem geleakten Video belegt wurden, sind für die Anhänger der Regierungspartei kein Makel, sie wünschen sich vielmehr, dass diese Aktionen in größerem Maß und systematischer durchgeführt würden.

Bei den Push-Back-Aktionen, über die es bereits während der Regierungszeit von Alexis Tsipras vereinzelte Berichte in griechischen Medien gab, werden in Griechenland aus der Türkei ankommende potentielle Asylbewerber zunächst durch Beschlagnahme ihrer Habe mittellos gemacht und dann wieder in die Türkei gebracht.

Die ankommenden Menschen haben während der gesamten, oft mit Gewalt verbundenen Aktion, keine Gelegenheit, einen Asylantrag zu stellen. Diese Aktionen finden in Gebieten statt, in denen neben der griechischen Polizei, der griechischen Wasserschutzpolizei und dem griechischen Militär auch Frontex tätig ist.

Politische Ideologien verschieben sich nach rechts

Noch 2015 hätte das Bekanntwerden solcher Aktionen einen öffentlichen Aufschrei hervorgerufen. Damals war das vorherrschende Narrativ der Schutz der Menschen und die Bewältigung einer von Tsipras oft zitierten "humanitären Krise".

Tsipras sprach bei jedem sich erbietenden Anlass von der Philoxenie der Griechen und lobte diese für ihre Solidarität gegenüber den gemäß seiner Theorie von der EU im Stich gelassen Schutzwürdigen. Die Griechen erlebten gleichzeitig die volle Härte der Kreditgeber, die mit allen Mitteln eine Fortsetzung des Spardiktats erzwingen wollten.

Heute ist die Ausgangssituation anders. Mitsotakis präsentiert seine Regierung als Symbol des wirtschaftlichen Aufschwungs, der Griechenland, anders als dem von Rezession bedrohten übrigen Europa, blühen würde. Hinsichtlich der Asylbewerber wählt Mitsotakis selbst eine moderate Sprache. Er betont gern, dass wirklich in Not geratene Menschen das Anrecht auf Schutz hätten. Demgegenüber möchte er die Personengruppe, die er zu den "Wirtschaftsflüchtlingen" zählt, schnellstmöglich abschieben.

In seiner Partei, der zur Europäischen Volkspartei gehörenden Nea Dimokratia, ist Mitsotakis mit seiner Rhetorik ziemlich einsam. Aus den eigenen Reihen gibt es Äußerungen, welche in Deutschland keineswegs bei der Schwesterpartei CDU, sondern vielmehr bei der AfD angesiedelt werden könnten.

Es handelt sich um den rechtsnationalen, konservativen Flügel der Nea Dimokratia. Einer ihrer Sprecher ist der frühere Journalist und jetzige Parlamentarier Constantinos Bogdanos.

Constantinos Bogdanos, links im Bild. Foto: Wassilis Aswestopoulos

Gemäß Bogdanos Theorie sind die Asylbewerber nicht nur vom türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan gen Europa geschickte, als Erpressungsmittel eingesetzte Menschen, er stellt zudem einen Zusammenhang mit einer seiner Meinung nach existierenden Verschwörung der Linken dar. Was für ihn links ist definiert Bogdanos in einem Interview mit dem zypriotischen Medium Reporter.

Von den Linken, insbesondere den Modernen, haben wir nichts zu erwarten. In fünf Jahren haben sie in Griechenland mehr Schaden angerichtet, als sich ein Mensch vorstellen kann. Aber sie machen das nicht nur in Griechenland. Der Wirbelsturm der neuen Linken fokussiert sich, nachdem er auf dem Gebiet der Wirtschaftspolitik krachend gescheitert ist, auf Menschenrechtsfragen, wie die in vieler Hinsicht gerechtfertigten Forderungen der LGBTQ+, wie die weltweite ökologische Bewegung, wie die Migration, so dass das Gebiet der ideologischen Auseinandersetzung verlegt wird - eben weil sie in der Wirtschaftspolitik weltweit besiegt wurde.

Die Tatsache, dass die Linke die nationale Identität ausverkauft, reißt unseren Gesellschaftssystemen die Fundamente ein, so dass ein kultureller Marxismus (sic) auferlegt wird, weil der wirtschaftliche Marxismus scheiterte, ist eine der großen Probleme, denen wir uns Aug in Aug stellen müssen. Wir müssen aufhören diesbezüglich Kompromisse zu machen. Wir können nicht so tun, als ob wir nicht merken würden, was die neue Linke weltweit macht. Angefangen bei den Demokraten der USA, über die Labour-Party Großbritanniens, über die New Left hin zu den faschistischen Antifa (sic), die mittlerweile weltweit operieren. Die Invasion der Migrantionsbevölkerungen ist ein Teil von deren Agenda.

Constantinos Bogdanos

Mit Stellungnahmen wie dieser gewinnt Bogdanos seine zunehmend größere Anhängerschaft. Als Fernseh- und Radiojournalist erfreute er sich über lange Jahre eines hohen Zuspruchs seiner Hörer und Zuschauer. Bogdanos schreckt auch im Parlament nicht davor zurück, den mit Verschwörungstheorien aller Art verbundenen Kampfbegriff der neuen Rechten, "kultureller Marxismus", zu verwenden.

Dabei ist Griechenland jedoch alles andere als auf dem Weg in eine linke Gesellschaft. Seine Parteigenossen, auch die gemäßigteren Vertreter, grenzen Bogdanos nicht aus. Die größte Oppositionspartei des Landes, Syriza, befindet sich auf dem Weg ins politische Zentrum. Jüngst hat Tsipras für die Erneuerung seiner Partei mehr als 100 prominente Vertreter der PASOK und des national gesinnten Zentrums für eine programmatische Kommission rekrutiert.

Bei der Parlamentsdebatte zum Wahlrecht für Auslandsgriechen zeigte sich schließlich, dass auch Varoufakis Partei MeRA25 ihre Definition der griechischen Staatsbürgerschaft an das Jus sanguinis, das Abstammungsprinzip koppelt.

Im Parlament kann Tsipras die Flüchtlingspolitik seines Nachfolgers nicht unwidersprochen kritisieren. Schließlich war er es, der den Pakt der Europäischen Union mit der Türkei akzeptierte. Unter Tsipras wurden die Lager auf den Inseln, die so genannten Hotspots errichtet.

Die nun von Organisationen wie Human Right Watch geäußerten Sorgen über das Schicksal von unbegleiteten minderjährigen Asylbewerbern gab es bereits zu Tsipras‘ Regierungszeit. Schließlich wurde die Regierung Tsipras diesbezüglich noch während seiner Amtszeit im Juni vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gerügt.

Grenzen dicht machen und möglichst schlechte Unterbringung bieten

Die Regierung möchte nun zumindest die Landgrenze zur Türkei möglichst dicht machen. Zu diesem Zweck wird ein neuer Zaun mit Stacheldraht entlang der Grenze, aber auf griechischem Gebiet installiert. Sinn ist es offenbar, diejenigen, die es über den vor allem im Winter gefährlichen Grenzfluss Evros nach Griechenland schaffen, im Niemandsland vor dem Zaun gefangen zu halten, so dass außer einer freiwilligen Rückkehr in die Türkei, keine weitere Option bleibt.

In der unwirtlichen Gegend kommen durch die Witterungsbedingungen immer wieder Asylbewerber ums Leben. Zuletzt wurden am 7. Dezember zwei junge erfrorene Frauen gefunden.

Die Bewohner der Grenzdörfer wehren sich dagegen, dass sie außer dem Zaun zusätzlich noch einen neuen, geschlossenen Hotspot für Asylbewerber bekommen sollen. An anderen Orten sind es Minister selbst, welche Tipps für die Vermeidung von Anreizen für Asylbewerber geben. So hatte am Samstag letzter Woche auf Kreta der ministerielle Staatssekretär im Verteidigungsministerium, Alkiviadis Stefanis, der gleichzeitig Koordinator der Regierung für Flüchtlinge und Migranten ist, den Kretern dringend abgeraten, das Beherbergungsprogramm ESTIA fortzuführen.

Mit diesem Förderprogramm wird häuslicher Wohnraum auch für Flüchtlinge hergerichtet. Damit, so Stefanis, würde man falsche Signale aussenden und die Asylbewerber förmlich zum Kommen einladen. Er setzt lieber auf Abschreckung durch schlechte Unterbringung.