Griechenland: Wie viel Macht hat das Volk?

Demonstranten fordern Reformen und eine Abschaffung der etablierten Parteien, Regierung und Opposition treiben politische Spielchen

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Mit einem ironischen Ständchen zum Geburtstag des Premiers Georgios Papandreou feierten die "Wutbürger" Griechenlands am Donnerstag den 23. Tag der anhaltenden Besetzung des Syntagmaplatzes. Papandreou wurde am Tag des in der orthodoxen Kirche heiligen Mnimonios Amathountos 59 Jahre alt. Mnimonio (μνημόνιο) ist gleichzeitig das griechische Wort für ein Memorandum. Die Aufkündigung des IWF-EU-EZB Memorandums ist das Ziel der Demonstrationen. Belege für eine gesteuerte Provokation der Krawalle vom vergangenen Mittwoch kursieren als Geburtstagsgeschenk für den Premier im Internet.

"Was hat Stan Laurel mit Georgios Papandreou gemeinsam?", fragte ein Demonstrant gestern auf dem Syntagmaplatz. "Beide wurden am 16. Juni geboren und wirken in ihren öffentlichen Auftritten unbeholfen. Laurel jedoch brachte die Menschen zum Lachen, Papandreou aber bringt sie zum Weinen."

Seine Geburtstagsfeier hatte sich Georgios Papandreou sicherlich anders vorgestellt. Sein Versuch, die aktuellen sozialen Spannungen im Land durch massiven Polizeieinsatz (Athen: Randale auf Bestellung?) und mediale PR-Tricks, wie Scheinrücktritte, zu beruhigen, ist abermals gescheitert.

Als sich während der Athener Krawalle am Mittwoch die Nachricht verbreitete, dass Papandreou zurückgetreten sei, begannen erste Feiern der selbsternannten Wutbürger. In Medien diskutierten Politikjournalisten, Politiker und Wirtschaftsexperten über mögliche Nachfolger. Zwischenzeitlich kommentierte Noch-Regierungssprecher Georgios Petalotis die ungewisse Lage mit einer schwammig formulierten Bestätigung des von Papandreou gegenüber dem Oppositionsführer Antonis Samaras gemachten Rücktrittsangebots. Die Berater Samaras ließen durchblicken, dass es nun eine "Regierung der nationalen Rettung" geben würde.

Obama: "yes, we can!" - Papandreou: "no, we can't!"?

Der Spuk dauerte knapp sechs Stunden bis Papandreou mit zweistündiger Verspätung vor die Fernsehkamera schritt. Der Premier beschuldigte Samaras, dass dessen mediale Ausnutzung des Rücktrittsangebots sowie bestimmte Forderungen den Deal zunichte gemacht hätten. Papandreou versicherte, er werde am Donnerstag eine massive Regierungsumbildung vornehmen und direkt danach ein Vertrauensvotum einfordern.

Abermals blieb als zentrales Resümee der zweiten Ansprache das gleiche Ergebnis wie in einem am 10. Juni ähnlich dramatisch angekündigten und ebenfalls mit Verspätung erfolgtem medialen Appell zum gleichen Thema. Papandreou versprach bereits vor einer Woche, er werde seine Mission für die Durchführung des neuen Sparpakets allein durchführen und sei auf keinerlei Unterstützung angewiesen. Schon Anfang Juni stand der Premier unter doppeltem Druck. Die Sonntagskundgebung der Wutbürger hatte die magische Grenze von 500.000 Teilnehmern überschritten und blieb darüber hinaus friedlich. EU-Kommissar Olli Rehn drängte immer stärker auf eine Einigung der griechischen politischen Parteien.

Samaras bestätigte bereits wenige Minuten nach Papandreou mit seiner Fernsehansprache erneut die kursierenden Szenarien. Der durchaus umstrittene Konservative machte erneut einen populistischen Punkt gegen seinen ehemaligen Kommilitonen Papandreou. "Warum", fragte er, "besteht der Premier einerseits auf der Notwendigkeit einer Allparteieneinigung zu seinen Bedingungen und postuliert andererseits seine Fähigkeit, allein weiter regieren zu können? Entweder kann er allein regieren oder nicht. Bettelt er jedoch um Unterstützung, dann beweist er selbst sein Unvermögen."

Samaras verfolgt mit dieser Methode die gleiche Taktik, die Papandreou 2009 auf den Ministerpräsidentenposten brachte und Samaras Vorgänger im Parteivorsitz der Nea Dimokratia stürzte. Kostas Karamanlis hatte zur Wahl 2009 ein umfangreiches "Sparpaket zur nationalen Rettung" angekündigt und Papandreou um Mithilfe gebeten. Wegen der "unsozialen, wirtschaftlich unsinnigen Sparmaßnahmen" lehnte Papandreou ab. Er wollte vielmehr mit einem auf erneuerbare Energiequellen basierenden Wunderprogramm einen Wirtschaftsboom auslösen.

Nun schlägt der konservative Politiker Samaras sozialistische Töne an und überholt damit seinen Gegenpart von links. Als Argumentationshilfe dient Samaras ein "Zappeio II" genanntes Programm, mit dem er bei massiven Steuersenkungen für Bürger und Unternehmer in Rekordzeit ein Paradies schaffen möchte. Nicht nur in der ausländischen Presse kommen solche Phrasen immer weniger an. Kommentare verweisen mit einer durchaus überspitzten Argumentationsweise darauf, dass Griechenlands Politiker das Problem sind.

Zum gleichen Schluss kommen die Wutbürger. Trotz bunter, parteiloser Zusammensetzung befürworten sie in allnächtlich abgehaltenen Diskussionsrunden notwendige Reformen und fordern eine komplette Abschaffung der bisher etablierten Parteien. Papandreou mischte sich, als er selbst noch Oppositionsführer war, gerne unter Demonstranten. Samaras kann sich solch einen Schritt nicht zutrauen. Er würde beim Bad im Volk sicher von den ansonsten friedlichen Demonstranten verprügelt werden. Trotzdem wies Samaras auch in seiner Rede darauf hin, dass die Griechen in ihrer Mehrzahl gegen den aktuellen Politikkurs sind.

Graffiti gegen Papandreou: "Mit Eurem Willen habt ihr das Land in ein Bordell verwandelt." Bild: W. Aswestopoulos

Kabinettsumbildung am Donnerstag? Pardon, wir haben ein technisches Problem

Dass die Proteste Wirkung zeigen, beweist die überstürzt angekündigte Neubildung des griechischen Ministerrats. Papandreou musste erneut einen bereits angekündigten Termin verschieben. Statt am Donnerstag soll nun am Freitagmorgen die neue Regierungsmannschaft vorgestellt werden. Für den Mittag ist die Vereidigung angesetzt.

Gerüchte aus den üblichen wohl informierten Kreisen besagen, dass der Posten des Finanzministers Niemandem genehm sei. Es gäbe Probleme, politische Gleichgewichte zu wahren. Außerparlamentarische Wirtschaftsexperten und Banker, die als Wunschkandidaten Papandreous gelten, sträuben sich gegen den Schleudersitz. Darüber hinaus muss Papandreou nach einer fraktionsinternen Revolte auf seine persönlichen Freunde im Kabinett verzichten. Die nicht mit dem Premier verwandte Vasso Papandreou, Ex-EU-Kommissarin und mehrmalige Ministerin, forderte öffentlich von ihrem Parteichef: "Hör endlich auf, mit Deinen Kumpels zu regieren."

Papandreou hat sein "neues" Kabinett vorgestellt. Neun Minister scheiden aus, meist wurden aber nur Posten ausgetauscht.

Verteidigungsminister Evangelos Venizelos wird den unbeliebten Posten des Finanzministers einnehmen und soll die Sparmaßnahmen durchsetzen. Der wegen der Sparmaßnahmen in Griechenland unbeliebt gewordene Finanzminister Giorgos Papaconstontinou wird Umwelt- und Energieminister, dafür scheidet Tina Birbili scheidet aus dem Kabinett. Stavros Lambrinidis, ein Vertrauter Papandreous und Abgeordneter im EU-Parlament, wird Außenminister. Mit Arbeitsministerin Louka Katseli, die den Finanzminister und die Troika vielleicht zu viel kritisiert hatte, tritt eine weitere Frau zurück und wird ersetzt durch Yiannis Koutroumanis. Der Regierungssprecher Giorgos Petalotis wird durch Elias Mossialo ersetzt und soll wohl so auch mit einem neuen Gesicht den an sich kaum viel versprechenden Neuanfang besser verkaufen.

Statt wie in der Fernsehansprache angekündigt "noch vor Ende der Woche" soll die Vertrauensfrage nun am kommenden Dienstag gestellt werden. Der EU-Gipfel zur Griechenlandkrise am Wochenende findet somit mit einer ungewissen griechischen Regierung statt.

Proteste gehen weiter

Die vor dem Parlament kampierenden Protestler lässt die Tagespolitik kalt. "Aus den 23 Tagen können leicht 23 Wochen oder 23 Monate werden", meinte einer der Teilnehmer, "wir gehen erst, wenn die gesamte verlogene Räuberbande mitsamt ihrem Memorandum weg ist."

Für das Wochenende wurden erneut Großdemonstrationen angekündigt. Die offenbare Panik der politischen Elite sorgt bei den Demonstranten für erste zaghafte Triumphgefühle. Sie sind besonders stolz darauf, dass die Besetzung des Syntagmaplatzes nicht durch die gewalttätigen Ausschreitungen vom Mittwoch unterbrochen werden konnte. In Eigenregie haben die Aktivisten den Platz vom Abfall der Randale gesäubert. Penibel achten sie dabei auf Mülltrennung.

Nachdem auch zahlreiche Oppositionspolitiker sowohl der Linken als auch der Rechten, die Ausschreitungen als staatlich provozierte Gewalt identifiziert haben, bringen einige Aktivisten nun Videos in Umlauf, die eine Fraternisierung der Polizei mit vermummten Aufrührern zeigen. Darüber hinaus kursieren Polizeiausweise, die nach Angaben der Demonstranten von identifizierten Polizisten in Zivil stammen sollen.

Hinsichtlich einer schnellen Lösung der Finanzkrise verweisen die Wutbürger auf ein einfaches, aber noch utopisch erscheinendes Konzept. Sie möchten mit einer detaillierten Überprüfung der Staatsschulden herausfinden, welche Forderungen der Gläubiger gerechtfertigt sind. Schmiergelder, da sind sich alle einig, gehören ebenso wenig zu den berechtigten Forderungen wie die durch dubiose Deals angefallenen Schulden samt ihrer Zinsen.

Darüber hinaus verlangen die Demonstranten, dass allen voran die wirtschaftliche Situation der bisher regierenden Politiker überprüft wird. Es ist wahrscheinlich, dass sie bei vielen Politikern fündig werden. Nur durch Abgeordneten- und Ministerdiäten lassen sich all die Reichtümer nicht erklären.

Die aktuell fehlenden Milliardensummen werden die Aktivisten jedoch zumindest bei den Politikern nicht eintreiben können. Interessant ist, dass sich die übrigen Forderungen der Demonstranten nach demokratischen Freiheiten und Mitbestimmung exakt mit den ursprünglichen Idealen der nun regierenden Generation decken. Die meisten von Papandreous Ministern sind selbst ehemalige Aktivisten, die in den Jahren 1967 bis 1974 gegen die damalige Militärregierung protestierten. Noch regieren die basisdemokratischen Komitees nicht. Jedoch werden sie vor allem für kleinere Parteien immer interessanter. Nach der linken Syriza buhlen nun auch die Kommunisten um die Gunst der Protestler. Rechte Parteien haben es auf die "patriotischen Aktivisten" abgesehen.