Griechenland: Wintereinbruch erwischt den Staat kalt
Seite 2: Ein neues Ministerium mit einem Auslandstransfer als Minister
- Griechenland: Wintereinbruch erwischt den Staat kalt
- Ein neues Ministerium mit einem Auslandstransfer als Minister
- Entschädigungen, aber mit Fallstricken
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Das nach der Brandkatastrophe des Sommers neu geschaffene Ministerium "für die Klimakatastrophe und den Zivilschutz" steht aktuell selbst unter Druck. Der Vorwurf des Versagens steht im Raum. Der mit hohen Vorschusslorbeeren als Minister berufene und dafür extra eingebürgerte zypriotische Politiker und frühere EU-Kommissar Christos Stylianides muss eingestehen, dass nichts nach Plan lief.
Er schiebt, ebenso wie Premierminister Kyriakos Mitsotakis, die Schuld allein auf die private Autobahngesellschaft. In seiner Ansprache vor der Kabinettssitzung am Mittwoch entschuldigte sich Mitsotakis bei den Bürgern, "die auf der Attiki Odos eingeschlossen waren". Die Tage zuvor war der Premier öffentlich nicht in Erscheinung getreten.
Kein Wort der Entschuldigung gab es für die Tausenden, die anderswo in der Hauptstadt feststeckten. Denn auch auf der Messogeion Avenue mitten in Athen ging nichts mehr. Die weiter auswärts gelegene Marathon Avenue hatte sich ebenfalls in einen großen eingeschneiten Parkplatz verwandelt. Die steile Katechaki Avenue war wegen Schneeglätte gesperrt. Auf diese Straßen angesprochen, kommentierte Regierungssprecher Giannis Oikonomou frech, der Staat habe für diese öffentlichen Straßen keine Zuständigkeit.
Formaljuristisch hat Oikonomou recht, sollte er mit "Staat" seine Regierung meinen. Die Zuständigkeit für die großen Verkehrsadern in der Hauptstadt liegt beim Regionalgouverneur von Attika, Georgios Patoulis. Dieser gehört ebenso zur Regierungspartei Nea Dimokratia, wie der für die ebenfalls unpassierbaren Nebenstraßen in Athen verantwortliche Bürgermeister Kostas Bakoyiannis. Letzterer ist Neffe des aktuellen Premiers.
Ohne Patoulis direkt zu erwähnen, gab es für ihn Kritik und Schuldzuweisungen von Mitsotakis. Bakoyiannis hingegen wurde bislang verschont.
Patoulis hat es im Vorfeld mit der Eigenwerbung jedoch arg übertrieben. Er ließ vor dem Sturmtief Pressemeldungen ausgeben und zeigte darin monströse Schneeräumfahrzeuge, die bei einer Übung am Wochenende getestet wurden. Patoulis selbst posierte im Kontrollzentrum als Macher hinter den Kulissen.
Als der Schnee dann fiel, war keines dieser Fahrzeuge auf den Straßen. Patoulis selbst hatte seine offiziellen Profile in sozialen Netzwerken abgeschaltet und war verschwunden. Die Zeitung Dokumento veröffentlichte am Mittwoch einen Artikel, demgemäß nur drei der achtzig gezeigten Fahrzeuge der Regionalregierung gehören würden, die übrigen seien Eigentum privater Firmen. Was tatsächlich die offensichtlich nicht bestehende Einsatzbereitschaft ausgelöst hat, ist noch nicht geklärt.
Seit der Staatspleite 2010 wurden der regionalen und kommunalen Selbstverwaltung mit sogenannten Reformen immer mehr Zuständigkeiten auferlegt, ohne dass die dafür erforderliche Budgetierung gesichert wurde.
Niemand fühlte sich zuständig, die feststeckenden Menschen über das wahre Ausmaß der Lage zu informieren. Sie erfuhren, wenn überhaupt, nur über das Radio, dass es angebliche ausgearbeitete Rettungspläne gäbe.
Gerade die Attiki Odos, vorher als "sicherste Straße Griechenlands" gerühmt, erwies sich als Falle. Um auch nach dem Verlassen des Fahrzeugs von der Straße wegzukommen, sind kilometerweite Fußwege erforderlich. Wege, die für Kranke, Schwangere und Ältere kaum zu bewältigen waren.
Anhaltendes Chaos in der Hauptstadt
Am Mittwochabend steckten immer noch hunderte Fahrzeuge rund um die Hauptstadt, und nicht nur auf der Attiki Odos, fest. Der Bürgermeister des Athener Vororts Agia Paraskevi erklärte im Fernsehen, dass er hoffe, dass die Autos bis Freitagabend weg, und die Straßen dann frei wären.
Das Problem ist, dass viele der Fahrzeuge nach Stunden im Schneegestöber keinen Treibstoff mehr haben, oder zum Teil auch weitere Pannen erlitten. Nach dem Schneefall folgte ein Temperatursturz mit Dauerfrost, der den nicht geräumten Schnee in massive Eisblöcke verwandelte.
Rund um die Hauptstadt ist in vielen Orten der Strom ausgefallen. Techniker des Netzbetreibers DEDIE / Hellenic Electricity Distribution Network Operator können erst zu den betroffenen Orten vordringen, wenn die Straßen frei sind.
Auch hier liegt der Fehler im System. Nur etwa zehn Prozent der Stromleitungen des Landes verlaufen unterirdisch. Wenn nun in den urbanen Vororten von Athen oder im übrigen Land ein Unwetter Bäume oder Äste abreißt, ziehen diese Stromkabel mit sich. In Folge müssen die Stromtechniker immer erst darauf warten, bis die jeweils zuständige Behörde die Hindernisse beseitigt.
Als das Stromnetz noch ebenso staatlich war wie die Wartung der Straßen, gab es weniger Kompetenzgerangel und im Zweifel beherzt Straßen räumende Stromtechniker.
Kein ÖPNV, keine Autobahn? Gestrandet im Terminal
Das Schneegestöber sorgte für die Sperrung der Attiki Odos, die gleichzeitig die Zubringerstraße zum internationalen Flughafen von Athen ist. Auch der Schienenverkehr zum Flughafen wurde eingestellt. Abreisende erreichten ihre Flüge nicht, während Ankommende am Flughafen feststeckten. Für sie gab es ebenfalls kaum Versorgung.
Sie wurden mit Zehn-Euro-Essensgutscheinen abgespeist und mussten im Terminal übernachten. Offenbar fiel niemand, der Verantwortlichen ein, dass es direkt neben dem Flughafengebäude ein großes Hotel gibt.
Im Flughafen strandeten zudem Menschen, die ihre Autos auf der Attiki Odos gelassen, und sich durch das Schneegestöber zu Fuß auf die Suche nach Obdach begeben hatten. Für sie gab es weder trockene Kleidung noch sonstige Hilfe.
Noch schlimmer erging es Zugpassagieren, die von Athen nach Thessaloniki und umgekehrt unterwegs waren. Rund 800 Menschen steckten bei Oinoi fest. Beim Zug nach Thessaloniki, war die Räumvorrichtung der Lok defekt. Eine Reinigungslok sollte Abhilfe schaffen, geriet aber ins Rutschen und fuhr in einen Wagon des voll besetzten Zuges rein, wodurch zwanzig Personen zum Teil schwer verletzt wurden. Deren Rettung gestaltete sich zu einem weiteren Abenteuer, weil die Zufahrtsstraßen zum Bahnhof nicht befahrbar waren. In beiden Zügen war derweil der Strom und damit die Heizung ausgefallen.
Weil es weder Wasser noch Nahrung gab, riet ein Zugführer den Eingeschlossenen doch zu den Häusern von Oinoi zu gehen und dort um Essen zu betteln. Rund 45 Passagieren gelang es, auf eigene Kosten einen Tourismusbus zu chartern, der sie am nächsten Morgen am Bahnhof abholte.