Griechenland verabschiedet die Troika

Seite 2: Varoufakis Argumentationskette

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Der griechische Finanzminister möchte gegen das den Griechen auferlegte Spardiktat vor dem Europäischen Gerichtshof klagen. Er mag nicht einsehen, warum ein deutscher Arbeitgeber eine Strafe zu zahlen hat, wenn er bei der Einstellung von Personal nach Alter auswählt, sein griechisches Pendant hingegen Personen unter 25 Lebensjahren um ein Viertel schlechter bezahlen muss. Zudem wurde in Griechenland die Tarifautonomie aufgelöst und das Wirken der Gewerkschaften damit weitgehend ad absurdum geführt.

Die Eingriffe der Troika-Beamten in die griechische Gesetzgebung haben die Gesundheitsversorgung, die Ausbildung und das Rentensystem zusammenbrechen lassen. Die griechischen, öffentlichen Rentenkassen wurden beim oft zitierten "Schuldenschnitt für private Anleger" 2012 um den Großteil ihrer Einlagen gebracht. Darüber hinaus leidet der Staat unter knapp drei Millionen unversicherten Einwohnern. Aus humanitären Gründen müsste den Menschen geholfen werden, meint die amtierende Regierung. Im internationalen Dialog wird nur selten erwähnt, wie ein Grieche in den Status eines Unversicherten gelangen kann.

Ist er Arbeitnehmer, dann kann ihn das Schicksal ereilen, wenn der Arbeitgeber die Beiträge nicht abführt oder aber, wenn er vom Arbeitgeber mit Hinweis auf die Arbeitslosenquote von knapp 30 Prozent zum unversicherten Arbeiten gezwungen wird. Ein Arbeitsloser verliert nach einem Jahr Arbeitslosigkeit seinen Versichertenstatus, wenn er sich nicht mit eigenem Geld unter Aufbringung des Arbeitnehmer- und Arbeitgeberanteils für mindestens fünfzig Tage im Jahr selbst versichert. Tut er das, verliert er den Arbeitslosenstatus und kommt schlechter an einen Job, weil Troika-Gesetze Langzeitarbeitslose gegenüber Kurzzeitarbeitlosen schlechter stellen.

Ein Freiberufler oder ein Selbstständiger verliert dann den Versicherungsstatus, wenn er wegen einer Firmenpleite oder einem Liquiditätsengpass keine Beiträge mehr abführen kann. Die griechische Krankenversicherung für selbstständig Arbeitende wird nicht prozentual am Unternehmensgewinn berechnet, sondern steigt automatisch mit der Dauer der Berufsjahre auf einkommensunabhängige pauschale Sockelbeträge. Solange eine auf diese Art unversichert gewordene Person nicht alle Beitragsrückstände abgestottert hat, kann der Versichertenstatus nicht mehr wiedererlangt werden.

Weil darüber hinaus den Banken die Liquidität fehlt, die Wirtschaft zu unterstützen, wächst das Heer der Unversicherten von Tag zu Tag. Hier möchte Varoufakis eine Art "New Deal" starten. Nur mit einem eigenen, mittelfristigen Aufbauprogramm sieht er eine Chance, aus der Todesspirale heraus zu kommen.

Auf ökonomischer Ebene argumentiert Varoufakis, der außerplanmäßig am Wochenende nach Paris eilte, mit einer im Grunde nachvollziehbaren Logik.

Jeroen Dijsselbloem und Yanis Varoufakis. Bild: W. Aswestopoulos

Es sei ein unwahrscheinlicher Blödsinn, sagt er, wenn man einem hoffnungslos überschuldeten Staat einen Kredit aufbrummt und ihm als Bedingung auferlegt, das zur Abzahlung eben dieses Kredits notwendige Volkseinkommen um ein Drittel zu senken. Varoufakis wehrt sich dagegen, unter diesen Bedingungen weitere Kredite anzunehmen. Eben darum interessieren sich die Griechen nicht dafür, die ausstehende Troikainspektion abzuschließen und die weiteren 7,5 Milliarden Euro Kredit anzunehmen. Schließlich landet das Geld ohnehin nicht im Staatshaushalt, sondern direkt bei den Schuldnern.

Aus ähnlichen Gründen hält Varoufakis die Privatisierungen für Unsinn. Schließlich, so erklärt er, würden bei den aktuellen Privatisierungsprogrammen wertvolle staatliche Liegenschaften und Unternehmen eben wegen der Krise für einen Bruchteil ihres Werts verschleudert. Dadurch würde die Volkswirtschaft weiter geschädigt.

Weil aufgrund des zweiten Rettungspakets mittlerweile 76 Prozent der griechischen Staatsschulden den Staaten der Eurozone, dem IWF und der EZB geschuldet werden, hat Varoufakis, der ein Meister der Spieltheorie ist, im Poker mit den Schuldnern die besseren Karten. Der Grieche beschuldigt die Troika offen, dass sie wissentlich eine Insolvenzverschleppung betrieben habe. Daraus ergäbe sich eine Mitschuld am Dilemma. So ist der oft zitierte Spruch Varoufakis zu verstehen: "Am Ende müssen die Deutschen so oder so zahlen."

Glaubt man dem oft emotional reagierenden, aber stets lächelnden Ökonomen, dann wird der Schaden für die europäischen Steuerzahler minimiert, wenn Griechenland auf die Beine kommt. Theoretisch, aber auch praktisch müsste er es wissen. Er löste für die Computerspielfirma Valve Software in Texas deren Problem, die in den Spielen betriebene virtuelle Geldwirtschaft an die in der realen Welt der Spieler existierenden unterschiedlich leistungsfähigen Wirtschaften anzuschließen. Den Job bekam er, weil die Chefs von Valve Software auf seine Bücher stießen. Darin hatte Varoufakis erklärt, woran ein Eurosystem mit dem wirtschaftlich starken Deutschland und den finanzschwachen Südstaaten krankt.

"Das ist doch genau unser Problem mit dem virtuellen Geld und den realen Wirtschaften", sollen die Texaner gesagt haben, als sie den Wirtschaftsprofessor in Athen anriefen. Nun kann Varoufakis, der auf seiner Tour durch Europa auch nach Deutschland will, seine Theorie noch einmal prüfen. Neue Kredite möchte er vorerst nicht beantragen.