Griechische Regierung gibt erstmals dem Druck der Straße nach

Ein Hungerstreik mit vielen Fragezeichen, Fremdenhass, Gerüchten und kleinen Siegen

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Am 14. März endete in Athen eine Hungerstreikaktion von knapp 300 Immigranten. Die von Menschenrechtsgruppen als "papierlose Arbeiter" bezeichneten Aktivisten gehören zur den mindestens 1,5 Millionen Immigranten, die derzeit ohne legalen Aufenthaltsstatus in Griechenland leben. Viele von ihnen sind bereits seit fünf, sechs oder sieben Jahren im Land. Mit dem Streik wollten die Organisatoren ursprünglich die Legalisierung aller Immigranten erreichen. Für die 300 ergab sich ein glücklicher Ausgang mit einem Kompromiss, die übrigen Immigranten stehen weiterhin rechtlos da.

Vierundvierzig Tage lang hatten die Aktivisten zunächst die Nahrungsaufnahme, zuletzt aber auch das Trinken von Wasser verweigert. Von Beginn an hatte die Aktion in Griechenland für erhebliches Aufsehen gesorgt. Anders als eine parallel stattfindende Hungerstreikdemonstration von afghanischen Asylbewerbern vor den Propyläen der Athener Universität gelangte die Aktion der arabischen Flüchtlinge ins Visier griechischer und internationaler Medien.

Umzug der arabischen Aktivisten von der Jurafakultät zum Hypatiahaus, Ende Januar 2011. Foto: W. Aswestopoulos

Die Afghanen kampieren seit Mitte Dezember auf einem Platz vor dem Hauptgebäude der Athener Uni. Sie haben sich den Mund zunähen lassen und bitten um eine Entscheidung in ihren seit Jahren laufenden Asylverfahren. Ihre Aktion wurde so geplant, dass niemand sich wirklich an der Präsenz der Zelte stören konnte. Chemische Toiletten wurden aufgestellt und ein eigener, aus Unterstützern bestehender Reinigungsdienst sorgt mehrmals täglich für blitzblanke Gehplatten. Hinter den Afghanen steht lediglich eine kleinere Menschenrechtsgruppe. Politische Parteien wurden bewusst außen vor gelassen. Wird ein Streikteilnehmer ernsthaft krank, so dass Dauerfolgen drohen, tauschen die Afghanen ihn gegen einen frischen Teilnehmer aus.

Im Gegensatz dazu besetzten die Araber zunächst am 25. Januar ein frisch renoviertes Gebäude der juristischen Fakultät. Sie stammten in der Mehrzahl nicht aus Athen sondern wurden zum größten Teil aus Kreta auf einer Fähre eingeschifft. Die lange angekündigte Aktion sorgte in Griechenland sofort für ein Politikum. Die Aktivisten verlangten von Anfang an die Maximallösung des griechischen Flüchtlingsdramas und kündigten einen "Streik bis zum Sieg oder Tod" an.

Es ist griechischen Polizeikräften verfassungsrechtlich verboten, ohne vorherige Einwilligung des Rektorats ein Universitätsgebäude zu betreten. Dieses "akademische Asyl" stand einer sofortigen Räumung des Universitätsgebäudes im Wege. Theodosis Pelegrinis, der Rektor der Uni, wurde deshalb sofort von Seiten der Regierung bedrängt, einer Räumung zuzustimmen.

Nächtlicher Demonstrationszug der Solidaritätsgruppe Anfang März. Foto: W. Aswestopoulos

Erfolg nur mit Rückhalt durch inländische Solidaritätsgruppen möglich

Im Zuge der Räumung zeigte sich, dass die freiwillig Hungernden auf großen Rückhalt linker Gruppen zählen konnten. Der drohenden Räumung am Abend des 28. Januar entgegen stellte sich eine spontan versammelte Demonstration tausender solidarischer Athener. Demonstriert wurde sowohl für das akademische Asyl als auch gegen die Räumung der Uni und die angedrohte Abschiebung der Aktivisten.

Es war spürbar, dass ein kleiner Funke genügen könnte, um die Demonstranten zu Ausschreitungen wie im Athener Dezember 2008 zu bewegen. Bis spät in die Nacht wurde die Athener City gesperrt, Politiker der Linken verhandelten mit Regierungskräften und schließlich wurde für die Aktivisten ein neues Quartier gefunden.

Kostas Routzounis, ein wohlhabender Unternehmer, stellte das Versammlungsgebäude seiner Hypathia-Stiftung als Herberge zur Verfügung. Für zwei Wochen sollten die Hungerstreikenden dort bleiben. Es wurden mehr als vierzig Tage. Routzounis selbst geriet wegen seiner Freizügigkeit ins Kreuzfeuer nationalistischer Gruppen. Es ist ein bezeichnender Zufall, dass die Namensgeberin von Routzounis Stiftung die letzte heidnische, griechische Philosophin im ägyptischen Alexandria war. Sie wurde von christlichen Fundamentalisten ermordet.

Teil des Zeltlagers der afghanischen Asylbewerber. Foto: W. Aswestopoulos

Gebrochene Versprechen

Kein Zufall ist jedoch, dass die gleiche Gruppe, die nun den Streik organisierte, bereits 2008 in Chania auf Kreta eine ähnliche Aktion veranstaltet hatte. Damals befand sich der heutige Ministerpräsident Griechenlands in der Opposition. Georgios Papandreou stellte sich seinerzeit demonstrativ auf die Seite der fünfzehn streikenden Araber. "Wir alle sind Immigranten", verkündete Papandreou damals. Seine Unterstützung für die Forderung der Hungerstreikenden demonstriert Papandreou auch heute noch auf seiner persönlichen Internetseite.

Der Sozialistenführer machte das Thema gar zu einem seiner Wahlkampfthemen. Er versprach allen im Inland befindlichen Immigranten die wohlwollende Prüfung ihres Anliegens und beschleunigte Einbürgerungsverfahren. Der Vorsitzende der sozialistischen Internationalen konnte auch dieses Wahlversprechen nicht halten. Stattdessen mussten die Schengenstaaten mit einer Aussetzung der vertraglich durch das Dublin-II-Abkommen vorgeschriebenen Rückabschiebungen reagieren.

Trotzdem weigerte sich Papandreous zuständiger Minister für Inneres, Giannis Ragoussis, zunächst standhaft, mit den Aktivisten in Dialog zu kommen. Er hatte bereits im Sommer 2010 einem Hungerstreik von Iranern vor der Botschaft der Vereinten Nationen in Athen nachgegeben. Nach 36 Tagen des Fastens waren einige von ihnen dem Tode nahe. Buchstäblich im letzten Moment wurde nach Intervention von Menschenrechtsverbänden den offensichtlich berechtigten Asylanträgen im Eilverfahren stattgegeben. Trotzdem wollte einer der Iraner seinen Streik zunächst nicht abbrechen. Er wollte "aus Scham sterben". Damals hatten bestimmte linksautonome Gruppen bereits auf den Tod als Initialzünder eines Aufstands gewartet. Erst das Eingreifen von Geistlichen der orthodoxen Kirche stimmte den letzten Streikteilnehmer um.

"Ein Nachgeben der Regierung würde weiteren Einwanderungswellen Tür und Tor öffnen. Das kann das Land nicht verkraften", sagte Giannis Ragkousis und wollte diesmal hart bleiben. Seine Cousine ersten Grades, Anna Dalara, die Gattin des Sängers Georgios Dalaras, ist als Immigrationsstaatsekretärin im Ministerrang zuständig für Einwanderungsfragen und fügte hinzu: "Diese Menschen gehören nicht zu uns, sie haben keine Kultur." Als Frau Dalara im September 2010 ihr Amt antrat, klang sie noch anders. "Es gibt keine illegalen Einwanderer, nur illegale Zigaretten", meinte sie zum Amtsantritt. Solidarisch mit seiner Ministerkollegin zeigte sich Gesundheitsminister Andreas Loverdos. Er meinte: "Die Immigranten sind vor allem mit Hinblick auf Grippeepidemien eine gesundheitspolitische Zeitbombe."

Wahida Resuli, Afghanin mit zugenähtem Mund. Foto: W. Aswestopoulos

"Bis zum Tod oder der Bewilligung ihrer Forderungen werden diese Menschen hungern. Das ist ihr freier Wille, sie sind fest entschlossen" kommentierte Petros Giotis, Journalist und Mitglied des Solidaritätskomitees die Standpunkte der Aktivisten. Gestützt wurden die Aktivisten auch aus Kreisen einer parteilosen Bewegung, die sich gegen übermäßig ansteigende Preise und Dienstleistungen wehrt. Die "Bezahlt wird nicht"- Aktivisten argumentierten, dass der Kampf der Immigranten gegen gebrochene Wahlversprechen der Regierung und für Arbeitsrechte auch ihre Belange fördern würde.

Zwar warfen Kritiker auch aus linken Gruppen dem Komitee die Instrumentalisierung verzweifelter Menschen vor, trotzdem solidarisierten sie sich mit den Forderungen der Streikenden. Als sich die Lage Anfang März immer weiter zuspitzte und am vergangenen Dienstag bereits über hundert Streikteilnehmer in komatösem Zustand in Krankenhäuser eingeliefert worden waren, musste die Regierung reagieren.

Denn auch im Krankenhaus weigerten sich die Aktivisten, Nahrung aufzunehmen. Durch solidarische Griechen geschützt, gelang ihnen das auch. Zwei griechische Studentinnen wurden jedoch festgenommen, als sie Ärzte daran hinderten, die Streikenden mit einer gegen die Malteser Deklaration verstoßenden Zwangsernährung zu behandeln.

Schnell beschlossene Lösungen auf dem letzten Drücker

Die betreuenden Ärzte fürchteten irreversible Gesundheitsschäden und rechneten stündlich mit Todesfällen. Eine Kältewelle hatte die hungernden Immigranten weiter geschwächt. Der nahende Tod eines "Märtyrers für die Rechte der Immigranten" einte nahezu alle oppositionellen Gruppen des Landes. Selbst der rechtspopulistische Führer der LAOS-Partei, Georgios Karatzaferis, sah sich genötigt, im Athener Parlament endlich eine Lösung zu fordern. Darüber hinaus nahm der Druck aus dem Ausland auf die griechische Regierung immer weiter zu. Vor dem Gipfeltreffen zur Eurofrage am 11. März wollte Premier Papandreou das immer brisantere Problem endlich lösen, denn auch in den eigenen Reihen forderten Minister nach einem Dialog mit den Aktivisten. Minister Ragoussis musste also seinen den Gang nach Canossa beschreiten. Er gab vielen der Forderungen nach.

Allerdings beschränkten sich die regierungsseitigen Zugeständnisse vor allem auf die 300 Aktivisten. Diese erhalten zunächst eine sechsmonatige Duldung, die per Ministerbeschluss nach Ablauf auf unbegrenzte Zeit verlängert wird. Dazu erhalten sie Reisepapiere, mit denen sie ins Ausland reisen dürfen.

"Wir haben zwar keine normale Aufenthaltserlaubnis erhalten, aber wir haben nun ein Papier, mit dem wir reisen können, und sobald wir damit und mit anderen Dokumenten acht Jahre Aufenthalt dokumentieren können, bekommen wir eine Aufenthaltsberechtigung", freute sich der Sprecher der Gruppe, Hassan Hatzi. Wer von den Aktivisten noch stehen konnte, der feierte. Dazu wurde die Grenze für pharmazeutischen Versicherungsschutz sowohl für Griechen als auch für Immigranten von 80 Beitragstagen auf 50 Beitragstage gesenkt. Für eine Fortführung eines Duldungsstatus sind nunmehr nur noch 120 statt bisher 180 Beitragstage erforderlich. Vor allem seit Ausbruch der Wirtschaftskrise kommt es vermehrt dazu, dass Arbeitgeber die Sozialbeiträge nicht oder nur teilweise abführen. Dadurch bleiben viele Bewohner Griechenlands ohne Versicherungsschutz.

Am Montag erhielten die Aktivisten endlich die ersehnte schriftliche Bestätigung der Vereinbarung zusammen mit ihren Duldungspapieren. Einer jedoch war mit dem Ende des Streiks nicht einverstanden. Er versuchte, sich selbst zu verbrennen, konnte aber von seiner selbstmörderischen Aktion abgehalten werden. Mit Bussen wurden die Immigranten zu einer Fähre gebracht und zogen im Gefühl des Triumphes aus dem Hypatia Gebäude ab.

Typisches Schicksal von Immigranten - Schwarzhandel mit Produktkopien. Foto: W. Aswestopoulos

Die Nachwehen

Die Zugeständnisse der Regierung, die den im Land befindlichen Illegalen mindestens ein Jahr Duldung sowie Reisefreiheit ins Ausland garantieren, erschrecken Skeptiker, die nun einen weiteren Flüchtlingsstrom aus den unruhigen arabischen Staaten fürchten. Offen äußern viele Griechen deshalb Meinungen, die hart an der Grenze des Rassismus stehen.

Für Oppositionelle aller Couleur ist es jedoch das erste Mal, dass die Regierung Papandreou auf "Druck der Straße" einen Rückzieher macht. Viele fürchten oder erhoffen, dass dieser Rückzug weitere Eingeständnisse in anderen politischen und wirtschaftlichen Bereichen nach sich ziehen wird.

Vor allem Menschenrechtsaktivisten teilen mit den Immigranten ein Gefühl des Triumphs. Seitens der Organisatoren hingegen war die erste Reaktion eine unverhohlene Äußerung der Enttäuschung. Sie hatten offenbar auf einen Todesfall oder aber auf die Legalisierung aller Immigranten gesetzt.

Bezeichnend hierfür ist die Antwort, die ein enttäuschter Unterstützer auf den Jubelschrei einer Dame zum Ende des Streiks machte: "Ob es Helden sind und ob es ein Sieg ist, das muss jeder für sich selbst entscheiden." Die Dame hatte auf die Nachricht der Regierungsvorschläge und des Streikendes mit "Die Helden haben gesiegt" reagiert.

Es ist zu erwarten, dass in den linken Gruppen nun eine bereits angekündigte kritische Nachlese zur Aktion stattfinden wird. Konservative Gruppen laufen derweil verstärkt Sturm gegen "die Überfremdung und Islamisierung des Landes".

Zu denken gibt, dass in den letzten Tagen sieben dunkelhäutige Immigranten unter fragwürdigen Umständen ums Leben kamen. Sechs wurden zerstückelt in Abfalleimern gefunden. Größere Medien halten sich in der Berichterstattung zu diesen Funden auffällig zurück. Die Polizei geht in offiziellen Stellungnahmen von "einer Abrechnung unter Immigranten aus" und verneint das Vorliegen ausländerfeindlicher Aktionen. Unbestritten jedoch ist, dass ein vor wenigen Tagen erfroren aufgefundener Obdachloser vorher von nationalistischen Randalierern bewusstlos geprügelt wurde.