Großbritannien will ENFOPOL-Pläne umsetzen

Gesetzesentwurf über das Abhören von Kommunikation wurde unter Publizität vermeidenden Umständen veröffentlicht.

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Neue Pläne zur Überwachung von Email, Internet, Pagern, Mobiltelephonen und allen anderen neuen Formen von Telekommunikation wurden vergangene Woche in London vorgestellt. Wenn dieser Entwurf tatsächlich zum Gesetz wird, dann werden alle Kommunikationsdienstleister gezwungen, auf eigene Kosten Abhörschnittstellen für die Regierung in ihre Netze einzubauen. Der Gesetzesentwurf stützt sich auf die Richtlinien, auf die sich europäische Polizeistellen in den im letzten Jahr bekannt gewordenen ENFOPOL-Plänen geeinigt hatten.

Die gesetzlichen Verpflichtungen, die Kommunikationsdienstleistern auferlegt werden sollen, werden auch alle Internetdiensteanbieter umfassen, ob sie nun klein oder groß sind. Auch „Telekommunikationsnetze von Unternehmen, von kleinen Nebenstellenanlagen bis hin zu großen Netzen, ob im öffentlichen oder privaten Sektor", werden davon betroffen sein.

Die Entwicklung ebenso wie die Einführung neuer Netzwerke oder Systeme, die nicht überwacht werden können, sei als Gesetzesbruch zu verstehen, sagte das Innenministerium (Home Office). Die Notwendigkeit, eine Überwachungsschnittstelle bereitzustellen, „wird von nun an zu einer Anforderung, die von Kommunikationsdienstleistern befolgt werden muß, jedesmal, wenn sie ihr Netz ausbauen oder neue Dienste einführen".

Die Regierung erwartet von der britischen Telekommunikationsindustrie, nicht von der Polizei, daß sie die Kosten für den Einbau der Überwachungsschnittstellen trägt. Von Kommunikationsdienstleistern wird erwartet, „daß sie die Zurverfügungstellung und Wartung der grundlegenden Überwachungsmöglichkeiten selbst bezahlen, so wie diese in den vom Staatssekretär festgelegten Anforderungen definiert werden."

Das Gesetz wird alle Arten neuer Kommunikationsdienste umfassen, einschliesslich Internettelephonie, Videokonferenzen und satellitengestützter, privater Kommunikationssysteme - nicht nur gewöhnliche Email- und Telephonkommunikation ist davon betroffen. Überwachungszentren müssen ebenso mit Informationen über Konferenzschaltungen, umgeleitete Anrufe, nichtbeantwortete Anrufe und sogar den Zeiten, wann Telephone aus- oder angeschaltet werden, versorgt werden. Daten aus Mobiltelephonnetzen sollen benutzt werden, um die Bewegungen einer Zielperson zu beobachten.

Regierungsvertreter weigerten sich anzugeben, ob die „grundlegenden Überwachungsmöglichkeiten" Vorschriften enthalten würden, wonach Internetdiensteanbieter „jederzeit und in Echtzeit" Zugang zu Kommunikationsvorgängen geben müssten. Ebensowenig ist es entschieden, wie hochentwickelt die Überwachungszentren sein müssen, die nun bei jedem Netzwerk installiert werden sollen.

„Um sicherzustellen, daß die Anforderungen verhältnismäßig und fair sind, wird es wichtig sein, verschiedene Faktoren in die Überlegungen miteinzubeziehen, wie etwa die, welche Mittel einem bestimmten Unternehmen zur Verfügung stehen, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, daß Überwachung notwendig ist und wie es um die technische Komplexität des Einbaus einer Überwachungsschnittstelle steht".

Doch „in der Entscheidungsfindung darüber, welche genauen Anforderungen für die Erfüllung der Bedürfnisse der Behörden angemessen sind, wird sich der Staatssekretär auf international anerkannte Standards wie die „International User Requirements" (IUR) stützen".

Das Vereinigte Königreich ist damit die erste europäische Regierung, die sich direkt auf die bisher geheime Arbeit des sogenannten „Internationalen Seminars für Telekommunikation und Strafverfolgung" (ILETS) bezieht, eine Organisation, die der Telekommunikationsindustrie ohne parlamentarische oder öffentliche Diskussion Abhöranlagen aufzuzwingen versucht. (siehe ILETS, die geheime Hand hinter Enfopol)

Das Innenministerium behauptete:

Die IUR wurden von den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft im Ratsbeschluss von Januar 1995 angenommen und in der Folge auch von den USA, Kanada, Australien und Neuseeland übernommen".

Dabei wird allerdings nicht erwähnt, daß diese Anforderungen beschlossen wurden, ohne daß Minister darüber diskutiert hätten, ohne daß die Industrie und Bürgerrechtsgruppen darüber informiert und damit einverstanden gewesen wären, und auch nicht, daß die Existenz der IUR für zwei Jahre geheimgehalten wurde.

Dank der geheimen Arbeit von ILETS kann die britische Regierung nun behaupten, daß „die Zurverfügungstellung von Abhörmöglichkeiten eine grundlegende Anforderung an Kommunikationsdienstleister in Ländern wie Schweden, Frankreich, Deutschland, den Niederlanden, Kanada, den USA und Australien ist...deshalb wird den Kommunikationsdienstleistern im Vereinigten Königreich kein kommerzieller Nachteil daraus erwachsen".

Zwischen Tür und Angel und drei weiteren Fällen

Die Vorschläge wurden letzte Woche in Form eines Beratungspapiers über das Abhören von Kommunikation vom Innenministerium veröffentlicht. Die Veröffentlichung erfolgte unter Umständen, die darauf abzielten die Berichterstattung und die öffentliche Diskussion so gering wie möglich zu halten. Die Veröffentlichung wurde nur einige Stunden vorher angekündigt, an einem Tag, an dem Journalisten, die auf dem Themengebiet arbeiten, bereits mit drei anderen wichtigen, mit dem Home Office in Zusammenhang stehenden Geschichten beschäftigt waren, darunter Vorschläge betreffend das Gesetz über Freedom of Information, ein Gerichtsverfahren unter dem „Official Secrets Act", von dem auch Journalisten betroffen sind und ein Bericht über Computerkriminalität. Als Ergebnis dessen besuchten weniger als 20 Jurnalisten die Pressekonferenz, die ganze 20 Minuten dauerte.

Eine Woche zuvor hatte das Innenministerium bekanntgegeben, daß im Jahr 1998 2031 inländische Telephonüberwachungsermächtigungen von Ministern unterzeichnet worden waren, so wie eine unbekannte Anzahl für Überwachungen im Ausland. Jede Ermächtigung muß persönlich vom Innenminister oder vom ersten schottischen Minister unterzeichnet werden, welche die Unterlagen über die Fälle sorgfältig lesen und zu dem Ergebnis kommen müßte, daß eine hinreichende Grundlage für Überwachung besteht. Das bedeutet, daß jede Woche circa 40 Ermächtigungen unterzeichnet werden müssen. Caspar Bowden von der Foundation for Information Policy Research hob hervor, daß, geht man von einer bestimmten statistischen Fluktuation aus, an manchen Tagen 10, 20 oder mehr unterzeichnet werden müssen. Wieviel Zeit verwenden die Minister also tatsächlich darauf, jeden einzelnen Fall zu bewerten?

„Diese Frage werde ich nicht beantworten", sagte Innenminister Jack Straw.

Andernorts in Grossbritannien werden große Internetprovider bereits gefragt, auf eigene Kosten sichere Orte in ihren Geschäftsräumen einzurichten, wo die Regierung eigene Router aufstellen kann, auf denen spezielle Programme laufen, die für sie interessanten Datenverkehr auswählen können.

Unter der gegenwärtigen, 1985 verabschiedeten Gesetzgebung müssen nur lizensierte, öffentlichte Telephonunternehmen Abhörvorrichtungen für die Behörden zurverfügungstellen. Internetdiensteanbieter, sofern sie nicht auch Telephondienste anbieten, müssen das nicht. Auf gerichtliche Anordnung müssen sie allerdings alle gespeicherten Kommunikations-Daten übergeben, einschliesslich Emails, Aufzeichnungen über Web-Zugang und Details der erbrachten Dienstleistungen.

Die britische Regierung behauptet, daß die neuen Gesetze vollen Schutz der Menschenrechte gewährleisten würden. Nach Innenminister Jack Straw enthielte es „starke, unabhängige Schutzvorrichtungen...ich glaube unsere Vorschläge erreichen ein gutes Gleichgewicht".

Doch nach Madeleine Colvin von Justice, der internationalen Menschenrechtsorganisation und britischen Zweigs des Internationalen Juristenauschusses, würde das neue Gesetz dieses Ziel verfehlen:

„Es gibt große Lücken in diesem Gesetz bezüglich der Kontrolle der Überwachungsmethoden. Wie zum Beispiel soll irgendjemand erfahren, daß seine Menschenrechte beeinträchtigt wurden, wenn sie gar nie arfahren werden, daß ihre elektronische Post von der Regierung mitgelesen wurde".