Großdemonstrationen im Zeitalter der Riots

Seite 2: Die Riots und die Folgen

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Es wäre tatsächlich ein Erfolg, wenn nach Hamburg das Vermummungsverbot als Mittel der Grundrechtseinschränkung und des Demoverbots in den Fokus der Kritik geriete. Aber davon kann keine Rede für die Mehrheit der Medien sein. Schon ist das Geschehen im Wahlkampf angekommen und die Union fordert im Bündnis mit konservativen Medien Rücktritte in Hamburg.

Dabei bedienen sich die Initiatoren offen rechtspopulistischer Parolen, wenn es heißt: "Olaf, du hast Hamburg dem Mob ausgeliefert". Dann ist es nur noch ein kleiner Schritt, wenn einige Neonazis als vermeintliche Vollstrecker des "Volkswillens" Samstagnacht Linke angriffen.

Statt diesem Bündnis von Mob, rechten Boulevard und Elite entgegenzutreten, werden sich jetzt alle politischen Parteien in Distanzierung üben. Hamburgs Bürgermeister Scholz fordert harte Strafen für die am Riot Beteiligten, obwohl das nach der bürgerlichen Gewaltenteilung gar nicht in seiner Kompetenz liegt. Ein Großteil der Presse unterstützt diesen Law-and-Order-Kurs und die außerparlamentarische Linke übt sich in den Versuch, sich nicht zu distanzieren, aber die Ereignisse um die Schanze auch nicht gut zu finden.

Dabei zeigen Umfragen, dass die Ablehnung der Militanz nicht so einheitlich ist, wie es die Medien suggerieren. Vor allem aber fällt auf, dass die Öffentlichkeit von der Eigenlogik von Riots, von urbanen Aufständen, wenig Ahnung hat. Die werden eben nicht von irgendwelchen Drahtziehern aus politischen Gruppen initiiert, wie gerne vermutet wird. Großereignisse wie der G20 bieten den Rahmen, aber es sind die prekarisierten Unterklassen in vielen Städten der Welt, für die der Aufstand ihre Form ist, sich einiges von den bunten Warenmarkt anzueignen, den der Kapitalismus verspricht, der ihnen aber mangels finanzieller Möglichkeiten verschlossen geblieben ist. Die Medien und die Öffentlichkeit in Großbritannien, den USA und Frankreich konnten sich in den letzten Jahren schon häufiger mit der Eigengesetzlichkeit dieser urbanen Aufstände vertraut machen.

In dem Buch "Riot. Strike. Riot: The New Era of Uprisings" bezeichnet der linke Theoretiker Joshua Clover Riots und Aufstände als wichtige Aktionsformen der vergangenen Jahre, weil durch den Wegfall der großen Industrie der Streik an Bedeutung verloren habe. Im Interview sprach Clover auch vom Zeitalter der Riots.

"Der Streik ist eine kollektive Aktion, die sich um den Preis der Arbeitskraft und bessere Arbeitsbedingungen dreht, in der sich Arbeiter in der Position des Arbeiters befinden, und die im Kontext der kapitalistischen Produktion stattfindet, während der Aufstand den Kampf um die Preise und die Erhältlichkeit von Marktgütern inkludiert, seine Teilnehmer enteignet sind, und er im Kontext der Konsumtion bzw. der Zirkulation stattfindet", fasst der Blogger Achim Szepanski (http://) die im Buch vertretenen Thesen zusammen.

Diese Thesen kritisch zu diskutieren und sich zu fragen, ob Clover nicht tatsächlich unterschätzt, welche Bedeutung Lohnarbeit und der Widerstand dagegenauch heute noch für Menschen in aller Welt hat, wäre eine Aufgabe der außerparlamentarischen Linken. Auch um dem Bündnis von rechten Medien und Neonazis nach den Riots von Hamburg mehr entgegen setzen zu können als das Bekenntnis, dass sich die Interventionistische Linke dazu erst noch eine Meinung bilden muss.