Große Koalition zum Lauschangriff in Deutschland
Demokratie in Gefahr?
Die Innen- und Rechtspolitiker von Koalition und SPD haben sich jetzt über die Richtlinien zur Einführung des großen Lauschangriffs geeinigt. In der kommenden Woche wird im Bundestag aller Voraussicht nach beschlossen, daß Ärzte, Anwälte und Journalisten, die vor Gericht bisher keiner Zeugnispflicht unterworfen waren, abgehört werden dürfen. Allerdings dürfen die Abhörergebnisse vor Gericht nur eingeschränkt verwendet werden. Seelsorger, Strafverteidiger und Abgeordnete dürfen weiterhin nicht abgehört werden. Die Zustimmung der SPD war benötigt worden, weil für die Neuregelungen das Grundgesetz geändert werden muß.
Unterschiedlich äußerten sich verschiedene SPD-Politiker. Die Position von Bundesjustizminister Schmidt-Jortzig, die auch bei Trägern von Berufsgeheimnissen kein Abhörverbot, sondern nur eine eingeschränkte Verwendung der Lauschergebnisse vorsieht, hielten sie mehrheitlich für unausreichend. Während die Rechtspolitikerin Herta Däubler-Gmelin sagte, hier sei noch Bewegung notwendig, hielt der niedersächsische Innenminister Gerhard Glogowski den Vorschlag für "nicht unvernünftig".
Nachbesserungen fordert der rheinland-pfälzische Justizminister Peter Caesar (FDP). In einem Interview mit der taz kündigte Caesar an, Rheinland-Pfalz werde bei den Beratungen im Bundesrat mehrere Änderungsanträge stellen. Ob das Land dem Lauschangriff zustimmen werde, ließ Caesar offen: "Erst nach Abschluß der Beratungen wird die Landesregierung über ihr Abstimmungsverhalten entscheiden." Caesar verlangte, daß das Abhören nur bei dringendem Tatverdacht erlaubt wird, und nicht, wie im Gesetz vorgesehen, schon bei einem einfachen Tatverdacht. Außerdem monierte er, daß im Gesetz eine Unterrichtung der Betroffenen fehle.
Ein klares Lauschverbot bei dem Personenkreis mit Zeugnisverweigerungsrecht forderte die frühere Bonner Justizministerin Sabine Leutheusser Schnarrenberger (FDP). "Das Instrument des Abhörens darf gar nicht erst angewandt werden", sagte die FDP-Politikerin. Die Sprecher der Bündisgrünen, Gunda Röstel und Jürgen Trittin warfen Regierungsparteien und SPD die "Demontage von Grundrechten" vor. Ihrer Ansicht nach ist der Große Lauschangriff "kriminalistisch ineffektiv". Sie kritisierten die kontinuierliche Ausweitung der Überwachungsbefugnisse vertraulicher Kommunikation und bezeichneten den Lauschangriff als einen "nicht hinnehmbaren Angriff auf die Pressefreiheit". In einer Demokratie müßten Journalisten ohne Einschränkung durch staatliche Überwachung arbeiten können.
"Ganz im Interesse dieser Koalition", blieben dann zahlreiche Skandale unaufgedeckt. Entschlossenen Widerstand kündigten die Gewerkschaften gegen den Kompromiß von Regierungsparteien und SPD an. Als "Augenwischerei" bezeichnete der Vorsitzende des Deutschen Journalisten-Verbandes (DJV), Hermann Meyn, die geplanten Regelungen. Das Abhören von Journalisten sei keinesfalls geeignet, die Bedenken des DJV zu zerstreuen, so Meyn. Nach den neuen Plänen können Privat- und Arbeitsräume von Journalisten einem Lauschangriff unterzogen werden. Dies sei ein massiver Verstoß gegen das grundrechtlich geschützte Zeugnisverweigerungsrecht und gegen das Redaktionsgeheimnis, die jedoch vor allem im Rahmen investigativer Recherchen "eine existentielle Voraussetzung" für die Zusammenarbeit zwischen Informanten und Journalisten sei. Selbst wenn nach den neuen Überlegungen bestimmte Resultate des Lauschangriffs in einem Gerichtsverfahren nicht verwertet werden dürften, so bleibe zumindest den Justizbehörden die Erkenntnis darüber, wer dem Journalisten welche Informationen zur Verfügung gestellt habe.
"Daß solche 'Zufallsfunde' in anderem Zusammenhang ausgewertet und verwendet werden, kann getrost unterstellt werden", erklärte Meyn. Zudem werde allein durch die Tatsache, daß kein Informant mehr sicher sei, am Arbeitsplatz oder in der Privatwohnung eines Journalisten vertraulich reden zu können, die journalistische Arbeit erheblich behindert. Sollten sich die Parlamentarier in diesem Punkt nicht wieder auf die Grundlagen der Pressefreiheit besinnen, schließe er den Gang zum Bundesverfassungsgericht nicht aus, erklärte Meyn.
Die IG Medien ist der Auffassung, dass es "kein Zweiklassenrecht der Zeugnisverweigerung geben darf. Was für Parlamentarier, Seelsorger und Anwälte gilt, darf auch Journalistinnen und Journalisten nicht verwehrt bleiben." Auch der Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger (BDZV) appellierte an alle Fraktionen des Deutschen Bundestags sicherzustellen, daß Journalisten ebenso wie Geistliche, Strafverteidiger und auch politische Abgeordnete grundsätzlich von polizeilichen Abhöraktionen ausgeschlossen werden. Er sieht durch die geplanten Regelungen die "Wächterfunktion der Presse erheblich geschwächt".