Grüne und Union: Kritik mit angezogener Handbremse
Kanzlerkandidatin Baerbock findet Pläne von CDU und CSU mutlos und unsozial, spricht aber dabei nicht von K.o.-Kriterien für eine Koalition - im Gegensatz zur Grünen Jugend
Die Kanzlerkandidatin der Grünen, Annalena Baerbock, hat das Wahlprogramm von CDU und CSU als mutlos und unsozial kritisiert, zugleich aber betont, sie sei über dessen Inhalt "verwundert". Letzteres war sie vielleicht nur, weil sie die Unionsparteien nicht für so ehrlich oder so dumm gehalten hatte, solche Pläne vor der Wahl zu veröffentlichen, aber das sagte sie nicht, als sie Montag vor die Kameras trat. Auch eine eindeutige Klarstellung, dass mit solchen Parteien keine Koalition möglich sei, blieb aus.
Sie sprach von einer "Richtungsentscheidung" bei der Bundestagswahl im September, ohne darauf einzugehen, was passiert, wenn sich die Grünen zwischen einer Koalition mit den Unionsparteien und der Oppositionsbank entscheiden müssen.
CDU und CSU wollten offensichtlich so weitermachen wie bisher - und sich "durchwurschteln wie bisher". Sie versprächen den Wohlhabenden viel und verlören "die Breite der Gesellschaft aus dem Blick", während die Grünen "mutig das nächste Jahrzehnt gestalten" und klimagerechten Wohlstand schaffen wollten. Die von der Union versprochenen "milliardenschweren Steuersenkungen", würden "zu einem massiven Rückgang der öffentlichen Investitionen" führen, warnte die Grünen-Chefin. Tatsächlich haben die Unionsparteien sich sowohl zur Beibehaltung der "Schuldenbremse" bekannt als auch versprochen, die Unternehmenssteuer zu senken. Wie sie damit ein "Modernisierungsjahrzehnt" finanzieren wollen, bleibt in ihrem Programm nebulös.
Allerdings sagte Baerbock auch Sätze, die klangen, als ginge es eher um sportlichen Wettkampf als um wichtige Zukunftsfragen: Sie freue sich auf die inhaltliche Auseinandersetzung mit der Union, einen "spannenden" Wahlkampf und "das Ringen um die Führung in diesem Land" - eine diplomatische Formulierung, weil damit nicht gesagt wird, ob es am Ende vielleicht doch nur darum geht, wer Seniorpartner in einer "grün-schwarzen" oder "schwarz-grünen" Regierungskoalition wird.
Ganz andere Töne hatte ihr Ko-Vorsitzender Robert Habeck angeschlagen, als es um ein mögliches Regierungsbündnis mit der SPD und der Partei Die Linke ging: Letzetere müsse sich erst einmal zur Nato bekennen, so seine Devise. Die Linkspartei müsse dadurch "in einem besonderen Maße beweisen, dass sie regierungsfähig und bereit ist, für dieses Land Verantwortung zu übernehmen", hatte Habeck Anfang Mai den Zeitungen der Funke-Mediengruppe gesagt.
Grüne Jugend hält Programme für unvereinbar
Solche "Ansagen" hat die Parteispitze der Grünen den Unionsparteien nie in Sachen Klimaschutz oder Soziales gemacht - auch nicht, als die ursprüngliche Friedens- und Ökopartei in den Umfragen kurzzeitig vor CDU und CSU lag. Lediglich die Grüne Jugend stellt seit Monaten eindeutig klar, dass sie keine "schwarz-grüne" oder "grün-schwarze" Koalition wünscht.
Die Vorsitzende der Grünen Jugend, Anna Peters, zeigte sich am Dienstag gegenüber Telepolis auch weniger "verwundert" über die Vorhaben der Union. Sie halte eine Koalition mit den Unionsparteien "nicht für machbar, weil wir ein starkes Wahlprogramm haben". Dieses sei mit dem Programm der Union in wesentlichen Punkten unvereinbar, sagte Peters. Es sei "peinlich" gewesen, wie deren Kanzlerkandidat Armin Laschet (CDU) bei der Pressekonferenz zur Vorstellung des Wahlprogramms am Montag "ein klimaneutrales Industrieland" versprochen habe, obwohl in diesem Programm für die kommende Legislaturperiode kein ernsthafter Schritt in diese Richtung genannt werde, so Peters.
Die Grüne Jugend steht der Schulstreikbewegung Fridays for Future nahe und orientiert sich an deren Forderung nach Klimaneutralität bis 2035. Mit dem Programm der Partei Die Linke wäre das vereinbar. Die Union verspricht Klimaneutralität erst für 2045 und will offenbar entscheidende Transformationsschritte noch nicht in der kommenden Legislaturperiode einleiten. Überraschend ist das nicht, es war zu erwarten. Viele, die mit dem Gedanken spielen, die Grünen zu wählen, tun das eher trotz als wegen der Affinität ihrer Spitzenpolitiker zur Nato. Sie wünschen sich ein "Mitte-Links-Bündnis".
Vor diesem Hintergrund äußerte sich auch eine Redakteurin der taz, die als Leib- und Magenblatt vieler Grünen-Wählerinnen und Grünen-Wähler gilt, vor wenigen Tagen kritisch über die Präferenzen der Parteispitze: "Grüne Sympathiebekundungen in Richtung Union gibt es zuhauf, aber in Richtung Linkspartei? Da fordert Habeck lieber ein Bekenntnis zur Nato, obwohl er weiß, dass er damit nur verstockte Antworten provoziert. Oder weil er es weiß."
Die Sympathiebekundungen sind nun dem Wahlkampfgetöse gewichen. Aber das Äquivalent zur Forderung nach einem Nato-Bekenntnis der Linken wäre in etwa die Forderung, Laschet, denn Anna Peters den "Kohle-König von NRW" nennt, müsse sich zu einem Kohleausstieg bis spätestens 2030 statt 2038 bekennen. Und von solchen Forderungen ist die Grünen-Spitze weit entfernt.