Grüner Tarnanstrich bei Wal-Mart?

Der Einzelhandelsriese poliert sein angekratztes Image

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Wal-Mart, der weltweit umsatzstärkste Einzelhändler, hat in jüngster Zeit diverse Umweltkampagnen lanciert - mit Erfolg. So forderte das Unternehmen an der Seite von Energiekonzernen Maßnahmen, um dem Klimawandel zu begegnen. In den USA wurde das als eine Art Kontinentalverschiebung wahrgenommen. Umweltschützer, die Wal-Mart vorher eher kritisch gegenüber standen, loben nun das Engagement des Unternehmens – stellenweise in ungewohnt euphorischen Tönen. Kritiker wie Stacey Mitchell vom Institute for Local Self-Reliance wittern hier jedoch bereits die perfide Weiterentwicklung von greenwash, denn diese Kampagnen haben neben dem Übertünchen von anderen Problemen vor allem einen Zweck: sie lenken davon ab, dass Geschäftsmodelle wie „big-box retailing“ nicht nachhaltig sind.

Wal-Mart Hauptquartier in Arkansas. Bild: Wal-Mart

Deep Shit, Arkansas

Im Juli 2006 fand im Hauptquartier von Wal-Mart in Bentonville, Arkansas, ein Umweltstrategie-Meeting statt. 800 Manager, Filialleiter, Zulieferer und die Leiter der verschiedenen Abteilungen des Unternehmens wurden einer gemeinsamen Gehirnwäsche unterzogen - geprägt vom hauseigenen Stil der Unternehmenskommunikation.

Nach dem Auftritt von Reverend Jim What would Jesus drive Ball vom Evangelical Environmental Network, der die neuen Umweltbemühungen von Wal-Mart mit dem Wirken von Jesus Christus verglich, ließ sich Al Gore nicht lumpen und setzte die Öko-Kampagne des Handelsriesen mit dem gerechten Kampf der Alliierten im Zweiten Weltkrieg gleich, alles gewürzt mit religiösen Bezügen. Für seinen Film „An Inconvenient Truth“, der ebenfalls aufgeführt wurde, heimste Gore stürmischen Beifall ein; mehrere Zuschauer waren damit beschäftigt, sich die Tränen aus dem Gesicht zu wischen.

Noch ein Jahr zuvor wäre eine solche Veranstaltung undenkbar gewesen, doch Wal-Marts neue Öko-Agenda und Gores mit politischen Ambitionen gepaarte Klimawandel-Missionarstätigkeit gehen nun eine wundersame Symbiose ein.

Wal-Mart-Hauptquartier in Bentonville, Arkansas. Bild: Google Earth

Was ist passiert?

Zu Beginn der 1990er Jahre existierte bei Wal-Mart nur eine sehr rudimentäre PR-Abteilung; man maß diesem Feld seinerzeit kaum Bedeutung bei. Doch das änderte sich schlagartig in der jüngsten Vergangenheit: das Unternehmen geriet aufgrund seiner Lohn- und Sozialpolitik immer wieder in die Schlagzeilen. Kritische Gruppen wie Wal-Mart Watch erhöhten den Druck, indem sie die Öffentlichkeit immer wieder über die Zustände bei Wal-Mart informierten.

Mittlerweile unterhält Wal-Mart eine PR-Abteilung mit dutzenden Mitarbeitern – einen Lageraum inbegriffen, in dem professionelle Polit-Funktionäre - unter ihnen ehemalige Präsidentenberater - Gegneranalyse betreiben wie sonst nur zu Präsidentschafts-Wahlkämpfen. Geschulte Mitarbeiter stehen rund um die Uhr zur Verfügung, um sofort auf „Notlagen“ zu reagieren – in Form von Presseerklärungen und Telefonaten mit Journalisten, zum Beispiel. Ein neues Betätigungsfeld der Krisenmanager ist das zielgerichtete Anfüttern von Bloggern mit vermeintlichen Exklusivinformationen direkt aus der Firmenzentrale.

Als erste Bewährungsprobe galt intern die Premiere des Greenwald-Films Wal-Mart: The High Cost of Low Price. Wal-Mart selbst trieb zeitgleich ein anderes Filmprojekt voran: "Why Wal-Mart Works & Why That Makes Some People Crazy", dessen Produzent Ron Galloway sich später von Wal-Mart distanzierte. Nun hat man ein neues Thema gefunden, das geeignet erscheint, Kritiker reihenweise verstummen zu lassen. Ausgerechnet der Kampf gegen den Klimawandel soll Wal-Mart ein neues Image bescheren.

Grosse Einzelhandelsketten wie Wal-Mart gelten bei Umweltschutzgruppen schon lange als schlechtes Beispiel. Ihre Randlagen auf der „grünen Wiese“ verschärfen die Tendenz zur vorstädtischen Zersiedelung bei gleichzeitiger großflächiger Landschaftsversiegelung. Die Aufrechterhaltung der gigantischen Versorgungsketten verlangt den Verbrauch großer Mengen Treibstoff. Wal-Mart betreibt in den Vereinigten Staaten unter anderem 1.063 Discount-Warenhäuser und 2.285 Supercenters (Stand: März 2007). Im Bild: Wal-Mart Southaven, Mississippi, gilt als geschäftigster Wal-Mart der Welt. Bild: Google Earth

Große Ziele...

Im Oktober 2005 kündigte Wal-Mart-Geschäftsführer H. Lee Scott an, das Unternehmen zu 100% mit erneuerbaren Energiequellen betreiben und keinen Müll mehr produzieren zu wollen. Seitdem folgten Präzisierungen dieser abenteuerlich anmutenden Zielsetzungen, die sich als geeignet erwiesen, Teile der US-amerikanischen Umweltschutzgruppen zu beeindrucken.

So soll das Festmüllaufkommen innerhalb von drei Jahren um 25% reduziert werden. Das Naturkost-Sortiment soll eine starke Erweiterung erfahren – bei massenkompatiblen Preisen. Gerade letzteres Ziel wird unter der Losung „Demokratisierung der Nachhaltigkeit“ publikumswirksam inszeniert. Für Kritiker stehen sich jedoch Wal-Marts Umgang mit Zulieferern, die sich einem gnadenlosen Druck durch den Einzelhändler ausgesetzt sehen, und die Eigenheiten von biologisch kontrolliertem Anbau unvereinbar gegenüber. Außerdem könnte der Begriff „organisch“ verwässert oder gar entwertet werden. Und der Dauerbillig-Preisphilosophie von Wal-Mart würden dann kleine, regionale Hersteller zum Opfer fallen – wie auch in anderen Branchen zuvor.

Für Scott spiegelt sich in Wal-Marts Öko-Engagement das Verantwortungsgefühls des Unternehmens als eins der größten der Welt wider. Und nicht nur der Klimawandel treibt ihn an. Scott ist nach eigener Auskunft als Großvater nunmehr aufmerksamer hinsichtlich des Zustands der Welt, die seine Enkelin eines Tages erben wird. 2005 noch brachte er Kritiker vor dem Hintergrund des exorbitanten ökologischen Fußabdrucks Wal-Marts zum Lachen, als er stolz verkündete, einen Lexus mit Hybrid-Technologie zu fahren.

"Organische Produkte" im Angebot: Bild: Wal-Mart

Das Unternehmen selbst schätzt, dass es 2005 für den Ausstoß von 15.3 Millionen Tonnen Kohlendioxid in die Atmosphäre verantwortlich war. Wal-Mart will seine Läden bis 2013 20% energieeffizienter machen, was einer Einsparung von 3,5 Millionen Megawattstunden jährlich gleichkäme. Auch an der Treibstoff-Ökonomie der Lastwagen-Flotte wird gearbeitet – bis 2015 will man mit 220,000 Kubikmeter weniger Diesel pro Jahr auskommen. Wal-Mart will zum Erreichen dieser Ziele jährlich 500 Millionen US-Dollar investieren.

...dick aufgetragen?

Nicht erwähnenswert scheint indes zu sein, dass mittlerweile 80% der Zulieferer Wal-Marts in China ansässig sind. Das Verschwinden vieler US-amerikanischer Fertigungslinien bis hin zu schlechten Arbeitsbedingungen in der chinesischen Massenproduktion ist direkte Folge der Unternehmensstrategie.

Und eine weitere Tatsache wird verschwiegen: der CO2-Ausstoß der Wal-Mart-Kunden (in den USA wöchentlich 100 Millionen Besucher). Das immense Wachstum der großen Einzelhandelsketten spiegelt sich auch in der Anzahl zurückgelegter „Einkaufs-Kilometer“ wider: zwischen 1990 und 2001 schwoll dieser Wert für den US-amerikanischen Durchschnittshaushalt um mehr als 40% an. Das bedeutet nicht, dass die Amerikaner nun mehr einkaufen, sondern dass für jeden Einkaufsbummel drei Kilometer zusätzlich zu fahren sind. Der allgemeine Trend zur Zersiedelung trägt nur teilweise Schuld daran. Es konnte gezeigt werden, dass der Anteil der Einkaufsfahrten dreimal stärker zunahm als der Anteil der Fahrten aus jedem anderen Grund.

Das Wachsen der Supercenter an den Stadträndern führte zum Verschwinden zehntausender innerstädtischer kleiner Geschäfte – deren ehemaligen Kunden fuhren nun mit dem Auto auf die „grüne Wiese“. Und noch ist kein Ende in Sicht – allein im Januar 2007 eröffnete Wal-Mart in den USA 70 neue Filialen. Bei den gegenwärtigen Wachstumsraten wird Wal-Mart bis 2015 weitere 80 Quadratkilometer Boden versiegelt und die vormals dort befindlichen CO2-Senken in Shoppingcenter und Parkplätze umfunktioniert haben.

Diese neuen Läden werden in Wal-Marts ökologischer Zukunftsinitiative nicht berücksichtigt. Allein deren Energiebedarf wird einen Ausstoß von mehr als einer Million Tonnen Kohlendioxid pro Jahr zur Folge haben.

In den Vereinigten Staaten gehen mittlerweile nicht nur die Stadtplaner davon aus, dass der Einzelhandelsmarkt übersättigt ist. In einem Bericht an Grundstücksinvestoren bemerkte das Beratungsunternehmen PricewaterhouseCoopers, dass das Land kaum mehr Shopping-Center, ganz gleich welcher Art, benötige.

“Kauft das jemand?”

Das vom neuen Aktionismus ausgelöste Wohlbefinden macht an den Grenzen des Wal-Mart –Imperiums nicht halt. Auch Umweltschützer werden dadurch mit Hoffnung erfüllt. Vertreter des Natural Resources Defense Council (NRDC) beispielsweise glauben, dass es Wal-Mart tatsächlich Ernst ist mit dem neuen Bewusstsein. Adam Werbach, ehemaliger Präsident des Sierra Club, hat dem Unternehmen für dessen Öko-Kampagne seinen guten Ruf zur Verfügung gestellt – mittlerweile ist er Berater bei Wal-Mart. Environmental Defense eröffnete gar ein Büro in Bentonville; Sam Walton Jr., Sohn des Wal-Mart-Vorstandsvorsitzenden Rob Walton, sitzt im Vorstand der Umweltschützer.

Für viele Beobachter ist Wal-Marts Bekenntnis zur Nachhaltigkeit allein schon ein großer Schritt in die richtige Richtung. Doch nun müsse sich das Unternehmen auch daran messen lassen, wie es dieses hehre Vorhaben Wirklichkeit werden lässt. Für Chris Kofinis von Wake Up Wal-Mart hingegen ist das ganze ein Manöver, um aus der Schusslinie der Kritiker zu kommen, die laut darüber nachdenken, weshalb ein Unternehmen mit 10 Milliarden US-Dollar Jahresgewinn nicht in der Lage ist, für annehmbare Löhne und eine Krankenversicherung für die Beschäftigten zu sorgen.

Wal-Marts Ankündigungen könnten sich als Augenwischerei erweisen, denn die Diskussion geht am eigentlichen Problem vorbei: wie „umweltfreundlich“ und „nachhaltig“ können Supercenter überhaupt sein, in denen ausgebeutete Mitarbeiter billige Massenartikel verkaufen, die am anderen Ende der Welt unter fragwürdigen Bedingungen produziert wurden? „Ständige Tiefpreise“ heißt die Botschaft (nicht nur) von Wal-Mart – an ihr sollte zu allererst gearbeitet werden.

Weitere Informationen zu Wal-Mart:

Is Walmart Good For America?

Rolf Geffken: Welt-Discounter China: Wal-Mart im Reich der Mitte Blätter für deutsche und internationale Politik 02 (2007) 229-238.