Guerilla Open Access und Robin-Hood-PR gegen Marktversagen

Seite 2: Wissenschaftsverlage in der Bedrängnis

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Wagte es Elsevier im Zuge der erwähnten Klage des Jahres 2015 (wenn auch mit einiger argumentativen Chuzpe) die Betreiber der Schattenbibliotheken als Schurken zu dämonisieren, die durch die ungehinderte Zugänglichmachung medizinischer Literatur die Gesundheit der Menschen gefährden (Wissenschaftsverlag Elsevier klagt gegen Schattenbibliothek), sieht man sich heute in die Defensive gedrängt.

Zu glaubhaft sind die Klagen der Neurowissenschaftlerin Elbakyan, wenn sie schildert, wie sie vergeblich wissenschaftliche Literatur, die sie dringend benötigte, nicht nutzen konnte, da diese - für sie als Privatperson und ihre Universität - unerschwinglich war. Eine Schilderung, der die Verlagslobby schlecht widersprechen kann, weil zahlreiche Wissenschaftler die dargestellte Situation sehr gut aus eigener Erfahrung kennen. Und eine Situation, die vielen Wissenschaftlern und Laien unakzeptabel erscheinen muss, wenn man bedenkt, dass alle wirklich wichtigen Arbeiten beim Publizieren von Journalartikeln von Wissenschaftlern übernommen werden und dass sie diese fast ausnahmslos ohne Entlohnung ausüben: Weder in ihrer Funktion als Autoren oder Gutachter noch als Herausgeber fließt Geld an die Wissenschaftler, wohingegen die großen kommerziellen Wissenschaftsverlage regelmäßig Gewinnmargen von 30 bis 40% erwirtschaften (Wissenschaftsjournale: Konzentration, Karriere und Kommerz) - wohl gemerkt aus Mitteln der öffentlichen Hand, die die Gehälter der Wissenschaftler, die Artikel schreiben, begutachten und herausgeben, genauso finanziert wie die Budgets der Universitätsbibliotheken, die diese Artikel dann von den Verlagen zurückkaufen und so deren Profite schaffen.

Elsevier etwa erwirtschaftet teils Gewinne von über 800 Millionen £ im Jahr (Spenden für die Transparenz an Hochschulen). Elbakyan spricht gern und detailliert über das gewinnbringende, aber von vielen Wissenschaftlern als fragwürdig erachtete Geschäftsmodell der Wissenschaftsverlage und dies dürfte den Verlagen mindestens so unliebsam sein wie die Existenz der Schattenbibliotheken und der durch diese geminderten Einnahmen.

Schließlich stehen urplötzlich die Verlage am Pranger und nicht die Piraten: Durch Sci-Hubs mediale Präsenz werden nun Zahlen diskutiert, die die Frage aufwerfen, warum Wissenschaftsverlage eigentlich mitunter 10.000 bis 20.000 € für die Lizenzierung einer wissenschaftlichen Zeitschrift kassieren und damit in der Summe der Wissenschaft viel Geld entziehen, wenn sie derart deftige Gewinne erwirtschaften - ohne der Wissenschaft oder öffentlichen Hand etwas zurückzugeben.

Auch die Praxis, in die Lizenzierung von Zeitschriftenpaketen bei Vertragsabschluss jährliche Preissteigerungsraten von teils zwischen 5 und 10 % oder mehr fix einzupreisen, dürfte in anderen Branchen unüblich sein und vermutlich wären die Verlage froh, sie würde nicht so breit diskutiert, wie es nun dank Sci-Hub der Fall ist. Diese fixen Steigerungen summieren in wenigen Jahren auf Teuerungen von 50% und mehr und werden schnell zu handfesten Belastungen für Bibliotheksetats.

Unzureichende Verfügbarkeit an Wissenschaftsliteratur als globales Problem

Wer jetzt denkt, nur Wissenschaftler aus finanziell schwachen Nationen wären vom erschwerten Zugang zu wissenschaftlichen Journalartikeln betroffen, täuscht sich. Bereits 2012 befürchtete die Harvard University Versorgungsengpässe wegen der geschilderten Journalkosten und monierte, die Preisgestaltung der Wissenschaftsverlage habe zu einem finanziell nicht tragfähigen und in akademischer Hinsicht restriktiven wissenschaftlichen Kommunikationssystem geführt Wissenschaftsjournale werden für Uni-Bibliothek zu teuer.

An der ebenfalls nicht als mittellos anzusehenden Cornell University trennte man sich bereits 2003 auf Kostengründen von zahlreichen Elsevier-Journalen. Dass nicht nur Wissenschaftler wirtschaftlich benachteiligter Regionen Opfer solcher Versorgungsprobleme sind, bestätigt auch die Einschätzung Balázs Bodós, eines Experten in Sachen Schattenbibliotheken, der zufolge die Nutzer der Angebote aus allen erdenklichen Ländern, auch den USA, Deutschland oder den Niederlanden, stammen.