Guerilla Open Access und Robin-Hood-PR gegen Marktversagen

Seite 4: Guerilla Open Access stellt den Verkauf wissenschaftlicher Literatur und legalen Open Access auf den Prüfstand

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Sci-Hub bringt aber nicht nur das Finanzierungsmodell von Wissenschaftsverlagen und die damit produzierte Unterversorgung mit wissenschaftlicher Literatur zurück auf die Agenda, der Dienst verweist - wie die anderen, verborgenen Schattenbibliotheken auch - zudem darauf, dass legaler Open Access (Die Farbenlehre des Open Access) die Informationsengpässe in der Wissenschaft aktuell nicht behebt.

Open Access ist ein Modus wissenschaftlichen Publizierens, der dem oben geschilderten Verfahren, in dem Wissenschaftler oder Universitätsbibliotheken für die Nutzung wissenschaftlicher Literatur zahlen müssen, entgegengesetzt ist: Open-Access-Literatur kann entgeltfrei genutzt werden. War Open Access in seinen Anfängen noch ein durch und durch idealistisches Unterfangen, das auf der freien Verfügbarkeit wissenschaftlicher Literatur beruhte, wird es zusehends ein Geschäftsmodell, in dem kommerzielle Verlage von Autoren teils hohe Gebühren für die Veröffentlichung eines Open-Access-Artikels verlangen (Open Access unter Ausschluss der Öffentlichkeit?).

Die Existenz von Schattenbibliotheken zeigt für den Verkauf und die Lizenzierung wissenschaftlicher Texte ganz sicher, dass es den Verlagen nicht gelingt, die Nachfrage nach wissenschaftlicher Literatur zu befriedigen - dies gelänge ihnen wohl besser, wenn die Lizenzgebühren moderater wären. Andererseits könnte sich für den Open Access die Frage stellen, ob Wissenschaftler nicht einfach lieber ihre Artikel via Sci-Hub mit Kollegen teilen, die an ihrer Universität keinen Zugriff darauf haben, als ihn wie im Fall von Publikationen der American Geophysical Union für 3.500 US-$ oder des Journals Leukemia and Lymphoma für satte 4.667,83 € im Open Access publizieren zu dürfen.

Andere Verleger langen für Open-Access-Publikationen gar noch mehr hin: Nature Communication veranschlagt bis zu 5.200 US-$. Auch Wissenschaftler betrachten die mitunter hohen Publikationsgebühren mit Sorge: So beklagen aktuell Autoren die Gebührenhöhe von 2.150 US-$ für Open-Access-Publikationen im Elsevier-Journal Cognition.

Dank Sci-Hub findet sich unvermittelt der von kommerziellen Verlagen verabscheute Guerilla Open Access in den Feuilletons. Diese von Aaron Swartz begründetet Open-Access-Variante schert sich anders als der legale Open Access nicht um Copyright Transfers und stellt wissenschaftliche Dokumente unter Ignoranz möglicher rechtlicher Implikationen Open Access. Vertreter des Guerilla Open Access betrachten das althergebrachte System des Verkaufens wissenschaftlicher zwar mitunter als rechtens, aber als ungerecht und nicht-reformierbar, weswegen man sich über Copyright und Verwertungsrechte schlicht hinweg setzt.

Das Open Access Guerilla Manifesto macht die Rechteverletzung fast zur moralischen Pflicht, in dem es postuliert "sharing isn't immoral — it's a moral imperative".

Der Guerilla Open Access könnte für Wissenschaftler auch einen Ausweg aus der Prestige-Falle des legalen Open Access bieten. Zwar existieren je nach Fach angesehene und hochzitierte Open-Access-Journale, die für Wissenschaftler attraktive Publikationsangebote sind, in anderen Fächern oder Subdisziplinen sind diese Journale aber entweder selten oder vermitteln den Autoren nicht genug Reputation, so dass sie im Zweifelsfall bei aller womöglich vorhandenen Sympathie für Open Access doch lieber traditionell publizieren.

Ein unkomplizierter Ausweg aus diesem Dilemma könnte es für Wissenschaftler sein, um der Karriere willen nicht im legalen Open Access zu publizieren, aber um der Verfügbarkeit willen Dokumente oder Login-Daten an Sci-Hub zu spenden und den Guerilla Open Access zu fördern.

Idealismus, Recht und Unrecht

Aaron Swartz wurde sein Idealismus übrigens zum Verhängnis, er kopierte angeblich knapp fünf Millionen wissenschaftliche Artikel aus der Datenbank JSTOR und stand deswegen 2011 unter Anklage. Die JSTOR-Anbieter legten ihre Klage nieder, da Swartz die Dateien nicht veröffentlicht und zudem JSTOR wieder ausgehändigt hatte.

Allerdings verfolgte der Staatsanwalt Stephen Heymann die Angelegenheit weiter, Swartz drohte unter anderem eine 35-jährige Gefängnisstrafe sowie eine Geldstrafe in Höhe von 1 Million US-$. 2013 beging der als depressiv geschilderte Swartz Selbstmord.

Elbakyan will derlei Unbill meiden und verlässt Russland aus Angst vor einer Strafverfolgung durch US-amerikanische Behörden lieber nicht. Im Übrigen bestreitet sie die Illegalität des Dienstes und beruft sich dabei auf das Prinzip des Fair Use der US-amerikanischen Rechtsprechung, das besagt: "reproduction (…) for purposes such as (…) teaching (…), scholarship, or research, is not an infringement of copyright." Und sie beruft sich auf Artikel 27 der Menschrechtserklärung der Vereinten Nationen, der ausführt: "Jeder Mensch hat das Recht, am kulturellen Leben der Gemeinschaft frei teilzunehmen, sich der Künste zu erfreuen und am wissenschaftlichen Fortschritt und dessen Wohltaten teilzuhaben."