Gute Nachricht: Eine rasante globale Energiewende ist möglich
Seite 2: Globale Transformation ist eine Win-Win-Geschichte
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Neben der Wuppertal- und EWG-Untersuchung existieren auch zahllose 100-Prozent-Studien und -Initiativen in Städten und Landkreisen. Sie belegen ebenfalls eindrücklich, trotz aller Unterschiede in Details, dass ein rapider Wechsel im gegenwärtigen System ohne grundsätzliche wirtschaftliche Einbußen machbar ist. Die Botschaft ist: Eine saubere Energiewirtschaft ist möglich.
Das gilt auch für die globale Transformation. 2009 entwickelten die Forscher Mark Z. Jacobson von der Stanford University und Mark A. Delucchi von der University of California ein detailliertes Null-Emissionsszenario für die gesamte Welt, veröffentlicht im renommierten Wissenschaftsmagazin Scientific American. Es enthält eine vollständige Umstellung der Energieversorgung bis zum Jahr 2030.
Windkrafträder, Solarpanels, Gezeiten- und Wellenkraftwerke sowie geothermische Anlagen könnten bis dahin die benötigte Globalenergie erzeugen, so die Forscher, billiger zudem, als die fossilen Energien. Die Investitionskosten schätzt die Studie auf 100 Billionen US-Dollar.
Da Sonne, Wind und Wasser keine Rechnung schicken und die Förder- und Transportkosten für fossile Brennstoffe, Kraftstoffe und Strom zwischen 5,5 und 7,75 Milliarden Dollar pro Jahr liegen, bilanziert die Studie, dass der Energiewechsel selbst dann wirtschaftlicher sei, wenn nur die direkten Energiekosten angesetzt würden, exklusive der Klima-, Umwelt- und Gesundheitsschäden.
Neuere Daten von finnischen und deutschen Wissenschaftlern dokumentieren zudem, dass vor allem die stark gefallenen Preise für Stromspeicher-Batterien den Übergang zunehmend erleichtern, während die Internationale Agentur für erneuerbare Energien (IRENA) schätzt, dass die weltweite Batteriespeicherkapazität bis zum Jahr 2030 um das 17- bis 38-fache steigen könnte.
Die wissenschaftlichen Szenarien zeigen, dass ab spätestens 2050 die Energieproduktion weltweit nicht mehr auf Kohle, Gas und Öl angewiesen sein muss. Das 100-Prozent-Szenario beinhaltet dabei: 69 Prozent Solarenergie, 18 Prozent Windenergie und der Rest zu großen Teilen Wasserkraft.
Die globale Energiewende würde zudem jedes Jahr viele neue Jobs schaffen. Die Kosten für eine Megawattstunde würden dabei von gegenwärtig 82 auf 61 Dollar fallen. Der deutsche Leitautor der internationalen Untersuchung Christian Beyer fasst die Ergebnisse der Studie mit folgenden Worten zusammen:
Die Energiewende ist längst keine Frage mehr der technischen Machbarkeit oder ökonomischen Durchführbarkeit, sondern des politischen Willens.
Auch der US-Forscher Robert Pollin, einer der renommiertesten Klimaökonomen weltweit, kommt zu ähnlichen Ergebnissen. Seine Untersuchungen zu einem globalen Green New Deal zeigen, dass der Aufbau eines 100 Prozent sauberen Energiesystems etwa 2,5 Prozent des weltweiten jährlichen BIPs in den nächsten dreißig Jahren erfordern wird.
Ja, das ist in Dollar ausgedrückt eine Menge Geld, etwa zwei Billionen Dollar ab jetzt und danach ansteigend. Aber es bedeutet immer noch, dass 97,5 Prozent der weltweiten Wirtschaftstätigkeit für andere Dinge als Investitionen in saubere Energie verwendet werden können.
Nach Berechnungen des Forscherteams unter Leitung von Pollin werden durch den Green New Deal durchschnittlich 160 Millionen Arbeitsplätze pro Jahr weltweit zwischen 2021 und 2030 hinzukommen.
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Die Forscher widersprechen auch der Sorge, dass es nicht genügend verfügbare Flächen für Solar- und Windkraftanlagen gebe. So habe die Physikerin Mara Prentiss von der Harvard University in ihrem 2015 erschienenen Buch "Energy Revolution: The Physics and the Promise of Efficient Technology" gezeigt, dass weit weniger als ein Prozent der gesamten US-Landfläche benötigt würde, um 100 Prozent des Energiebedarfs der USA zu decken.
Der größte Teil dieses Flächenbedarfs könne beispielsweise durch die Anbringung von Solarzellen auf Dächern und Parkplätzen und den Betrieb von Windturbinen auf etwa sieben Prozent der derzeitigen landwirtschaftlichen Flächen gedeckt werden.
Auch an Geld fehlt es nicht. So schätzt der Internationale Währungsfonds (IWF), dass fossile Energien jedes Jahr bis zu 5,9 Billionen Dollar an direkten und indirekten staatlichen Hilfen erhalten (inklusive der Kosten für Umwelt- und Gesundheitsschäden etc.). Das macht Kohle, Öl und Gas deutlich billiger, als sie ohne die staatlichen Schutzschirme wären. Erneuerbare erhalten demgegenüber nur 110 Milliarden Dollar an direkten Subventionen. Die Gelder müssen nur umgelenkt werden.
Ein weiterer Einwand gegen die schnelle Energiewende ist, dass in kurzer Zeit nicht genügend Solarpaneelen bzw. Windräder bereitgestellt werden können. Dieser Pessimismus wirkt ein wenig merkwürdig in Staaten, die ständig schwierige technologische Probleme lösen, Unsummen für komplizierte Waffensysteme bereitstellen, Menschen regelmäßig zu Weltraumstationen fliegen oder die Flugrichtung von Asteroiden durch auf ihnen landende Roboterraumfahrzeuge ändern.
Der energetische Infrastrukturumbau ist sicherlich nicht trivial, aber lösbar. Der Ingenieur Tom Solomon hat im "Land der unbegrenzten Möglichkeiten" zum Beispiel berechnet, dass die USA 295 Solarpanel-Fabriken in der Größe der Gigafabrik in Buffalo bauen müssen, um das Land auf Null-Emissionen zu bringen. "Gigafabrik" wird sie genannt, weil dort im Jahr so viele Solarmodule herstellt werden, um damit ein Gigawatt an Strom erzeugen zu können.
Dazu müsste die gleiche Anzahl an Großbetrieben für Windräder entstehen. So könnte die für ein klimaneutrales Amerika benötigte Menge von 6448 Gigawatt bereitgestellt werden. Umgerechnet hätte also jeder US-Bundesstaat sechs Solar- und sechs Windrad-Fabriken für die Dekarbonisierung zu errichten.
Eine derartige industrielle Mobilisierung hat es historisch in ähnlicher Form schon gegeben, am Beginn der Industrialisierung oder auch, als die Vereinigten Staaten in den 2. Weltkrieg einstiegen und von heute auf morgen die zivilen Industrien zu Kriegsindustrien konvertierten. Statt Autos wurden damals in kurzer Zeit enorme Mengen an Panzer und Kampfjets hergestellt.
Die positive Botschaft lautet also: Die rasante Energiewende ist möglich. Sicherlich, mit dem Infrastrukturumbau sind am Anfang Investitionen verbunden. Sie werden sich aber schnell rechnen, in Form von Konjunkturimpulsen und Arbeitsplätzen – ganz abgesehen von der Vermeidung diverser Schädigungen und damit verbundenen Kosten, die mit dem Verbrennen von Kohle, Gas und Öl einhergehen.
Was fehlt, und das zeigt die derzeitige COP28 leider erneut, ist der politische Wille, einen fairen Green New Deal in den Industriestaaten und weltweit umzusetzen – wobei die Hauptverursacher der Klimakrise, die reichen Staaten, den armen Länder im Globalen Süden dabei finanziell und technologisch helfen müssen. (Die Kosten für diesen Geldtransfer für die Transformation werden auf rund eine Billion Dollar pro Jahr geschätzt.)
Die Frage ist, ob die Regierungen von Bürger:innen und den Zivilgesellschaften in den nächsten Jahren dazu gebracht werden können, den Kurs rechtzeitig und schnell zu ändern. Denn von allein werden sie die notwendigen radikalen Änderungen nicht unternehmen. So viel sollte aus der Geschichte der Klimakonferenzen und ihres Versagens deutlich geworden sein.