Habeck-Rede auf Grünen-Parteitag: Hübsch verpackte Sachzwang-Logik
"Unsere Ideologie heißt Wirklichkeit", meint der Minister. Doch er lässt nur Ausschnitte der Wirklichkeit gelten. Was daran gefährlich ist. Ein Kommentar.
"Als Anti-Partei gegründet, sind wir heute eine tragende Säule der demokratischen Kultur dieses Landes", übte sich Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck in Eigenlob. Der Schlüsselsatz seiner Rede auf dem Grünen-Parteitag in Karlsruhe: "Unsere Ideologie heißt Wirklichkeit."
Gemeint war das wohl als Selbstverteidigung gegen den Vorwurf, seine Partei bestehe aus Traumtänzern, weil sie sich überhaupt noch oder wenigstens vorgeblich um den Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen schert – es erinnert aber frappierend an das neoliberale Mantra von "Ideologiefreiheit" und angeblichen Sachzwängen, die keineswegs Naturgesetze sind.
Im Zusammenhang mit der Behauptung, sich nur der harten Realität zu beugen, fällt oft auch das Stichwort "alternativlos". So wurde auch der Sozialabbau der "Agenda 2010" dargestellt, durchgepeitscht von einer "rot-grünen" Bundesregierung.
Ganz so will Habeck es aber nicht verstanden wissen. Politik sei "das Übersetzen von erkannten Notwendigkeiten in gesellschaftliche Möglichkeiten", sagte er in seiner Rede – um gleich am Anschluss wieder zu suggerieren, dass im Grunde leider der russische Präsident die Prioritäten deutscher Politik vorgibt.
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Habeck bringt es sogar fertig, den Satz "Wir haben die Folgen der Pandemie geerbt, und als wir sie gerade überwunden hatten, kam der Angriffskrieg Putins" ohne das Wort "Ukraine" zu formulieren – als sei dieser Krieg direkt über Deutschland gekommen.
Das ist er natürlich genauso wenig wie der Krieg des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan im Nordosten Syriens. Nur in diesem Fall benennen Mitglieder der Bundesregierung nicht so gern den Aggressor.
Bei Habeck folgen die Sätze: "Wir haben die Energiekrise abgewehrt, und als wir die Lage stabilisiert hatten, kam die Konjunkturschwäche; und als wir gerade wieder dabei waren, die Grundlagen für Standort und Wachstum zu legen, fehlt uns nun das Geld. Aber wir werden auch da Lösungen erarbeiten, Lösungen finden und weiterkämpfen und gewinnen."
Brave "Realos" gegen Abschaffung der Schuldenbremse
Er selbst fordert statt der bisherigen Schuldenbremse eine "grün-goldene Investitionsregel". Die meisten Delegierten der Grünen erwiesen sich dann auch auf dem Parteitag als gute "Realos" indem sie auf den zentralen Dringlichkeitsantrag ablehnten, in dem die Abschaffung der Schuldenbremse in jeder Form gefordert wurde.
Wer auch immer Habecks Rede geschrieben hat, kann wirklich gut verpacken, dass letztendlich olivgrüne Prioritäten und neoliberale "Sachzwänge" gelten – und dass dadurch leider auch die deutsche Wirtschafts- und Klimapolitik nichts Halbes und nichts Ganzes sein kann.
Unterdessen dauert der Abnutzungskrieg in der Ukraine schon mehr als 20 Monate – das Durchschnittsalter der Soldaten lag bei Kriegsbeginn noch zwischen 30 und 35 Jahren, jetzt liegt es bei 43 Jahren liegt.
Ziel der ukrainischen Führung ist dabei nicht nur der Abzug der russischen Truppen aus den seit 2022 besetzten Gebieten, sondern auch die Rückeroberung der 2014 annektierten Halbinsel Krim; die deutsche Außenministerin und Grünen-Politikerin Annalena Baerbock hat sich hinter dieses Ziel gestellt und über "Kriegsmüdigkeit" in Deutschland geklagt.
Gestorben wird aber in der Ukraine; und das Recht auf Kriegsdienstverweigerung gilt dort nicht. Mehr als 20.000 ukrainische Männer wurden deshalb bis September dieses Jahres an der Ausreise gehindert.
Selbst unter diesen Umständen weiterhin Waffenhilfe in Milliardenhöhe zu leisten, versuchen die Spitzen-Grünen ihrer Basis als Solidarität zu verkaufen, die es wert ist, Soziales und Klimaschutz im eigenen Land vernachlässigen.
Das Zauberwort heißt Zeitenwende
"Diese gewendete Zeit werden wir nur bestehen, wenn wir uns auf die Welt einlassen, wie sie ist", schrieb Habeck in Karlsruhe nicht nur seiner Partei, sondern dem ganzen Land ins Stammbuch. Was richtig wäre, wenn es um den Abschied von der Wunschvorstellung geht, dass der fossile Kapitalismus noch 100 Jahre Wohlstand gewährleisten könnte.
Doch "gewendete Zeit" kommt von "Zeitenwende", bezogen auf den russischen Einmarsch in die Ukraine – und das war im Februar 2022 das Schlüsselwort, mit dem Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und die Ampel-Regierung inklusive der Grünen den Bruch zahlreicher Wahlversprechen legitimiert haben. Ein Sondervermögen von 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr wurde damals bereitgestellt.
Dass die vor wenigen Tagen kurzfristig verhängte Haushaltssperre auch für dieses Sondervermögen gelten soll, wurde von der Bundesregierung eilig dementiert.
Als Teil dieser Bundesregierung sieht Habeck seine Partei nun als "tragende Säule der demokratischen Kultur dieses Landes".
Streit gibt es allerdings mit der eigenen Basis und der Nachwuchsorganisation Grüne Jugend, wenn es um den Umgang mit Menschen geht, die aus Kriegs- und Krisengebieten fliehen. "Wir halten die aktuellen migrationspolitischen Entwicklungen für falsch", sagte die Chefin der Grünen Jugend, Svenja Appuhn, im Gespräch mit dem Focus.
"Das, was wir erleben, das sind de facto die krassesten Verschärfungen des Asylrechts seit 30 Jahren. Wir reden davon, dass Menschen, die bei uns Schutz suchen, in haftähnlichen Zuständen in Außengrenzlagern gehalten werden sollen. Wir reden davon, dass jetzt Sozialleistungen für Geflüchtete gekürzt werden sollen, obwohl wir wissen, dass Sozialleistung Integration überhaupt ermöglichen."
Bemerkenswert ist auch, dass selbst russische Deserteure und Kriegsdienstverweigerer kein Asyl bekommen. Ein unblutiger Beitrag zur Schwächung von Putins Kriegsmaschinerie wird offenbar von dieser Bundesregierung nicht geschätzt.