Hacktivismus
Neue soziale Protestform oder grober Unfug?
Die Neuauflage des "virtuellen Sit-ins", das die "Electro-Hippies" als Protest gegen die WTO- Ministerkonferenz im Netz ein- oder angerichtet haben, fordert zum lauten Nachgrübeln über diese Protestform heraus. Ist es eine legitime Übertragung der Protestform der öffentlichen Demonstration aus dem analogem Raum in die Welt der Netzwerke, oder eine fehlgeleitete gute Absicht, die den selbstgenannten Zielen durch die Form der Ausführung mehr schadet als zuträglich zu sein?
Die Electro-Hippies agierten nach dem Modell des Floodnet, entwickelt vom Electronic Disturbance Theatre, das bisher vor allem in der Sache der Zapatistas angewendet wurde. Eine Website bietet einen Start-Button an, woraufhin sich 6 Frame-Fenster öffnen, die alle unabhängig in kurzen Abständen bestimmte URL's aufzurufen beginnen. Damit habe man an zwei hintereinanderfolgenden Tagen die Web-Server der WTO zumindest deutlich verlangsamt, hieß es in einem Zwischenbericht der E-Hippies (siehe Virtuelles Sit-in angeblich erfolgreich). Aber nicht nur, dass man bezweifeln kann, was die WTO-Server, wenn überhaupt, langsamer gemacht hat, auch das Konzept der Attacke selbst forderte Kritik heraus. An die vorderste Front der Kritiker stellte sich Patrice Riemens, der schon Tage vor der Aktion auf Malinglisten die Electro-Hippies angriff. Riemens, der mit Amsterdamer Hackerkreisen in Verbindung steht, schrieb:
""Hacker" Und "Hacktivisten" haben wenig miteinander zu tun, weil Aktionen im Stile von Floodnet dem Netzwerk Schaden bringen. Der Schaden ist üblicherweise gering, aber trotzdem bedenklich, da er meist stärker auf der Seite des Urheberes (Angreifers) als auf der Seite des Zieles (Feind) zu spüren ist. Ein schönes Beispiel dafür liefert die Überflutung der Seiten der WTO, die jüngst von den Electro-Hippies initiiert wurde. Die begann damit, dass die Maschinen ihres eigenen Providers überlastet wurden (Ich nehme an, die darauffolgenden Verhandlungen mit dem Provider verliefen weit weniger einfach, als Paul Mobbs uns glauben machen möchte.) Hacker haben eine sehr geringe Meinung von allem, was Netzinfrastruktur in irgendeiner Form unterbricht, zerstört, verlangsamt, leicht beschädigt "
Die Infowar-Agenda
Ein weiterer Kritikpunkt, nicht nur für Hacker, ist die Publicity, die durch Hacktivisten entsteht. Selbst den Betreibern von Protesten wie Floodnet, Electro-Hippies oder auch des Jam Echelon Days ist es bewusst, dass die tatsächliche technische Effizienz fraglich ist, inwiefern also "Feindsysteme" wirklich überbelastet oder gar in die Knie gezwungen werden. Trotzdem führen sie mit einer Ich-Auch-Mentalität ihre Aktionen durch und erhalten ihren 15-Minuten-Medienruhm. Ähnlich wie die Attacke selbst kann diese PR zurückschlagen, denn "Hacktivismus" verkauft sich derzeit ganz gut als neuestes Internet- Schreckgespenst.
In den meisten Medien werden Hacktivisten als die High-Tech-Hexenmeister einer Anarcho- Weltverschwörung porträtiert und es wird ihnen ein technisches Niveau ebenso wie eine organisatorische Allmacht (klandestin aber omnipräsent) unterstellt, die sie gar nicht haben.Es kümmert die Zeitungsschreiber wenig, dass sich jeder mit grundlegenden HTML-Kenntnissen und einer "Javascript in 20 Schritten CD-CROM" mit Beispielprogrammen die Programmierung einer Site wie die der Electro- Hippies an einem halben Tag zusammenklauen kann. Selbst die normale Anwendung von Internet- Kommunikationsmöglichkeiten wie Mailinglists, Chat oder Newsgroups wurde im Zusammenhang der Anti-WTO-Proteste gewöhnlich unter einem High-Tech-Verschwörer-Extremismus-Blickwinkel präsentiert.
Das hat eine öffentliche Meinung zum Resultat, welche wiederum den Ruf der verschiedenen Geheim- und Nachrichtendienste nach größeren Budgets und verbesserten Zugriffsmöglichkeiten gerechtfertigt erscheinen lässt. Es ist zu befürchten, dass die schlechte Presse, die der Hacktivismus dem Genre bringt, zu einer Verschärfung der Gesetzeslage und Einengung von digitalen Bürgerfreiheiten herangezogen werden kann. So wird mit geringem Einsatz zwar viel Publicity erzeugt, die aber nichts zur Diskussion wirklich wichtiger Themen an der Schnittstelle von Computertechologie und Zivilgesellschaft beiträgt.
Hacktivismus soft
Doch versuchen wir, Hacktivismus etwas weniger kritisch zu sehen, gestatten wir ihm einen "Slackness- Faktor". Dann könnte man zumindest sagen, dass der Hacktivismus neue Protestformen im elektronischen Raum austestet. Wegen dieser Neuheit seien diese Methoden alles andere als perfekt. Aber schließlich hat der elektronische Raum, anders als die realen Räume, ja keinen sogenannten öffentlichen Raum, in dem ein Protest stattfinden kann, also müsse man diesen mit hacktivistischen Methoden erst schaffen, was notwendigerweise an der Grenze des Legalität liege.
Das alles zugestanden, erscheint die Inhaltlichkeit der letzten Aktion der Electro-Hippies immer noch bedenklich. So rief man zum Beispiel zu einer zweiten Runde eines verstärkten Protests auf, bei dem die WTO-Server zu dem Zeitpunkt lahmgelegt werden sollten, wenn die Konferenz-Protokolle und Abschlussberichte veröffentlicht werden würden. Doch selbst angenommen, jemand wäre ein fundamentaler Gegner der WTO, dann wären für diese Person gerade diese Dokumente besonders interessant. Ob Information zu ersticken jemals die geeignete Methode sein kann, ist noch eine grundsätzlichere Frage, die über dieser Unternehmung schwebt. Selbst wenn ich aber soweit gehen würde, die Informationen eines "Gegners" auslöschen zu wollen, müsste ich dann ja meine eigene Ersatzinformation anzubieten haben. Doch auch auf diesem Gebiet taten sich die Electro-Hippies nicht gerade hervor. Einige Links zu ohnehin existierenden N30- und Anti-WTO-Sites, nicht einmal ein ausformuliertes Anliegen für den Vorschlag, der WTO und den Ministern zum Abschluss noch Emails mit großen Textattachments zu schicken - das war geboten.
Nicht zuletzt wird damit der Punkt angesprochen, wie sich eine Aktion wie die der Electro-Hippies zum gesamten Rest, dem realen Anti-WTO-Protest verhält. Während Zehntausende tagelang mit tränenden Augen versuchten, in den Straßenschluchten von Downtown-Seattle Polizeischlagstöcken zu entkommen, saßen die virtuellen Protestierer gemütlich zu Hause und aktivierten den Startknopf des Javascript-Fensters. Der virtuelle Protest vereinnahmt zwar das Thema für sich, läßt sich aber weder auf die realen Gefahren noch auf die Inhalte wirklich ein. Mehr als zu verbinden oder zu unterstützen, usurpiert der virtuelle Protest eigentlich den realen. Die Teilnahme kann mit der gleichen distanzierten Teilnahmslosigkeit erfolgen wie bei FoodNetAid oder dem Auffüllen des E-Shopping-Korbs.
Zieht man dazu noch die anderen Anklagepunkte in Betracht - Überbelastung von Netzressourcen, Verursachung negativer PR, die zurück schlägt, Ineffizienz, geringe inhaltliche Beteiligung - so hat der Hacktivismus tatsächlich noch einiges zu lernen und es bleibt abzuwarten, ob die Entwicklung verbesserter Methoden gelingt. Bislang ist "hacktivism" günstigstenfalls ein neuer Ansteckknopf für Fans des Guerrilla- Chic als tatsächlich von politischer Bedeutung.