"Härter als Le Pen"
Seite 2: Rechtsextremes Gewaltpotenzial: Vorläufig an die Leine gelegt?
- "Härter als Le Pen"
- Rechtsextremes Gewaltpotenzial: Vorläufig an die Leine gelegt?
- Breite Medienpräsenz für Marine Le Pen
- Strategie nicht durch Abenteurertum gefährden
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Entsprechend hält der RN zumindest derzeit die stärker aktionshungrigen Gruppen und Grüppchen, die um ihn herumkreisen, derzeit auffällig an der kurzen Leine - anders als besonders in den neunziger Jahren, als auch Gewalttäter aus den eigenen Reihen durch die damalige Parteiführung des FN eher ermutigt denn verurteilt oder fallengelassen wurden.
Deren Tatendrang führt durchaus in einigen Kreisen bis hin zur terroristischen "Versuchung". Im Januar dieses Jahres wurde die Verhaftung von fünf Armeeangehörigen, die in einen überdimensionierten illegalen Waffenhandel verwickelt waren und der "ultradroite" - so wird gewöhnlich die außerparlamentarische extreme Rechte bezeichnet - nahe standen, publik.
In der Nacht vom 22. zum 23. Dezember 2020 erschoss Frédéric Limol in dem zentralfranzösischen Dorf Saint-Just drei Gendarmeriebeamte, die sich in einen von seiner Seite her gewalttätig ausgetragenen Ehestreit eingeschaltet hatten, und im Anschluss sich selbst. Sein Profil: Waffensammler, Anhänger von Survivaltraining, katholischer Fundamentalist und militanter Impfgegner.
Durchsichtiges politisches Erpressungsmanöver?
Das Regierungslager seinerseits ist dabei insbesondere darum bemüht, jede linke Wahloption auszuschließen, indem die unterschiedlichen Linkskräfte dazu gezwungen werden, im Namen des Antifaschismus hinter den derzeit Regierenden die Reihen zu schließen.
Teile unter anderem der linkspopulistischen Wahlplattform La France insoumise (LFI) reagieren darauf, indem sie in den letzten Wochen lautstark darüber debattieren, wie man sich nicht länger in eine solche Scheinalternative einzwängen und ob man nicht beim nächsten Mal den Stimmaufruf lieber verweigern solle.
Wie das Wochenthema der linksliberalen Zeitung Libération vom 27./28. Februar zum Thema "Das Ende des wahlpolitischen Dammbaus" belegt, geht die Tendenz, sich nicht länger im Namen des "Schutzdamms (faire barrage) gegen die rechte Gefahr" in letzter Instanz auf die Regierungspolitik einschwören zu lassen und in einer hypothetischen Stichwahl Macron/Le Pen nicht mitzuspielen, längst über reine Parteistrategiedebatten hinaus und verläuft quer durch weite Bereiche der parteipolitisch gebundenen oder ungebundenen, Linken.
Auch Le Monde und die Sonntagszeitung JDD legten im März dieses Jahres zu dem Thema nach. Bei La France insoumise spricht sich inzwischen ein Flügel um den Psychoanalytiker Gérard Miller ziemlich explizit für eine Enthaltung oder Stimmverweigerung im Falle einer neuerlichen Stichwahl zwischen Macron und Le Pen aus, trotz scharfer Kritik aus manchen bürgerlichen Medien.
LFI-Präsidentschaftskandidat Jean-Luc Mélenchon äußert sich da zwar stärker zurückhaltend, beruft sich jedoch auf explizite Liebäugeleien etwa von Macrons Innenminister Gérald Darmanin mit Erwartungen der rechtsextremen Wählerschaft (oder jedenfalls einige ihrer Aspekte), um einen Wahlaufruf im Sinne von "Hauptsache gegen den RN" als "keineswegs selbstverständlich" zu bezeichnen (ab circa 19:30 Minuten)
Macron und seine Partei LREM ("Die Republik in Bewegung") setzen ihrerseits total auf diese Option des Appells an den antifaschistischen Imperativ, um sich eine Art politische Lebensversicherung zu schaffen. Zuvor setzten bereits der damalige Staatspräsident François Mitterrand in den 1980er Jahren oder der rechtssozialdemokratische Premierminister Manuel Valls diese Art Argument im Sinne einer offenen, zynisch kalkulierten Erpressung gegen linke Widersacher ihrer Politik ein. (Die Macron-Partei LREM und ihre Gefolgsleute tun es bisweilen sogar eher etwas geschickter, indem Ex-Innenminister Christophe Castaner öffentlich erklärt, im Falle eines Wahlduells zwischen Le Pen und Mélenchon würde er zur Wahl Mélenchons aufrufen - allerdings im Kalkül, Mélenchon dazu zu zwingen, seinerseits eine solche Verpflichtung abzugeben.)
Dabei schrecken die derzeit Regierenden jedoch zugleich nicht darauf zurück, der extreme Rechte in der innenpolitischen Debatte immer wieder Nahrung zu verschaffen, indem ihre Thesen oder zumindest ihre Themen in aller Öffentlichkeit als legitim dargestellt werden. Bisweilen taktiert das Regierungslager ihr gegenüber in diesem Rahmen auch, indem es versucht, sich als konsequenteren Vollstrecker rechter Wünsche darzustellen.
Nicht überraschend ist vor diesem Hintergrund, dass beim dem aktuell in der Schlussphase der Verabschiedungsprozedur stehenden Entwurf zum "Gesetz für umfassende Sicherheit" die extreme Rechte im Parlament, in erster Lesung, erstmals bei einem wichtigen Gesetzesvorhaben dem von Regierungsseite vorgeschlagenen Text zustimmte.
Minister zu Le Pen: "Wir sind härter als Sie"
Am 11. Februar dieses Jahres debattierten Innenminister Darmanin und Marine Le Pen über zwei Stunden zu bester abendlicher Sendezeit im öffentlichen Fernsehen miteinander. Einer der seitdem vielzitierten Schlüsselsätze Darmanins lautete dabei, an Le Pen gerichtet: "Ich finde Sie schlapper/weicher, als wir es sein können" (Je vous trouve plus molle que nous pouvons l’être), um sie danach im Abspann nochmals als "ein bisschen weich zu diesen Fragen" zu bezeichnen.
Die rechtsextreme Politikerin hatte sich zuvor argumentationstaktisch dazu entschieden zu behaupten, ihre Partei - der RN - bekämpfe keineswegs Muslime, sondern angeblich ausschließlich Islamisten. Ihr rhetorischer Trick besteht dabei allerdings darin, dass sie jegliche öffentliche Sichtbarkeit muslimischer Religionszugehörigkeit, etwa auch das einfache Kopftuchtragen, unter das Label angeblicher Manifestationen von Islamismus fasst.
Zugleich fordert Le Pen eine Sonderjustiz, unter anderem mit einem speziell einzurichtenden "Staatssicherheitsgerichtshof" (une Cour de sûreté de l’Etat), für alle durch tatsächliche und vermeintliche Islamisten begangenen Taten, wie sie ihn seit Herbst 2017 beharrlich fordert.
Ausnahmeregelungen im Straf- und Strafprozessrecht, wie sie derzeit im Terrorismusbereich gelten, sollen ihr zufolge auf einen lediglich durch Gesinnung oder behauptete Gesinnung markierten riesigen Sektor ausgedehnt werden. Ähnliches fordert übrigens auch der oben erwähnte konservative Nizzaer Abgeordnete Eric Ciotti.
Der amtierende Minister Darmanin antwortete darauf jedoch nicht etwa mit inhaltlicher Kritik, sondern mit dem Argument, er selbst gehe neben Islamisten - also politischen Aktivisten - auch gegen muslimische Religionsausübung vor, wenn er etwa Moscheen überprüfen oder durchsuchen lasse, und sei deswegen in der Ausübung der Staatsautorität konsequenter als Marine Le Pen.
Bereits mehrmals in den vergangenen Monaten versuchte Darmanin sich auch dadurch zu profilieren, dass er es erfolgreich schaffe, gewissermaßen die religiösen Minderheiten unter die Staatsdoktrin zu zwingen. Und dabei ging es nicht nur um die Zurückweisung von Ansprüchen politisch agierender Islamisten auf Einflussnahme - deren Ablehnung ja legitim sein könnten.
Im Oktober 2020 etwa beschwerte Darmanin sich in einem kuriosen TV-Auftritt etwa über das kulinarische Spartenangebot von Supermärkten für Halal- und Koscher-Esswaren. Anfang Februar 2021 nun erschien sein rund einhundert Seiten umfassendes Büchlein unter dem Titel "Der islamistische Separatismus - Manifest für den Laizismus", über das Marine Le Pen bei der gemeinsamen TV-Debatte vom 11. des Monats mit dem Minister äußerte, sie selbst hätte es ohne weiteres unterschreiben können.
Doch im März publizierte die Journalistin Sarah Bénichou auf ihrem Twitterkonto Auszüge aus dem Werk, die bis dahin in der Öffentlichkeit unbemerkt blieben und in denen der Minister sich ins Schwärmen für die Politik Napoléons I. gegenüber den Religionsgruppen hineinsteigert. Dort begeistert Darmanin sich auch darüber, wie Napoléon I. der jüdischen Religion staatlicherseits Organisationsstrukturen aufzwang, und unterstreicht dabei en passant den renitenten Charakter dieser Religionsgruppe, und zwar in diesen Worten: "Manche von ihnen praktizierten Wucher, riefen Unfrieden und Forderungen hervor.".
Dadurch rief der aus dem konservativen Spektrum kommende Minister uralte antijüdische Stereotype in Erinnerung; wohl nicht, um zur Judenhatz zu blasen, wohl aber, um die Unterordnung unter die Staatsräson als non plus ultra im Umgang mit "Probleme aufwerfenden" Religionsgruppen anzupreisen. Darmanins Amtsvorgänger als Innenminister Christophe Castaner, jetzt Vorsitzender der Parlamentsfraktion der Regierungspartei LREM, eilte ihm zu Hilfe: Er habe nicht diese Ideen verteidigt, sondern lediglich jene Napoléon des I. referiert. Debatte beendet.