Haiti: Unabhängigkeit darf keine Erfolgsgeschichte sein

Seite 2: "Peacekeaping" mit CIA: Dauernde Interventionen

Solche wirtschaftlichen Voraussetzungen sorgen nicht gerade für politische Stabilität, aber auch dafür hatten die westlichen Mächte eine Lösung. Ab 1915 besetzten immer wieder US-Truppen die Insel, oft unter dem Vorwand nach der Ermordung des einen oder anderen Präsidenten für Ruhe sorgen zu wollen.

Die Politik des sogenannten "peacekeaping" ist ein klassisch neokolonialistisches Narrativ, das sich wiederholt. Der letzte Präsident Jovenel Moïse wurde von kolumbianischen Söldnern ermordet, von denen jetzt drei in den USA vor Gericht stehen.

Diese ehemaligen Mitglieder antikommunistischer paramilitärischen Einheiten, oftmals von der CIA ausgebildet, um gegen die FARC zu kämpfen, verdingen sich mittlerweile weltweit als Söldner. Und so füttert der eine Bürgerkrieg in den ehemaligen Kolonien den anderen. Mal mehr, mal weniger unter direktem Einfluss der westlichen Mächte, aber immer unter deren wachsamen Auge.

Die ständigen "Interventionen" der USA hatten auch direkte finanzielle Folgen für das Land. Während einiger Jahre der Besatzung wurde mehr vom haitianischen Haushalt für die Gehälter und Ausgaben der US-amerikanischen Beamten aufgewendet, die ihrerseits die Finanzen Haitis kontrollierten, als für die medizinische Versorgung der gesamten Nation mit rund zwei Millionen Einwohnern.

Selbst nachdem die Amerikaner in den späten 1940er-Jahren die Kontrolle über die Finanzen abgegeben hatten, lebten die haitianischen Bauern nach Angaben der Vereinten Nationen "oft nahe am Hungertod". Nur eines von sechs Kindern ging zur Schule. Eigentlich ein unhaltbarer Zustand, aber wie sollten sich die Haitianer gegen diese Form der Ausbeutung wehren?

Im Jahr 2003 startete Jean-Bertrand Aristide, der erste demokratisch gewählte Präsident nach Jahrzehnten langer Diktatur, eine Kampagne, in der er von Frankreich die Rückzahlung der entzogenen Gelder forderte. Einen Monat später unterstützte die französische Regierung den Sturz von Aristide mit der Begründung, sie wolle verhindern, dass das in Aufruhr befindliche Haiti in einen Bürgerkrieg abgleite.

Denn nicht nur Banken wie die Crédit Industriel, in Frankreich als C.I.C. bekannt, haben von der finanziellen Unterwerfung und Ausbeutung der ehemaligen Kolonie profitiert, auch der französische Staat wurde für seine Mühen entschädigt.

Vom Elend profitieren

Die New York Times förderte mehrere Regierungsdokumente aus den frühen 1900er-Jahren zutage, aus denen hervorgeht, dass 2 Millionen Francs von den Nachkommen der versklavten Haitianer, das sind 8,5 Millionen Dollar in heutiger Währung, in der französischen Staatskasse landeten.

Dass eine Bank, die nun 355 Milliarden wert, ist immer noch von dem Elend einer Nation profitiert, aus dem regelmäßig Nachkommen von versklavten Menschen in die Länder ehemaliger Sklavenhalter fliehen müssen, ist pervers, aber Teil der neokolonialistischen Weltordnung.

Haiti ist die Blaupause eines frühen anti-kolonialistischen Kampfes aus dem die Unterdrückten siegreich hervorgingen, nur um später durch das kapitalistische Finanzsystem in Armut und Elend gezwungen zu werden. Erst von den ehemaligen Kolonialmächten, später von der neuen Hegemonialmacht USA.

Es gibt mehr als ein Haiti und die wichtigsten Instrumente des Neokolonialismus liegen in den USA: sie heißen Weltbank und IWF.