Halbherzige Entlastungspakete, nötig: gezielte Umverteilung

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Zündstoff: Ein Positionspapier des Westfälischen Energieinstituts zur Frage, wie stark der Staat bei der Energiewende eingreifen soll, um ein Scheitern zu verhindern.

Mag sein, dass es an Papieren zur Energie- und Klimawende nicht mangelt. In den politischen Verlautbarungen nimmt der Begriff der Energiewende breiten Raum ein. Meist gepaart mit jenem zweckdienlichen Optimismus, der von der Politik erwartet wird.

Erst vor wenigen Tagen erklärte der Bundesverkehrsminister Wissing, wie er gedenkt, den CO2-Ausstoß, der durch Verkehr verursacht wird, bis 2030 so zu senken, wie es die gesteckten Ziele verlangen.

Drei Seiten plus Gutachterpapier, ein Tempolimit ist nicht enthalten. Das scheint inzwischen eine Petitesse zu sein, da ja klar ist, dass man eine solche Maßnahme mit einem Ministerium, das entweder von der CSU oder nun von der FDP geleitet wird, nicht bekommen wird. Vielleicht denkt sich so ein Verkehrsminister, dass die Menschen jederzeit die Freiheit haben müssen, vor einem Hochwasser davonrasen zu können.

Rational gestaltete Energiepolitik

Noch bevor Russland die Ukraine überfiel, schrieb der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler Rainer Land auf makroskop, warum eine langfristig angelegte Energiewende unmöglich sei ohne einen staatlichen Plan der Bewirtschaftung. Die Volatilität der Energiemärkte werde weiter zunehmen, geopolitische Unsicherheiten evozierten heute noch nicht absehbare Folgen, Energiemärkte würden unter politischen Krisen weltweit leiden, spekulative Prozesse im Gefolge solcher Unsicherheiten das Problem verschärfen.

Eine rational gestaltete Energiepolitik sei unter diesen Bedingungen unmöglich. Ein staatlicher Plan der Bewirtschaftung klingt sicher nicht gut in den Ohren jener, die selbst dann, wenn das Wasser bis zum Hals steht, darauf verweisen, dass der Markt und der technische Fortschritt (den es aber nur gibt, lässt man dem Markt freie Hand) hier mit Lösungen aufwarten werden.

Das Papier

Im Juli legten sieben Instituts-Professoren des Westfälischen Energieinstituts (WEI) nach langer Forschungsarbeit ein Positionspapier vor, das den Titel "Energie- und Klimawende zwischen Anspruch, Wunschdenken und Wirklichkeit" trägt.

In der dazugehörigen Erklärung finden sich noch einige, recht diplomatisch – sprich, nicht allzu sehr entmutigende – Formulierungen. Das eigentliche Papier allerdings ist Zündstoff, der bisheriger und aktueller Politik bescheinigt, den Ansprüchen an eine wirkliche Energiewende nicht gerecht zu werden und damit nicht nur Zeit zu verlieren, sondern tatsächlich im Wortsinn Zukunft zu verspielen.

Energie wird sich dauerhaft drastisch verteuern. Ohne Preissignale und eine Internalisierung negativer Effekte der konventionellen Energieerzeugung auf die Umwelt in Kalkulationen wird es aber nicht zu notwendigen Verbrauchseinsparungen kommen.

Die unteren Einkommensschichten werden die Preiserhöhungen nur schwerlich stemmen können: Dies zeichnet sich bereits ab, selbst wenn Sondereffekte der Coronakrise und des Ukrainekriegs außen vorgelassen werden.

Die politisch aufgesetzten Entlastungspakete der Regierung erweisen sich hier als halbherzig, nicht zielgenau und letztlich auch als ungeeignet, die Problematik dauerhaft zu lösen. Eine Symptompolitik und Sekundärverteilung sind hier nicht zielgerichtet und nur mit einer Beseitigung der Ursachen für niedrige Primäreinkommen angehbar.

Es muss deshalb zu einer spürbaren Umverteilung zu Gunsten der Einkommensschwachen kommen.(…) Ohne Lenkung und Regulierung durch den Staat und Interventionen wird die Energiewende nicht umsetzbar sein.

WEI-Positionspapier

Im Umkehrschluss hieße dies: Mit der FDP als gegenwärtig handlungsmächtigste Gegnerin ebenjener Umverteilung und Regulierung geht Energiewende nicht. Zumal sie weder in den Grünen und schon gar nicht in der SPD einen ausreichend starken Gegenpart hat, willens, dem Staat tatsächlich über die zeitweilige Krisenintervention hinaus Lenkungsfunktion und Verfügungsgewalt zu geben und dies auch noch an den richtigen Stellen.

Das rund 100 Seiten umfassende Papier ist kein Lesestoff (meint: eben wissenschaftlich und tief in technische Details gehend), setzt also in weiten Teilen große Expertise voraus, die man allerdings in Ministerien vermutet oder mindestens erhofft. Ob es da auch gelesen und ins Tätige einbezogen wird, steht auf einem anderen Blatt.

Das "energiewirtschaftliche Dreieck" Wirtschaftlichkeit, Versorgungssicherheit und Nachhaltigkeit präge, so der Einstieg, die Verlautbarungen und Bekenntnisse der Politik. Unkonkret genug, schreiben die Wissenschaftler, um von allen mitgetragen zu werden.

Üblicherweise vermied die Politik aber das Setzen einer Hierarchie und tat oftmals so, als seien alle Ziele gleichrangig und gleichermaßen zu erreichen. (…) Langfristig wurde der Gesellschaft in einer Art politischen Wunschdenkens sogar eine Zielharmonie in Aussicht gestellt.

WEI-Positionspapier

Zielkonflikte sind dann nur temporäre Erscheinungen. Im Koalitionsvertrag liest sich das so:

"Wir machen es zu unserer gemeinsamen Mission, den Ausbau der Erneuerbaren Energien drastisch zu beschleunigen und alle Hürden und Hindernisse aus dem Weg zu räumen."

2030 schon sollen 80 Prozent des Bruttostromverbrauchs in Deutschland aus Erneuerbaren stammen. 2020 noch stammten 94 Prozent des Naturgasverbrauchs, 98 Prozent des Mineralölverbrauchs und 100 Prozent des Steinkohleverbrauchs aus Importen. Voran aus Russland. Hallelujah ließe sich ausrufen. Herkules hatte es einfacher.