Haldenwang in Verdacht: "Staatsanwaltschaft müsste Verfahren gegen sich einleiten"

Der Jurist Peter Schindler hat dem Chef des Inlandsgeheimdienstes ein Offizialdelikt vorgeworfen. Damit steht er nicht allein. Weshalb dennoch nichts geschieht.

Sie haben dem Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Thomas Haldenwang, einen Eingriff in das Grundrecht der Meinungsfreiheit vorgeworfen. Haben Sie denn auch schon Anzeige erstattet?

Peter Schindler: Nein, ich habe keine Anzeige erstattet, obwohl ich daran gedacht habe. Stattdessen habe ich mich für die Veröffentlichung eines Artikels entschieden. Ich bin auch kein Aktivist, der jetzt einen privaten Krieg gegen öffentliche Institutionen führen möchte.

Mir geht es um den Erhalt der Demokratie bzw. was noch von ihr übrig geblieben ist. Ich denke, wir sind nicht weit weg von dem, was eine Princeton-Studie 2014 für die USA festgestellt hat: Die USA seien keine Demokratie mehr, weil politische Entscheidungen nicht mehr den Wünschen der Bürger, sondern den Interessen einer kleinen Wirtschaftselite dienen.

Nötigung ist nach § 240 StGB als Offizialdelikt einzuordnen. Müssten bei einem Anfangsverdacht einer strafbaren Nötigung im Amt nicht die Gerichte tätig werden?

Peter Schindler ist Rechtsanwalt und Unternehmensberater.

Peter Schindler: Stimmt, die Staatsanwaltschaft müsste bei Kenntnis des Sachverhalts, also eines Anfangsverdachts, von Amts wegen ein Ermittlungsverfahren einleiten. Der Sachverhalt ist am 22.05.2023 in so ziemlich allen Medien rauf und runter berichtet worden. Zudem hat jetzt Telepolis und Overton dieses Thema konkret aufgegriffen.

Dass also kein Staatsanwalt in ganz Deutschland auf die Idee kommt, dass hier strafbares Verhalten des Chefs des Inlandsgeheimdienstes vorliegen könnte, halte ich eher für unwahrscheinlich.

Ob eine Staatsanwaltschaft gegen Thomas Haldenwang ein Ermittlungsverfahren eingeleitet hat, entzieht sich meiner Kenntnis. Ich halte es aber für sehr unwahrscheinlich. Staatsanwaltschaften in Deutschland sind nicht weisungsfrei, sondern weisungsabhängig, das heißt die Beamten der Staatsanwaltschaft haben den dienstlichen Anweisungen ihres Vorgesetzten nachzukommen.

Die Staatsanwaltschaft ist ein Teil der Exekutive, hier müsste sie also ein Verfahren gegen sich selbst einleiten. Ich glaube kaum, dass sich ein Staatsanwalt heute unter diesem ungeheuren staatlichen wie medialen Druck mit einem Ermittlungsverfahren selbst zum Beobachtungsobjekt des Verfassungsschutzes machen möchte.

Man denke nur an die beiden Ministerialbeamten im Bundeswirtschaftsministerium, die – worüber auch Telepolis berichtet hat – im letzten Jahr von der Behördenleitung beim Verfassungsschutz angeschwärzt worden sind, weil sie eine andere fachliche Meinung vertreten haben als die neue Linie des Hauses.

Das Problem ist also nicht nur Haldenwangs Äußerung, sondern auch das Konzept einer "Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates".

Peter Schindler: Eine Regierung, die in einer Demokratie Kritik fürchtet und diese Kritik mit prophylaktischem Framing, Stigmatisierung und der Androhung von nachrichtendienstlichen Maßnahmen beantwortet, verrät Demokratie und Rechtsstaat.

Im sogenannten Brokdorf-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts sind einige sehr wichtige Fundstellen zur konstitutiven Bedeutung der Meinungsfreiheit für die Demokratie enthalten. Unter anderem heißt es dort,

dass in einer Demokratie die Willensbildung vom Volk zu den Staatsorganen und nicht umgekehrt verlaufen müsse; das Recht des Bürgers auf Teilhabe an der politischen Willensbildung äußere sich nicht nur in der Stimmabgabe bei Wahlen, sondern auch in der Einflußnahme auf den ständigen Prozeß der politischen Meinungsbildung, die sich in einem demokratischen Staatswesen frei, offen, unreglementiert und grundsätzlich "staatsfrei" vollziehen müsse.

Innenministerium und Verfassungsschutz verwechseln im Konzept der "verfassungsschutzrelevanten Delegitimierung des Staates" aber Kritik an der Regierung mit Kritik am Demokratie- und am Rechtsstaatsprinzip.

Hierauf hat auch schon der emeritierte Professor für Öffentliches Recht, Dietrich Murswiek, hingewiesen. Mittlerweile wird auf ganz vielen Feldern jedwede Kritik an der Regierung reflexartig als "extremistisch" eingestuft und das wird prophylaktisch auch auf künftige Proteste ausgedehnt.

Frau Faeser …

… also Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) …

Peter Schindler: ... hat ja schon frühzeitig vor radikalen Protesten wegen hoher Energiepreise gewarnt. Da frage ich mich persönlich, ob hier künftiger Radikalismus herbeigeredet wird, um – ggf. massive - Kritik an Energiepreisen staatlicherseits als "extremistisch" unterbinden zu können.

Damit verengt die Exekutive weiter den Diskursraum. Das erkennt man unter anderem auch daran, dass die in den aktuellen Meinungsumfragen artikulierte Unzufriedenheit mit der derzeitigen Politik aus Sicht der betroffenen Politiker nichts mit mangelhafter Regierungsarbeit zu tun hat, sondern damit, dass sich die Bürger extremistischen Parteien zuwenden. Da macht es sich die Politik doch schön einfach, zu einfach.

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