Haldenwang in Verdacht: "Staatsanwaltschaft müsste Verfahren gegen sich einleiten"

Seite 2: Der deutsche Staat will weniger Demokratie wagen

Nun stehen Sie mit Ihrer Kritik am Verfassungsschutz nicht allein, sondern teilen Sie unter anderem mit Ronen Steinke, Juristen und Redakteur der Süddeutschen Zeitung. Wieso gelingt es der Justiz nicht, dem Inlandsgeheimdienst Einhalt zu gebieten?

Peter Schindler: Die Justiz kann ja nur beim Vorliegen konkreter Tatsachen tätig werden. Das Problem liegt woanders oder wie der Volksmund sagt: "Der Fisch stinkt vom Kopf an."

Auf der Website des BfV heißt es vor diesem Hintergrund: "Die Dienst- und Fachaufsicht über das Bundesamt für Verfassungsschutz übt das Bundesministerium des Innern und für Heimat (BMI) aus."

Und wie in diesem SPD-geführten Ministerium das Staat-Bürger-Verhältnis mittlerweile gesehen wird, erkennt man eben daran, dass Kritik am Regierungs- und Verwaltungshandeln schnell in eine verfassungsfeindliche Ecke gedrückt wird.

Damit glaubt man, sich mit der Kritik sachlich nicht mehr auseinandersetzen zu müssen. Wir reden hier von einem staatlichen Über-/Unterordnungsverhältnis, also das Gegenteil von dem, was Willy Brandt 1969 einmal sagte: "Wir wollen mehr Demokratie wagen."

Solange es im Deutschen Bundestag niemanden gibt, der diese gegenläufige Entwicklung lautstark in die Debatten hineinträgt, solange sehe ich keine positive Entwicklung.

Es reicht eben nicht, oppositionstaktisch für den Bundeskanzler Scholz wegen seiner mutmaßlichen Verwicklungen in der Cum-Ex-Affäre einen Untersuchungsausschuss zu fordern, sondern eine Opposition müsste hier einen Gegenentwurf zur derzeitigen Politik vorlegen, der der Brandt’schen Logik folgt. Das passiert aber nicht.

Das Bundesamt für Verfassungsschutz begründet die Beobachtung aufgrund von Staatslegitimierung mit den Protesten gegen die Corona-Maßnahmen. Es heißt dort, damals "gingen öffentlich geäußerte Meinungen oder Aktionen jedoch über einen (…) legitimen Protest hinaus". Wer definiert das?

Peter Schindler: Hier möchte ich noch einmal Prof. Murswiek zitieren, besser kann man es nicht formulieren:

Es ist das verfassungsrechtlich verbürgte Recht der – parlamentarischen und der außerparlamentarischen – Opposition, alles zu kritisieren, was die Regierung macht – ob diese Kritik berechtigt ist oder nicht. Ob sie berechtigt ist oder nicht, entscheidet nicht der Verfassungsschutz, sondern das entscheidet jeder für sich, insbesondere an der Wahlurne."

Wenn der Verfassungsschutz von "Agitation" statt von Kritik spricht, dann ist das eine Parteinahme für die Regierung. Jeder ist berechtigt, auch heftige Kritik an der Regierung zu üben. Kritik ist das Lebenselixier der Demokratie. Sie als "Agitation" zu verunglimpfen, steht dem Verfassungsschutz nicht zu. "Ständige" Kritik ist nicht nur erlaubt, sondern wird von der demokratischen Opposition geradezu erwartet. Nur mit These und Antithese, Kritik und Gegenkritik entfaltet sich ein demokratischer Diskurs.

Was also tun?

Peter Schindler: Staatlicherseits müssten die Staatsanwaltschaften aus der Weisungsgebundenheit herausgenommen werden. Der EuGH hat schon 2019 entschieden, dass die deutsche Staatsanwaltschaft aufgrund ihrer Weisungsgebundenheit keine europäischen Haftbefehle mehr ausstellen darf. Ähnliches gilt seit 2020 für deren Vollstreckung. Nach Ansicht des EuGH fehlt es bei den deutschen Staatsanwälten an der notwendigen Unabhängigkeit, weil sie im Einzelfall dem Weisungsrecht der Justizministerien unterliegen.

Und mit Blick auf ‚uns‘ auf die Bürger: Jeder Mensch, der diese demokratiefeindliche Entwicklung wahrnimmt und mit ihr nicht zufrieden ist, kann sich im Internet, in der Familie, im Freundes-, Bekannten- und Kollegenkreis äußern und die Dinge klar und deutlich beim Namen nennen. In einer Komfortzone zu verharren und zu glauben, es werde schon noch gutgehen oder andere werden es richten, ist schädlich.

Je mehr Leute ihre Unzufriedenheit artikulieren, je wahrscheinlicher wird dies zu einem Umdenken bei den politischen Verantwortlichen führen. Politische und extremistische Ränder, wie die AfD zu wählen, ist aus meiner Sicht überhaupt keine Lösung. Aus einer solchen Wahl, die als Protest gedacht ist, wird rasch ein Bumerang, der – siehe Höcke & Co. – das Leben in diesem Land ganz schnell noch demokratiefeindlicher aussehen lassen würde.

Nein, in meiner Heimatstadt Köln sagt man seit 1992, seit den Protesten gegen rechte Gewalt: "Arsch huh, Zäng ussenander." Das gilt für jede antidemokratische Entwicklung.

Peter Schindler, Rechtsanwalt und Unternehmensberater (Change- und Projekt-Management), ehemals Dezernent für Personalentwicklung und -Controlling an der Universität zu Köln sowie in leitenden Managementpositionen im Personal- und Organisationsbereich verschiedener nationaler und internationaler Konzernunternehmen. Rechtswissenschaftliches Studium in Saarbrücken und Bonn, Referendariat am Landgericht Köln. Bisherige Veröffentlichungen zu den Themen Komplexitätsmanagement und Personalentwicklung im öffentlichen Dienst.

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