Hamburg - internationale Drehscheibe im Atomgeschäft

Die Atomindustrie handelt weltweit mit radioaktiven Stoffen, die größtenteils durch und über die Hansestadt transportiert werden

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Hamburg hat viel Grün: Grünflächen, Grünspan, Grüngürtel, Grünglas, Grünanlagen und Grüne in der Regierung. Die gelten gemeinhin als Garant für Umweltschutz. Doch seitdem die grüne Kernkompetenz Regierungsfähigkeit-egal-mit-wem-und-zu-welchen-Bedingungen heißt, nehmen sie es mit dem Umweltschutz nicht mehr so genau. So konnte sich Hamburg unter Stillschweigen der Grünen zum Umschlagplatz für den internationalen Atomhandel entwickeln. Ein weltweit boomendes Geschäft, das in Hamburg unter dem schwarz-grünen Senat so richtig in Schwung kam. Das ergab eine Anfrage der Bürgerschaftsfraktion Die Linke an den Hamburger Senat. Demnach findet durch und über die Hansestadt durchschnittlich alle zwei Tage ein Atomtransport statt. Die seien ein nicht abzuschätzendes Risiko für Mensch und Umwelt, warnen Experten wie der Physiker Fritz Storim von der Messstelle Arbeits- und Umweltschutz (MAUS e.V.) Bremen.

Die Castoren sind hierzulande wohl die berühmtesten Atomtransporte, aber bei weitem nicht die einzigen. Nur über die anderen ist nicht so viel bekannt. MAUS beschäftigt sich schon länger mit dieser Frage, und kam darauf, dass es nahe liegend sei, dass solche Transporte u. a. über den Hamburger Hafen abgewickelt werden. Deshalb stellte die Bürgerschaftsfraktion der Linken in Zusammenarbeit mit MAUS am 5. Mai 2009 eine große Anfrage an den Hamburger Senat, um Informationen über Art und Umfang möglicher Atomtransporte zu bekommen. Dieser Tage kam die Antwort des Senats, die in der Tat erstaunliche Erkenntnisse zu Tage förderte: Durchschnittlich alle zwei Tage werden über die Hansestadt radioaktive Stoffe per Bahn, LKW oder Schiff quasi in alle Welt verbracht.

Mehr als 400 Atomtransporte fanden in den letzten fünf Jahren in und über Hamburg statt, davon 61 in diesem Jahr bis Anfang Mai. Das ist eine Zunahme von 55% gegenüber dem Vergleichszeitraum 2008. Weltweit wird mit Rohstoffen wie Uranerz, hoch toxischen chemischen Verbindungen wie Uranhexalfluorid, abgebrannten Brennstäben sowie anderen Produkten im Zusammenhang mit der Nutzung der Atomtechnologie gehandelt. Internationale Drehscheibe für diesen florierenden Atomhandel ist Hamburg. Die Transporte werden vom schwarz-grüne Senat abgesegnet: Innen-, Sozial- und Umweltbehörde werden vorab darüber informiert.

Radioaktive Stoffe werden auf allen Verkehrswegen transportiert. Das Atomrecht unterscheidet zwischen (spaltbaren) Kernbrennstoffen und (nicht spaltbaren) sonstigen radioaktiven Stoffen. Bei den Transporten von Kernbrennstoffen handelt es sich überwiegend um Sendungen von unbestrahlten Vorprodukten zur Brennelemente-Herstellung wie angereichertes Uranhexafluorid (UF6) und Urandioxid (UO2) in Form von Pellets oder Pulver, sowie um Brennstäbe und unbestrahlte Brennelemente.

Den größten Anteil an Transporten radioaktiver Stoffe haben sonstige radioaktive Stoffe für medizinische Zecke, die mit begrenztem Aktivitätsinventar überwiegend auf der Straße transportiert werden.

Die Transportaufkommen sonstiger radioaktiver Stoffe bei Seetransporten besteht in erheblichem Umfang aus Sendungen entleerter Transportbehälter mit Restkontamination, natürlichem Uran, nicht angereichertem Uranhexafluorid, radioaktiven Abfällen und Reststoffen.

Transporte bestrahlter Brennelemente und hochradioaktiver Abfälle werden fast ausschließlich im Eisenbahnverkehr durchgeführt.

Antwort des Senats vom 2. Juni 2009

Transportiert wird u. a. Uranerz, das als Rohstoff u. a. in Australien, Kanada, Namibia und Russland gewonnen wird. Es wird benötigt für die Herstellung von Brennstäben für Atomkraftwerke (AKW). Genauso wie Uranhexalfluorid, das in Atomfabriken, auch in der BRD, produziert wird.

Das Uranerz kommt per Schiff aus Kanada oder Namibia in Hamburg an, wird dort verladen und z. B. per Bahn nach Frankreich geschickt - hunderte Kilometer durchs Binnenland. Uranhexafluorid wird von Hamburg aus nach Argentinien oder in die USA verschifft, oder per Bahn nach Schweden transportiert. Es kommt z. T. per Schiff aus Korea und den USA im Hamburger Hafen an und wird per Schiff weiter verschickt, aber zum Teil auch durch die Republik gefahren. Das Verwirrende daran ist, dass Uranhexafluorid sowohl aus Korea und den USA nach Hamburg kommt, als auch von Hamburg aus nach Korea und in die USA verschifft wird. Darauf kann Fritz Storim sich keinen Reim machen.

Über die genauen Routen der Transporte schweigt der Senat sich aus. Aus Sicherheitsgründen, um die Bevölkerung nicht unnötig zu beunruhigen. Denn „Unfälle mit gefährlichen Gütern können sich jederzeit und nahezu an jedem Ort der Stadt ereignen“, heißt es in der Antwort des Senats. Aber Hamburg ist natürlich vorbereitet, im Ernstfall werden die entsprechenden Maßnahmen ergriffen: Warnung der Bevölkerung, Absperrung des gefährdeten Bereichs, gegebenenfalls medizinische Versorgung sowie Betreuung der betroffenen Personen. Das klingt nach einem guten Plan, da sich radioaktive Stoffe ja bekanntlich prima eingrenzen und betreuen lassen.

Unfälle mit gefährlichen Gütern können sich jederzeit und nahezu an jedem Ort der Stadt ereignen. Aus diesem Grund müssen konkrete Schutzmaßnahmen jeweils der Lage entsprechend eingeleitet werden. Dazu zählen unter anderem die Warnung der Bevölkerung, die Absperrung des gefährdeten Bereichs und gegebenenfalls die medizinische Versorgung sowie die Betreuung der betroffenen Personen. Diese Aufzählung ist nicht abschließend. Die Maßnahmen werden der jeweiligen Lage entsprechend angepasst.

Aus der Antwort des Senats

Die auftretenden Strahlendosen von abgebrannten Brennelementen können MAUS zufolge zur Zeit nicht in annähernd ausreichender Genauigkeit erfasst werden. Aber sie seien sehr hoch aufgrund der biologischen Wirkung der Neutronenstrahlung, erläuterte Fritz Storim gegenüber Telepolis. Bei der Freisetzung von Uranhexafluorid bildeten sich durch die Verbindung mit der Luftfeuchtigkeit giftige Fluorverbindungen, die schwere Verletzungen der Atemwege verursachen. Je nach Witterungsbedingungen könnten bis in ca. 600 m Entfernung von Unfallort tödliche Konzentrationen auftreten, so Storim. „Es ist nicht schwer, sich auszumalen, was das für eine Millionenstadt wie Hamburg bedeuten würde."

MAUS fordert daher den sofortigen Stopp aller Atomtransporte. Städte wie Lübeck und Emden haben 1987 vorgemacht, dass das durchaus machbar ist. Die CDU-Oberbürgermeistern Roth von Frankfurt am Main erreichte 1997 durch Verhandlungen mit der Bahn, dass keine Castor-Transporte durch das Frankfurter Stadtgebiet durchgeführt werden. Für einen Stopp muss indes bekannt sein, was wo und wie transportiert wird. Deshalb regt MAUS an, dass auch in anderen Bundesländern Anfragen bezüglich möglicher Atomtransporte gestellt werden.