Handhelden für einen Tag

"Electronic Plastic" - Ein Buch und eine Ausstellung über tragbare Computerspiele.

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"Ages 6 & Up. Batteries not included", steht auf dem Umschlag, und sogleich werden die Traumata der Weihnachtstage wach, als zwar endlich die Tabletop-Version von Pac Man unterm Baum lag, die Batterien aber vergessen worden waren und man zwei ganze Tage ausharren musste, bis das Gadget endlich seine Plings und Plongs von sich gab. "Electronic Plastic", herausgegeben von Robert Klanten und Jaro Gielens im Verlag "Die Gestalten", und wunderbar bunt designed von den Berner Grafikdesignern "Büro Destruct", stellt nun über 200 Exemplare aus Gielens Sammlung von Handhelds und Tabletops (den gößeren, an den Arcades geschulten Geschwistern der Handhelds) aus den Jahren 1976-85 vor.

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Die Computer- und Videospiele, die in der Linie von Pong zu den heutigen Spielkonsolen eine Art Sonderweg einschlugen, sind bis auf wenige Ausnahmen wie dem Game Boy weitestgehend aus den Spielzeugabteilungen verschwunden. Das Buch trifft somit nebenbei auch ins Herz des Achtzigerjahre-Revivals, das sich hier neben der Nostalgiefunktion für die Generation um die 30 als faszinierende visuelle Kulturanalyse minimalistischen, futuristischen und elektronischen Designs darstellt. Mit ihrem extrapoppigen Plastizismus stellten die kleinen farbfroh piepsenden Geräte aus zumindest bundesdeutscher Perspektive ein Anrennen gegen den "Ruch des Anständigen" dar, der die frühen Telespiele aus den Siebzigerjahren mit Metalliclackierung und Edelholzimitat noch umgab, wie es Uwe Schütte im einzigen aber funkigen Essay des Buches aufdeckt.

"Only speed and skill can help you 'break free' from the electronic force field"

Alleine ein Blick auf die Originalverpackungen, die unter Sammlern eine beliebte Komplettierung darstellen, deutet an, wie versucht wurde, angehende "Third Wave"-Familien der frühen Achtzigerjahre für den als eskapistisch geltenden Spielekampf mit dem Mikrochip zu gewinnen: hier drücken neugierige Kleinfamilien bunte Knöpfe und haben dabei intelligenten Spaß an der spielerischen Herausforderung für jung und alt: "Play against a computer; play against an opponent". Die Kids von damals ahnten vielmehr aber schon die Herausforderung, durch das Spielen Strategien für ein Leben mit Formen elektronischer Einsamkeit von heute entwickeln zu können: "Only speed and skill can help you 'break free' from the electronic force field" (Tomy's "Mini-Vid"). Heute kämpfen die Kids von damals das gleiche Spiel mit Palm und Handy.

Der unzerstörbare Supermario

Insgesamt wurden in den späten Siebziger- und frühen Achtzigerjahren in Japan, den USA und Europa über 500 Spiele und Spielserien produziert, die meisten davon entweder als LCD- oder als LED-Spiele; Gielens hat über 400 davon gesammelt, die im Buch systematisch beschrieben werden, darunter Klassiker wie Pac Man von Tomy, Senso (bzw. Simon) und Mini Senso von Milton Bradley, Merlin von Parker, Blockbuster aus der Microvision-Reihe, die Game&Watch Reihe von Nintendo (Donkey Kong auf Multi Screen!) oder das frühe (1976) "Auto Race" von Mattel, das als Blueprint der gesamten Gattung gelten kann.

Technische Weiterentwicklungen wie 3-D-Bildschirme, Spiele mit Solarzellen, holografische Bildschirme, Extra-Displays, Farbbildschirme, genderspezifisches Design oder extravagante Formgebung (Baseballstadien, Raumschiffe) führten bis weit in die Achtzigerjahre hinein zu einer Ausdifferenzierung, die heute vor allem auf liebevoll gestalteten Sammlerwebsites zur Schau gestellt wird - kein Wunder, denn mit dem Siegeszug der Konsolen und allerspätestens 1989 mit der Einführung des Game Boy, des (mit Ausnahme von MBs "Microvision" von 1979) ersten tragbaren Handheld-Systems mit austauschbaren Spielen, hatten sich Produktlinien, Spielansprüche und Design vollständig geändert und das Genre der Handhelds wurde zu einem nahezu abgeschlossenen Sammelgebiet.

Die entlang der Buchlogik derzeit in der Berliner Galerie "FFWD" gezeigte Ausstellung "Electronic Plastic", bringt mit hinter Glas gezeigten Exponaten aus Gielens Sammlung zwar vorweihnachtliche Thirtysomething-Augen zum leuchten, verzichtet aber leider fast vollständig auf die Benutzbarkeit der Geräte. Als rematerialisierte Version des Buches lassen sich aber hier Designdetails entdecken, die gerne an die clevere Verbindung von simpel-langwieriger Spielidee und vorpubertärem Technikfetischismus zurückerinnern lassen.

Auch jenseits von Buch und Ausstellung ist das Revival der Handheld-Games an vielen Ecken retroaktiven Popismus auszumachen: Mittlerweile sind die alten Game&Watch-Spiele von Nintendo wieder als Modul für den Game Boy erhältlich, "Senso" erlebt dieser Tage Auferstehung in einem Viva 2-Spot und Christoph Kummerer alias lo-ser pocketnoise stellt mit seiner für das gleichnamige Nintendospiel entwickelten Gameboy Pocketnoise-Software dem zweifellos umwerfend schönen Handheld-Retrohimmel eine soundanarchische DIY-Hölle entgegen.

Electronic Plastic. Exhibition on Handheld Computer Games from 1976-1985. FFWD, Ackerstr.154, 10115 Berlin. Donnerstag - Samstag von 15-19 Uhr. Die Ausstellung läuft bis zum 2.12. J. Gielens, R. Klanten (Hg.); Electronic Plastic. Verlag die Gestalten, Berlin 2000, 176 Seiten, DM 69 / £ 25.99 / $ 44.