Hanna, die Universität und die Wut
Seite 2: Der Doktortitel als Schmuck
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Gegen diese 95 Thesen ist mit vernünftigen Argumenten kaum anzukommen. Das Bundesministerium flüchtet sich in Floskeln und schiebt die Verantwortung auf die Betroffenen. In seiner Videobotschaft legt Staatssekretär Wolf-Dieter Lukas aber auch die Spur zur Antwort, warum das BMBF entgegen aller Vernunft nichts an diesen prekären Zuständen ändern will.
Der Mann, der für seinen Professorentitel nicht in das akademische Hamsterrad steigen musste, verweist auf die großen Erfolge der Promotion: In der freien Wirtschaft würde man damit bessere Berufschancen haben und ein höheres Gehalt erzielen.
Mit der Promotion als akademische Qualifizierung hat dies gar nichts zu tun. Vielmehr scheint es dem Staatssekretär um den Doktortitel als Zusatzqualifizierung zu gehen, die mehr Einfluss nach sich zieht. Die Universität wird zu einer Weiterbildungsstätte degradiert. Damit auch möglichst viele durchgeschleust werden können, darf die Universität nicht verstopfen.
Unweigerlich denkt man an die Plagiatsfälle in der Politik, denkt an Guttenberg, Schavan und Giffey. Der Doktortitel ist in der Politik zu einem Emblem der Macht geworden. Ein Schlag ins Gesicht für all die hart arbeitenden Wissenschaftler. Da stilisieren sich Personen zu Experten, während sie von wahren Experten ausgebildet, geprüft und betreut wurden. Um gute Forschung scheint es dem Bundesministerium als nicht zu gehen. Denn die Rahmenbedingungen dafür würden anders aussehen.
Hanna ist eine Chance
Natürlich gab es auch vor #IchBinHanna bereits Diskussionen über und Kritik an diesen Arbeitsverhältnissen. Das Thema ist also nicht neu. Doch vielfach wurde das Scheitern an der Struktur als eigenes Versagen individualisiert. Und plötzlich ist da Solidarität und gegenseitige Anteilnahme, wo vorher Konkurrenz war. Damit ist viel geschafft. Erreicht ist allerdings noch nichts.
Dafür gibt es noch viel zu viele offene Fragen. Wie lässt sich der Widerstand aus der Twitter-Blase tragen? Sollte sich das Ministerium nicht bewegen, muss der Protest auf die Straße. Die Möglichkeit eines Streiks steht dem Mittelbau nicht zur Verfügung. Dies wäre nur im Rahmen von Tarifverhandlungen möglich.
Es geht bei #IchbinHanna nicht um bessere Löhne. Es geht um bessere Arbeits- und Forschungsbedingungen. Es geht um Planungssicherheit und den Wert der Wissenschaft. Die Unileitungen verweisen auf das Ministerium. Das Ministerium spielt die Karte der Einzelverantwortung.
Aus diesem Kreislauf muss man heraus. Kurz vor der Bundestagswahl könnte man darauf setzen, dass die Parteien kalte Füße bekommen. Ob das ausreicht, ist mehr als fraglich? Immerhin besteht das Problem schon sehr lange. Auf der politischen Agenda stand es nie wirklich. Eine Chance läge darin, die Student:innen für die Anliegen zu gewinnen und die Sache in einen kreativen, solidarischen Widerstand münden zu lassen.
Auch sollte man nicht beim Wissenschaftszeitvertragsgesetz stehen bleiben. Dieses Gesetz ist nur ein Moment in einer komplexen Ökonomisierung der Hochschule, die letztlich auch durch die Festschreibung einer toxischen Hierarchie getragen wird.
Solange es die unantastbare Klasse der Professoren gibt, die als Gutachter für Anträge eine große Rolle in diesem Spiel der Macht einnehmen, wird sich wenig ändern. Die Stellung professoralen Gatekeeper gilt es zu reflektieren. Die Frage, ob ein anderes Hochschulsystem möglich ist, muss so weitreichend und radikal wie möglich gestellt werden.
Vielleicht liegt darin eine radikale Utopie: flache Hierarchien, gleiche Bezahlung und stabile Stellen. Damit alle gemeinsam forschen können - nachhaltig, demokratisch und machtkritisch.