Harter Diskurs und freier Meinungsaustausch statt Filter
Interview mit Andy Müller-Maguhn, Sprecher des Chaos Computer Clubs
Die Initiativen gegen (rechts-) extreme Sites im Web sprießen überall aus dem Boden): Nachdem Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin bereits Ende Juni mit der "Berliner Erklärung" (Berliner Erklärung gegen den Hass im Netz) versuchte, Rassismus im Netz genauso zu ächten wie Kinderpornografie, hat nun nach der versuchten Registrierung rechter Domainnamen wie www.heil-hitler.de auch die CDU das Thema erkannt. Wie so oft übertreiben so manche Politiker und so manche Zeitungsmacher allerdings mit ihrem Kampf gegen das Übel (Seltsame Kapriolen in der Feindlichkeit gegenüber der Fremdenfeindlichkeit), so dass das Internet mal wieder an (fast) allem Schuld sein soll und schwarze Listen und Filter gegen die schwarzen Schafe in Position gebracht werden.
Die Köpfe der alten "Netzhasen" erhitzen sich natürlich über die immer wieder gestarteten Versuche, "ihren" Kommunikationsraum nicht nur sauber, sondern steril zu machen. Als zweites "Sommerloch-Thema" kann da nur noch die Debatte um die Wahl der ICANN-Direktoren mithalten, die gerade in Europa besonders heftig geführt wird. Wie die bis zum "Einsendeschluss" heute Morgen erfolgten 62 Selbstnominierungen von Internetbenutzern - fast die Hälfte davon stammt aus Deutschland - für einen Posten im Verwaltungsrat der "Netz-Behörde" zeigen, wollen viele hierzulande und bei unseren Nachbarn die Zukunft der oftmals als "heimliche Netzregierung" überbewerteten Unternehmung bestimmen. Die Qual der Wahl haben nun die User, die sich rechtzeitig bei ICANN als Mitglieder angemeldet haben und zunächst bis zum Monatsende einem der selbstnominierten Kandidaten ihre Unterstützung ("Endorsement") zusagen können.
Stefan Krempl sprach in diesem Zusammenhang mit Andy Müller-Maguhn, Sprecher des seit längerem für ein offenes Internet eintretenden Chaos Computer Clubs und seit vergangener Woche auch Kandidat für den ICANN-Posten, über Zensur und Meinungsfreiheit sowie seine Wünsche an ICANN.
Die CDU hat in der vergangenen Woche mit ihrer Initiative Netz gegen Gewalt, die dem Extremismus im Internet den Kampf ansagt, für Aufsehen gesorgt. Was halten Sie von dem Vorstoß?
Andy Müller-Maguhn: Die Initiative "Netz gegen Gewalt" kann ich - bei allem Respekt - nur als peinlich bezeichnen. Hier wird offensichtlich versucht, mit platten Parolen gegen platte Parolen vorzugehen. Schon die Idee, rechtsextreme Gewalt durch Filterung rechtsextremer Parolen zu bekämpfen ist doch für jeden halbwegs vernunftbegabten Menschen als sinnfrei zu erkennen; rechtsextreme Intentionen und Gewalttaten verschwinden doch nicht dadurch, dass man sie ausblendet.
Die "Netzbürger" hat die CDU im Rahmen der Initiative aufgefordert, extremistische Webseiten dem Verfassungsschutz zu melden. Außerdem plädiert die Partei ähnlich wie die Bertelsmann-Stiftung oder die Musikindustrie für den Aufbau eines Filtersystems fürs Netz.
Andy Müller-Maguhn: Das Internet ist ein globaler Kulturraum, in dem sehr unterschiedliche Auffassungen von Meinungsfreiheits-Äußerungsrechten zusammenkommen. Haben wir in Deutschland in bezug auf rechtsextremistische Propaganda aufgrund unserer Geschichte verständliche Empfindlichkeiten, möchte etwa die chinesische Regierung ihre Bürger schlicht vor jedweder politischer Diskussion und die arabischen Länder ihre Bürger vor der unverhüllten Darstellung von Frauenköpfen - was dort mit "Pornographie" gleichgesetzt wird - bewahren. In Amerika hingegen ist die "Freedom of Speech" der erste Verfassungsgrundsatz und auch die sogenannte "Hate Speech" ist davon - so absurd das erscheinen mag - größtenteils gedeckt.
Das Beharren auf nationalen Empfindlichkeiten ist im Kern nicht sinnvoll, weil es gerade bei den sogenannten "schädlichen Informationen" doch darum geht, den Nutzen für die Gesellschaft zu erkennen. Nach meinem Verständnis gibt es überhaupt keine schädlichen Informationen, schließlich werden auf diesem Wege gesellschaftliche Probleme aufgezeigt.
Die CDU sollte also lieber die Förderung von Medienkompetenz betreiben, damit alle Beteiligten lernen, die gesellschaftlichen Probleme wahrzunehmen und uns mit ihren Ursachen und konstruktiven Vorgehensweisen zur Problemlösung zu beschäftigen. Politik vermittelt derzeit in höchstem Maße Perspektivenlosigkeit, da empfinde ich es nur logisch, wenn die Menschen ihre Minderwertigkeitskomplexe auf die noch schwächeren projizieren oder sich Generalschuldige wie Ausländer suchen.
Gerade die Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen gesellschaftlichen Problemen in einem freien und globalen Informationsraum kann helfen, die Wahrnehmung zu schärfen. Wenn die CDU jetzt aber Rechtsextreme als "Generalschuldige" auserkoren hat, arbeitet sie mit den selben Mitteln. Die bittere Wahrheit ist doch, dass wir jetzt die Konsequenzen einer jahrzehntelangen Vernachlässigung des Bildungswesens zu spüren bekommen.
Nimmt man jetzt noch die Kooperationspartner Bertelsmann und Verfassungsschutz in die Analyse mit auf, kommen noch ganz andere Fragen auf. Die dem Medienhaus Bertelsmann anhängende Stiftung will schon seit einigen Jahren das Internet als klinisch sauberen Distributionskanal für Ihre Medienprodukte nutzen und schreckt auch nicht davor zurück, durch Filtermaßnahmen den globalen Kulturraum Internet in einen familienfähigen Werbeprospekt zu verwandeln (Die große Filteroffensive). Ich habe keinen Zweifel, dass man hier ein aus wirtschaftlichen Kontrollgelüsten motiviertes Filtersystem mit der Argumentation "zum Schutz der Gesellschaft" der Politik schmackhaft machen will.
Der Verfassungsschutz hat bislang auch nicht aufklären können, wie er die Verfassung durch die Finanzierung rechter Rädelsführer und Gruppierungen schützen wollte. Rechtsextreme mit dem Verfassungsschutz zu bekämpfen, kommt mir so vor, wie einen Schwellbrand mit einem Kanister Benzin löschen zu wollen.
Gerade Rechtsextremisten machen sich aber im In- und Ausland im Web breit, wie auch die Debatte um Domainregistrierungen wie www.heil-hitler.de zeigt. Wie könnte eine mit dem Internet kompatible Herangehensweise an das Problem aussehen?
Andy Müller-Maguhn: Gerade die versuchte Domainregistrierung "www.heil-hitler.de" hat doch gezeigt, dass im Internet eine Selbstregulierung längst stattfindet. Wegen offensichtlicher Strafbarkeit wurde die Domain umgehend wieder ausgetragen.
Man unterscheidet im Netz selbst zwischen zwei verschiedenen Problemen: den bereits erwähnten nationalen Empfindlichkeiten, die in vielen Ländern einen kulturellen Prozess auslösen, und den internationalen Übereinkünften, etwa wenn es um so etwas wie Kinderpornographie geht. Bei letzterem ist - wie bei allen Informationsangeboten im Netz - der Urheber bzw. Sender verantwortlich und kann auch entsprechend belangt werden.
Aber auch wenn man sich bei einem Problem wie Kinderpornographie darüber völlig einig ist, die Urheber zu belangen, muss allen Beteiligten klar sein, dass das Problem nicht in den Bildern oder dem Internet besteht, sondern in erwachsenen Menschen, die sich mit Verbrechen gegenüber minderjährigen Kindern schuldig machen. Insofern gilt es auch hier, das gesellschaftliche Problem und seine Ursachen zu erkennen und sich damit auseinander zu setzen. Das Netz kann für solche Auseinandersetzungen mit gesellschaftlichen Problemen eine hervorragende Struktur bieten. Wir müssen herausfinden, warum unsere Gesellschaft so kranke Menschen produziert. Dazu brauchen wir aber harten Diskurs und freien Meinungsaustausch und keine Filter.
Das SPD-nahe Netzmagazin "blick nach rechts" hat die Domain www.nazi.de registriert, um dort über rechtsextreme Aktivitäten im Netz aufzuklären. Ein gelungener Streich oder eine gefährliche Gratwanderung?
Andy Müller-Maguhn: Ich halte es für durchweg sinnvoll, die Stichworte einer bestimmten Epoche nicht denjenigen zu überlassen, die aus der Geschichte nichts gelernt haben. Gerade im Netz bestehen durchweg gute Erfahrungen damit, sich in die Diskussionen mit vermeintlichen rechtsextremen oder ausländerfeindlichen Leuten einzumischen. Meistens gehen den rechten Sprücheklopfern sehr schnell die Argumente aus, wenn sie in einer Diskussion hinterfragt werden. Oft kommen auch ganz persönliche Probleme zum Vorschein.
Auch die Links zu rechtsextremen Webinhalten auflistende Site des seit Jahren gegen die Umtriebe von Neonazis anschreibenden Journalisten Burkhard Schröder, der auch CCC-Mitglied ist, war zunächst unter "blick nach rechts" aufgeführt - jetzt ist der Link verschwunden (Seltsame Kapriolen in der Feindlichkeit gegenüber der Fremdenfeindlichkeit). Unterschätzt auch die SPD die Medienkompetenz der Surfer?
Andy Müller-Maguhn: Der CCC ist ein offener Verein, der öffentliche Arbeit macht. Jeder, der mit unserer Satzung übereinstimmt und seinen Beitrag bezahlt, kann Mitglied werden - wir haben mittlerweile über 1600 Mitglieder bundesweit. Ich bitte jedoch um Verständnis, dass ich mich nicht zu einzelnen Mitgliedern und ihren Aktivitäten außerhalb des CCC äußern möchte. Auch kenne ich die Entscheidung und ihre Gründe seitens der SPD nicht.
In Frankreich ist ebenfalls eine Debatte um Nazi-Angebote im Web entbrannt (Nationale Rechtssprechung im Internet): Ein Pariser Richter will das Webportal Yahoo.com dazu verpflichten, den Zugang zu Auktionen mit Nazi-Memorabilien zu sperren. Ein unmögliches Unterfangen?
Andy Müller-Maguhn: Da ich die französische Rechtslage nicht genau kenne, kann ich zu den Details dieses Unterfangens keine präzise Antwort abgeben. Ich denke jedoch, man macht es sich deutlich zu einfach, wenn man glaubt, mit der Verbannung von Symbolen gleichzeitig gesellschaftliche Fehlentwicklungen zu korrigieren. Vielleicht macht dieser französische Prozess noch fast in übertriebener Art und Weise deutlich, dass hier nur Symptome eines Phänomens bekämpft werden, anstelle sich mit den Ursachen auseinander zu setzen.
Cyberlaw-Experte Lawrence Lessig schreibt in seinem Buch "Code" (Wer regiert den Cyberspace?) von einer Architektur der Kontrolle, die mit der Verbreitung von die Nutzer eindeutig ausweisenden digitalen Signaturen entstehen könnte. Auch Bundesinnenminister Otto Schily setzt auf die Netzregulierung mit Hilfe dieser "elektronischen Pässe". Wird das Internet in regionale Zonen zerfallen?
Andy Müller-Maguhn: Ich glaube kaum, dass sich der globale Kulturraum wieder in nationale Netzzonen zurück entwickeln wird. Mittlerweile sind ja nicht nur kulturelle und gesellschaftliche, sondern vor allem wirtschaftliche Entwicklungen eine treibende Kraft weltweiter Vernetzung.
Digitale Signaturen sind nur in einer Minderheit der derzeitigen Kommunikationsprozesse des Internets überhaupt sinnvoll, sie bilden ja eine Art Unterschrift zur Vertragszeichnung in digitaler Art und Weise ab. Im Bewusstsein vieler Juristen findet eine Vertragsunterzeichnung statt, wenn ein Netznutzer ein Medienprodukt oder ähnliches erwirbt oder eine Dienstleistung nutzt. Aber bei die meisten dieser Prozesse folgen rein kaufmännischer Logik: der Kunde will seine Ware, der Händler sein Geld. Wenn das funktioniert, ist Identifikation nicht notwendig.
Digitales Bezahlen erfordert zudem weitaus weniger Verwaltungs-Overhead, als digitale Signaturen. Abgesehen davon, dass einige Firmen sich in geradezu beschämender Art und Weise um den Aufbau bzw. die Vermarktung unnötiger digitaler Signaturverwaltungsstrukturen bemühen, dürfte eher der Wunsch nach Identifikation und juristischer Sanktionsfähigkeit Vater des Gedanken sein.
Die Kombination von omnipräsenter Identifikation in Kommunikationsprozessen, in denen Verhaltsmuster anfallen und der so entstehenden Sanktionsfähigkeit erhöht allerdings überwachungsstaatliche Gelüste bzw. Missbrauchsoptionen dramatisch.
Sie haben vergangene Woche ihre Kandidatur zur Wahl eines europäischen Direktors für die "Internet-Verwaltungsbehörde" ICANN angemeldet. Welche Ziele möchten Sie im Falle einer Wahl dort verwirklichen? Könnten Sie über Ihre Arbeit dort auch die Diskussion um die behandelten Fragen beeinflussen?
Andy Müller-Maguhn: Als Kandidat für das ICANN-Direktorium habe ich mich sozusagen beim Netzarchitektur-Büro des Internets beworben. Ich denke, es muss darum gehen, die Architekturentscheidungen nicht nur den Interessen von Regierungen und Industrieunternehmen zu überlassen; das Netz ist ein öffentlicher Raum, basierend auf freiem Informationsfluss und der Möglichkeit für jeden Teilnehmer, als Sender wie auch als Empfänger an den Prozessen teilzunehmen.
Eine ganze Reihe von Regierungen, weltweiten Unternehmen und ganzen Industrien haben derzeit erhebliche Probleme, weil ihre Tätigkeit auf der Kontrolle von Information und der Sendezugänge basierten. Auch wenn viele Unternehmen sich längst auf eine Tätigkeit im Internetparadigma eingestellt haben, so versuchen andere eben doch noch, das Rad der Geschichte aufzuhalten.
Insofern geht es natürlich nicht nur um die Verteidigung des Internet gegenüber denjenigen, die daraus eine Art Fernsehsenderstruktur mit Kontrolloptionen machen wollen. Auch muss man wohl moderat auf die Chancen und alternativen Wertschöpfungsmodelle aufmerksam machen und den öffentlichen Raum fördern, damit freie Entwicklung auch weiterhin stattfinden kann.