Hartz-IV-Reform der SPD macht Arbeitslose träge?
Der Sozialdemokrat und Vorstandsvorsitzende der Bundesagentur für Arbeit, Detlef Scheele, sieht die anvisierte längere Dauer des ALG I mit Skepis
Wo die SPD Abstiegsängste beruhigen will, argwöhnt BA-Chef Scheele, selbst ein SPD-Mitglied, eine Einladung zum bequemen Leben. Die Sozialdemokraten wollen die Hartz-IV-Regelungen so reformieren, dass das Arbeitslosengeld I länger ausbezahlt wird (Hartz-IV: Die SPD will neues Vertrauen schaffen, der Vorstandsvorsitzende der Bundesagentur für Arbeit, Detlef Scheele, sieht das "skeptisch".
Es könne nämlich dazu führen, dass Betroffene länger arbeitslos bleiben, wie Scheele der FAZ erklärt. Scheele vertritt, wie er dies auch beim Debattencamp der SPD "Was kommt nach Hartz-IV?" verdeutlichte, die grundlegende Position, dass das Hartz-IV-System sehr viel "besser als sein Ruf" ist. Die Systemfrage stelle sich nicht, sagte Scheele im Herbst.
Er machte stattdessen auf dem Debatten-Podium auf die schlechte Kommunikation der Hartz-IV-Wirklichkeit aufmerksam und auf Gerechtigkeitsprobleme (wer länger einzahlt, muss anders behandelt werden). Und er machte seine Position deutlich, deren deutlichster Gegenpol das bedingungslose Grundeinkommen sein dürfte (dass er Vorschläge aus dieser Richtung nicht wertschätzte, war ihm auf dem Podium anzusehen).
"Bisschen Nachdruck ist o.k."
Für Scheel geht es darum, die Arbeitslosen so schnell wie möglich wieder in Arbeit zu bringen, wie er nun der FAZ sagte. Druck schade da nicht:
Wir müssen die Menschen möglichst schnell in möglichst auskömmlich bezahlte Stellen vermitteln. Wenn das manchmal mit ein bisschen Nachdruck passiert, ist das auch o.k..
Detlef Scheele, Vorstandsvorsitzender Bundesagentur für Arbeit
Die Formulierung, auf die es ankommt, sind die "auskömmlich bezahlten Stellen". Die Frage wäre, ob es davon genug gibt und geben wird für diejenigen, die in Hartz-IV rutschen, um ihnen lieber Beine zu machen, statt ihre Untätigkeit zu unterfüttern, um Scheeles Äußerung zu paraphrasieren. Die Zahlen für die Menge an auskömmlichen Stellen gibt es nicht.
Es gibt die seit einiger Zeit anhaltende Serie von Meldungen, wonach die Zahl der offenen Stellen in Deutschland auf Rekordhoch sind - beinahe identisch etwa vom Februar 2019 und November 2018 - und es gibt die vielen konkreten Einzelfälle der Arbeitslosen und dazu die Feststellung, dass die beiden Phänomene sich nicht einfach zur Deckung bringen lassen.
Abstiegsängste ...
Dazu kommen nun häufiger beunruhigende Signale einer aufziehenden Rezession vor dem Hintergrund einer grundlegenden Veränderung des Arbeitsmarktes und der Wirklichkeit der Vielzahl von Niedriglohnbeschäftigungen - das wären alles eher Gründe, die dafür sprechen, die Angst vor dem Absturz von ALG I auf ALG II aufzufangen, wie es die SPD-Hartz-IV-Reformer, vornedran Nahles, als Hauptakzent setzen. Dafür spricht auch, dass die Partei mit dem Anti-Absturzangst-Akzent der AfD, wohin viele SPD-Wähler abgewandert sind, etwas entgegensetzt.
... und "Vermittlungshemmnisse"
Detlef Scheele hat seinen Blick auf anderes gerichtet. Er befürchtet, wie er der Zeitung erzählt, dass sich die Arbeitslosen bei einer längeren Auszahlung von ALG I auch mehr Zeit lassen, um eine neue Arbeit zu suchen. Damit würde ein unguter Prozess in Gang gesetzt, weil Arbeitslosigkeit mit zunehmender Dauer selbst als Vermittlungshemmnis wirke.
Dafür nun wird eine statistische Zahl genannt. So sollen Untersuchungen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) mit Daten der Jahre 2007 bis 2017 ergeben haben, "dass Menschen, die nur kurze Zeit arbeitslos sind, im Vergleich mit Langzeitarbeitslosen eine mehr als sechsmal größere Chance haben, Arbeit zu finden".
Ein langer Hartz-IV-Bezug sei neben Alter und gesundheitlichen Einschränkungen die" größte Hürde, eine bedarfsdeckende Stelle zu finden", wird außerdem als Ergebnis einer früheren IAB-Studie von der konservativ-bürgerlichen Zeitung zitiert. Ungeachtet dessen, dass man damit eigentlich wieder bei Beziehern des ALG II ist, wo es doch hauptsächlich um den längeren Bezug von ALG I geht, geht es im FAZ-Bericht gleich zur Schlussfolgerung Scheeles:
Man sieht also: Die Menschen müssen schnell wieder in Arbeit kommen.
Detlef Scheele, Vorstandsvorsitzender Bundesagentur für Arbeit
Mehr Geld für Arbeitslose, aber nicht zuviel
Das heißt für Scheele aber nicht, dass Arbeitslose weniger Geld bekommen sollen. Sie sollen anscheinend nur nicht zu viel bekommen und auch nicht unter dem Etikett Arbeitslosengeld. Scheele ist nämlich aus oben bereits erwähnten Gerechtigkeitsgründen dafür, dass Arbeitslose mehr bekommen, wenn sie länger eingezahlt haben.
Er spricht sich dafür aus, dass langjährigen Beitragszahlern, wenn sie in Hartz-IV abrutschen, ein "steuerfinanzierter Zuschlag auf den Regelsatz" gezahlt wird. "Dieser Weg einer Besserstellung vermeide die Nachteile, die aus einem längeren Bezug des Arbeitslosengelds I entstehen, argumentiert er", heißt es dazu in der Zeitung.
Die SPD spricht sich in ihrer Hartz-IV-Reform gegen eine Erhöhung des Regelsatzes aus. Vermutlich nicht zuletzt um die Kosten für ihr Bürgergeld-Konzept (die sie noch gar nicht verraten hat) nicht ausufern zu lassen. Ihr liegt, wie erwähnt, hauptsächlich an einer Absicherung: Zwei Jahre lang sollen sich die arbeitslos Gewordenen im Idealfall keine Gedanken über einen Umzug machen müssen und je nach Alter, Einzahlungsdauer und Weiterbildungsmaßnahmen länger als bisher ALG I beziehen.
Scheele ist für eine individuelle, an die Dauer der Einzahlungen ins Sozialsystem geknüpfte Erhöhung des Regelsatzes. Das sei gerechter, sagt er. Anscheinend untergräbt diese Geldleistung seiner Aufassung nach nicht die Motivation, weil sie unter ALG I liegen wird.
Das könnte auch den Sozialkassen billiger kommen. Es bedeutet zwar wie eine längere Leistung von ALG I mehr Geld für die Arbeitslosen, aber es soll anderseits wenig genug sein, um Nachdruck auszuüben, damit die Hartz-IV-Empfänger in die Gänge kommen?