Hauptverdiener in der Armutsfalle

Nicht nur atypisch Beschäftigte gehören zu den Working Poor

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Dass Arbeit nicht vor Armut schützt, gilt mittlerweile als Binsenweisheit auf dem deregulierten deutschen Arbeitsmarkt. Auch wenn sie sich noch nicht überall herumgesprochen hat. Laut einer aktuellen Studie muss der Modebegriff "Working Poor" nun weit über den bereits bekannten Teil der atypisch Beschäftigten hinaus ausgedehnt werden.

Der Sozialforscher Eric Seils vom Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut in der Hans-Böckler-Stiftung (WSI) hat errechnet, dass 2012 auch fast jeder zehnte Hauptverdiener von Armut bedroht war. Bei den Beschäftigten in der Gastronomie, im Catering und im Hotelgewerbe lag die Quote sogar bei gut 35 Prozent.

Arm trotz Vollzeitjob

Eine angelernte Gartenbauerin im Kreis Lüchow-Dannenberg verdient 10,32 Euro pro Stunde und liegt damit deutlich über dem anvisierten Mindestlohn von 8,50 Euro. Die verheiratete Alleinverdienerin ist Mutter einer 14-jährigen Sohnes, arbeitet 34,6 Stunden in der Woche und erzielt somit einen monatlichen Bruttolohn von 1.553 Euro. Abzüglich der Mietkosten bleiben ihr 1.235 Euro nebst 184 Euro Kindergeld und 36 Euro Wohngeld.

Das verfügbare Familieneinkommen beträgt summa summarum 1.455 Euro, das mit Hilfe der Grundsicherung auf 1.713 Euro aufgestockt werden dürfte. Trotzdem gibt es eine Armutslücke in Höhe von 25 Euro. Eric Seils mag es konkret und hat seine Analyse deshalb mit fünf Fallbeispielen garniert. Neben der Gartenbauerin aus Lüchow-Dannenberg schildert er die Situation einer ungelernten Café-Bedienung im westfälischen Hamm, eines Leiharbeiters aus Duisburg, eines angelernten Karosseriebauers aus Nordsachsen und einer Hotelfachfrau an der Mecklenburgischen Seenplatte. In jedem Beispiel bleiben vollzeitbeschäftigte Alleinverdiener mit Kindern sogar dann unter der Armutsschwelle (weniger als 60 Prozent des mittleren bedarfsgewichteten Nettoeinkommens), wenn sie ihren Verdienst mit Hartz-IV-Leistungen aufstocken.

Dabei geht es nicht um Personen in den sogenannten atypischen Arbeitsverhältnissen, insbesondere auch nicht um Geringverdiener, die freiwillig das Familieneinkommen aufbessern, sondern um Menschen, die unter vermeintlich ganz normalen Umständen einer Vollzeitbeschäftigung nachgehen.

Die Zahlen legen nahe, dass Arbeitsarmut auch unter Familienernährern und ihren Familien ein Problem ist.

Eric Seils

Verdienstmöglichkeiten und "richtige" Branchen

"Wer in der richtigen Branche arbeitet, muss sich kaum Sorgen um Armut machen", resümiert die Axel Springer AG die Ergebnisse der Böckler-Studie. Welche Branchen "richtig" sind, könnte nunmehr in persönlichen und gesellschaftlichen Selbstfindungsprozessen erörtert werden, aber nach Lage der Dinge geht es ja vorwiegend um den schnöden Mammon.

Unter diesem Aspekt schneiden Banken und Versicherungen, die öffentliche Verwaltung, chemische Industrie und Fahrzeug- oder Maschinenbau am besten ab. Hier liegt das Armutsrisiko bei unter 3 Prozent, weil sich die durchschnittlichen Nettoeinkommen - zum Teil deutlich - jenseits der 2.000-Euro-Marke eingependelt haben.

Im Bereich "Kunst, Unterhaltung und Erholung" (Armutsgefährdungsquote: 18,8 Prozent – Nettoeinkommen: 1.820 Euro) sieht es weniger rosig aus, aber immer noch besser als im "Gastgewerbe", wo das Armutsrisiko wegen des Nettoeinkommens von 1.287 Euro bei 35,8 Prozent liegt.