"Heikle Worte werden zu klickbaren Schlagzeilen"

Bild: Yaruna21 / CC-BY-SA-4.0

Über die Abberufung der Menschenrechtsbeauftragten in der Ukraine war hierzulande lange kaum etwas zu erfahren. Dabei war sie in ihrem Land längst ein Politikum. Ukrainische und deutsche Medienechos im "Fall Denissowa"

Die bisherige Menschenrechtsbeauftragte des Parlamentes der Ukraine seit 2018 (eingesetzt unter dem damaligen Präsidenten Petro Poroschenko), Ljudmyla Denissowa, ist vor einigen Tagen von ebendiesem Parlament in Kiew ihres Amtes enthoben worden.

Zwei Aspekte dieses Vorganges seien hier im Überblick medienkritisch diskutiert: Einige Punkte aus dem ukrainischen Journalismusdiskurs sowie die Frage, inwiefern wichtige deutsche Medien sich dieses Themas annehmen – oder auch nicht. Diese kurze Analyse hat weder eine Prüfung des Wahrheitsgehaltes der Äußerungen von Denissowa über das Kriegsgeschehen zum Inhalt noch die Frage, wie russische Medien und russische Propaganda mutmaßliche Gräuel des Kriegsgegners darzustellen versuchen.

Am 25.5., sechs Tage vor ihrer Amtsenthebung, hatten – laut dem ukrainischen Medien-Portal IMI. Dutzende von vor allem Medienmitarbeiterinnen in der Ukraine Ljudmyla Denissowa in deutlichen Worten aufgefordert, auf "allzu detaillierte Beschreibungen" zu verzichten, wenn sie die Öffentlichkeit über mutmaßliche Vergewaltigungen von Ukrainer:innen durch russische Kräfte adressiere. Vielmehr solle die offizielle parlamentarische Ombudsfrau jedes Wort genau prüfen und sorgfältig abwägen, um Sensationalismus zu vermeiden.

Die Journalistinnen zeigten sich in ihrer Erklärung besorgt und teilweise sogar empört über die Rhetorik jener Mitteilungen über mutmaßliche Sexualverbrechen während des Krieges, die von Frau Denissowa auf verschiedensten Wegen immer wieder veröffentlicht worden waren.

Der Tenor dieses in Kiew publizierten Textes zahlreicher Journalistinnen: Überführte russische Kriegsverbrecher müssten bestraft werden, während Berichte über solche mutmaßlichen Verbrechen "mit Vorsicht veröffentlicht" werden sollten, insbesondere mit Blick auf Kinder und Minderjährige.

Zum Teil waren Denissowas Schilderungen von angeblichen Vergewaltigungen auch von Babys sehr detailliert. Die Autorinnen schrieben, sie empfänden die "Ethik der Formulierungen" als zumindest fragwürdig: "Heikle Worte werden zu klickbaren Schlagzeilen".

Notwendigkeit, die Informationen zu verifizieren

Neben dieser medienethischen Dimension wiesen die ukrainischen Medienschaffenden auch auf den Aspekt hin, dass alle von Frau Denissowa oder ihrem Büro veröffentlichten Mitteilungen "den Status verifizierter Fakten" haben sollten und es daher sehr wichtig sei, Informationen über solche mutmaßlichen "Sexualverbrechen der Invasoren" wirklich zu verifizieren. Offenbar gab und gibt es daran auch im innerukrainischen Medien-Diskurs mindestens gewisse Zweifel.

In diesem Zusammenhang forderten die Unterzeichnerinnen, dass Ljudmyla Denissowa bei der Bereitstellung von Informationen über mutmaßliche Sexualverbrechen während des Krieges nur Informationen veröffentliche, die ausreichend durch Beweise untermauert und deren Fakten vor der Veröffentlichung sorgfältig überprüft worden seien. Anscheinend war das bis dahin keine Selbstverständlichkeit.

Die Generalstaatsanwältin der Ukraine, Irina Wenediktowa, wurde am Tag der Absetzung Denissowas zitiert mit den Worten, sie habe von Denissowa bisher keinerlei Beweise über derartige mutmaßliche Vergewaltigungen erhalten.

Einige Tage nach der mit deutlicher Parlamentsmehrheit erfolgten Abwahl von Denissowa veröffentlichte erneut die ukrainische Plattform Babel ein Interview mit ihr. Darin sagte Denissowa, ihre Position zum "Anti-Oligarchen-Gesetz" sei zum Auslöser ihrer Absetzung geworden.

Die Abgeordneten hatten explizit u.a. moniert, dass Denissowa nicht nach Belarus und Russland reise, wohin Ukrainer:innen illegal abgeschoben würden, sondern ihre Zeit lieber "im warmen Europa" verbringe. Denissowa wiederum sagte nun, sie sei unrechtmäßig entlassen worden und habe bereits Berufung gegen die Entscheidung eingelegt.

Denn ihre eigene Amtsenthebung sei ein "politisches Massaker". Sie denke, ihre Position zum so genannten Anti-Oligarchen-Gesetz sei ein Auslöser dafür gewesen: Dieses Gesetz sehe die Schaffung eines Oligarchenregisters vor, das vom Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrat erstellt werden sollte.