Heilung durch Anwesenheit
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Der Placeboeffekt hat es sich in der Mitte zwischen Körper und Geist gemütlich gemacht. Was kann man von der sogenannten "Scheinbehandlung" lernen?
Eine besorgte Mutter aus Maryland hat mit Hilfe ihres Mannes einen kleinen Shop im Internet eröffnet. Die Firma mit dem bezeichnenden Namen „Efficacy Brands“ hat nur ein Produkt im Sortiment: einen knallharten Placebo. In den USA herrscht Aufregung, selbst die New York Times berichtete. Medizinethiker wie Howard Brody von der Universität Texas geben zu Bedenken, dass Placebos „unberechenbar“ seien, manche Menschen würden „dramatisch stark“ auf ein solches Mittel reagieren, andere gar nicht. Die nun angeschobene Diskussion zeigt die Unsicherheit gegenüber einem faszinierenden Phänomen. Was kann man von der Scheinbehandlung lernen?
Als Placebo werden gemeinhin alle Maßnahmen bezeichnet, die ohne naturwissenschaftlichen Nachweis einer Wirkung eine positive Reaktion, den sogenannten Placeboeffekt, beim Patienten bewirken. Die meisten Ärzteverbände verbieten den Einsatz von Placebos. Deren Einsatz ist gleichwohl gängig in der ärztlichen Praxis. 2003 befragten die dänischen Forscher Asbjorn Hrobjartsson und Michael Norup über 700 Ärzte im Land. Knapp die Hälfte der Allgemeinärzte hatte in den letzten Jahren mindestens zehn Mal ein Placebo verschrieben. Bei den Spezialisten lag die Quote niedriger. Ein Teil der Ärzte nutzte das Scheinmedikament nicht nur, um dem Patienten auf sanfte Art zu helfen, sondern auch, um festzustellen, ob da jemand eventuell nur simuliert.
Die medizinische Tradition inaktiver Interventionen kommt in erster Linie dem Wunsch des Patienten nach einer Behandlung nach. Der lateinische Ausdruck „Placebo“ heißt übersetzt: „Ich werde gefallen“. Mit dem Aufkommen der zufallskontrollierten, später auch gerne doppelblinden Studie, in der weder Arzt noch Proband wissen, ob eine Scheinpille oder ein richtiges Mittel vergeben wird, erhielt der Placebo eine weitere Funktion: Er diente als Instrument, um die Wirkung einer anderen Substanz oder Methode zu kontrollieren.
Schon hier ist ein erstes Problem sichtbar. Durch die weltweit größte Akupunktur-Studie Gerac hat sich heraus kristallisiert, dass eine Behandlung, die nicht besser als Placebo abschneidet, gleichwohl besser als eine Nicht-Behandlung sein kann. Hans-Christoph Diener vom Universitätsklinikum Essen stellte bezüglich der Akupunktur-Wirksamkeit zusammenfassend fest, dass „eine Scheinakupunktur fast genauso wirksam“ wie eine klassische chinesische Akupunktur sein kann.
Um dem Placeboeffekt auf die Schliche zu kommen setzt man daher heute gerne eine Kontrollgruppe ein, die weder Behandlung noch Placebo erhält. Aber 2001 zeigte der oben erwähnte Hróbjartsson zusammen mit Peter C. Götzsche, dem Direktor des Nordic Cochrane Center in Kopenhagen, dass diese mit methodischen Schwächen zu kämpfen haben. Die Meta-Analyse über 114 Studien, die Placebo mit Nichtbehandlung verglichen hatten, fand „wenig Beweise“ dafür, dass Placebos gegenüber Nichtbehandlung große Vorteile erwiesen hatten.
Infusionen mit nahezu Nichts
Diesem Fazit wurde seither immer wieder widersprochen. Als bester Gegenbeweis gilt ein gewitzter Versuchsaufbau von Antonella Pollo und ihren Mitarbeitern von der Universität Turin. In einem ersten Schritt vergaben sie ein starkes Schmerzmittel an alle Teilnehmer, auf Verlangen dieser sogar an drei aufeinander folgenden Tagen. Parallel dazu injizierte man eine Kochsalzlösung. Diese zweite Infusion wurde aber durch die Ärzte mit unterschiedlicher Bedeutung aufgeladen: Einer ersten Patientengruppe wurde nichts über irgendeine schmerzstillenden Wirkung dieser Infusion erzählt. Der zweiten Gruppe wurde erzählt, dass die Kochsalzinfusion entweder ein kräftiges Schmerzmittel oder aber ein Placebo sein kann. Der dritten Gruppe wurde dargelegt, dass die Infusion ein potentes Schmerzmittel sei.
Die Behandlung aller drei Gruppen war also auf physischer Ebene gleich, denn alle erhielten eine Schmerzmittel und parallel dazu eine „unwirksame“ Kochsalzlösung. Aber die damit zusammenhängende verbale Erklärung war unterschiedlich. Das Ergebnis des Experiments: Bei gleich verteilter Schmerzfreiheit verlangte die zweite Gruppe weniger Schmerzmittel als die erste Gruppe, der nichts erzählt worden war. Am wenigsten Opiat wollten aber die dritte Probandengruppe haben, diejenigen, die dachten, sie hätten zusätzlich ein starkes Schmerzmittel erhalten. In Zahlen: Nach drei Tagen Placebo-Infusion hatte die erste Gruppe 11,55 mg des Opiats erhalten, die zweite Gruppe 9,15 mg und die dritte Gruppe 7,65 mg.
Die Studie war zu kurz, um effektive Selbstheilungsprozesse oder eine Regression zum Mittelwert hin zu generieren. Allerdings fand sie in einem Krankenhaus statt, der Wunsch der Patienten nach Heilung dürfte also ausgeprägt gewesen sein.
Spielt sich der Placeboeffekt also nur im Kopf ab? Die Frage ist falsch gestellt, negiert sich doch den Fakt, dass jede psychische Begebenheit ein körperliches Korrelat hat. Im Falle der Placebos deuten das obige Experiment und die anderen Erfolge mit Schmerzpatienten daraufhin hin, dass die körpereigenen Opiate eine wichtige Funktion übernehmen. Diese biochemischen Auswirkungen können, wie sollte es heutzutage anders sein, durch die bildgegebenden Verfahren sichtbar gemacht werden.
Vanda Faria, Doktorandin an der Universität in Uppsala, hat vor kurzem daher 24 Studien zu den neuronalen Veränderungen durch Placebovergabe überprüft. Danach spielen Endorphine, Cortisol und anderer körpereigene Substanzen beim Placeboeffekt eine Rolle. Schein- und Normalbehandlung können dabei ähnliche neuronale Mechanismen auslösen, wie Tests an Schmerz- und Depressionspatienten gezeigt haben. Zusätzlich scheint das Dopamin-gesteuerte Belohnungssystem wichtig zu sein.