Heilung durch Anwesenheit

Seite 2: Der gesunde Schein

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Zukünftig muss berücksichtigt werden, dass der Kontext, in dem ein Medikament vergeben oder eine Methode angewandt wird, bei der (Aus-) Wirkung eine entscheidende Rolle spielen kann. Damit ist die Rolle des Arztes angesprochen, aber auch die individuelle Verfasstheit des Patienten, die aufgrund seiner Lebens- und oft auch Leidensgeschichte höchst unterschiedlich ist. Heilung besteht aus mindestens drei Faktoren: Da ist zum einen die Wirkung des Medikaments, der Operation oder einer anderen Interventionen, die biochemische Prozesse anschiebt oder krankhafte Veränderungen im Körper eliminiert. Zum anderen wirken die Selbstheilungskräfte des Subjekts, das ­ einfach gesagt und im Normalfall ­ gesund weiter leben will. Und da ist die wichtige Interaktion zwischen Patient und Arzt im therapeutischen Umfeld. Diese auch „Bedeutungserteilung“ genannte Interaktion, so kristallisiert sich immer mehr heraus, ist ein entscheidender Faktor.

Schon 1985 war man der Bedeutungserteilung bei der Medikamentenvergabe auf der Spur. Ein Team um Richard Gracely nahm sich einige Patienten vor, denen die Weisheitszähne entfernt worden waren. In einer doppelblinden Studie konnten diese daraufhin einen Placebo, ein schmerzstillendes Mittel (Fentanyl) oder sogar einen Schmerzblockadehemmer erhalten. Der Clou: Einer Hälfte der beteiligten Ärzten wurde aufgebunden, es gäbe ein technisches Problem, daher würden die Patienten kein Fentanyl erhalten können. Diese Finte führte in der Placebo-Gruppe zu einer denkwürdigen Konsequenz: Obwohl ihnen von den Ärzten nichts über die vermeintlich technischen Probleme mitgeteilt wurde, stieg die Schmerzstillung bei denjenigen Placebo-Patienten erheblich, deren Ärzte daran glaubten, sie könnten Fentanyl injiziert bekommen. Eine der besten Erklärungen für dieses Phänomen ist: Die Ärzte haben ihr Wissen um die mögliche Schmerzmittelinjektion nonverbal an die Patienten kommuniziert.

Ähnlich wird heute die seltsame Karriere von Tagamet (Wirkstoff: Cimetidin interpretiert. Dieses Arzneimittel dämpft die Magensaftproduktion und feierte Jahre lang große Erfolge bei der Therapie von Magengeschwüren. Vor 1981 sprachen rund 72 Prozent der Patienten auf Tagamet an, in manchen Studien sogar über 90er Prozent. Der Hersteller Smith Kline (heute GlaxoSmitKline) war begeistert, aber plötzlich begann der Stern zu fallen. Nach 1981 nahm die Zahl der mit Tagamet geheilten Patienten auf 64 Prozent ab, Ende der 80er Jahre wurde eine Studie veröffentlicht, in der sogar nur noch 37 Prozent auf das Medikament positiv ansprachen.

Was war passiert? Im Jahr 1981 mehrten sich die veröffentlichten Experimente mit einem neuen Magenmedikament mit Namen Zantac. Dessen Wirkstoff Ranitidin war länger wirksam und besser verträglich. An Tagamet hatte sich nichts geändert, wohl aber war die Einstellung der Ärzte gegenüber der Substanz eine andere geworden. So sanken die Heilerfolge, so zumindest die Erklärung von Daniel Moerman in seinem Buch Meaning, Medicine and the 'Placebo Effect', mit Tagamet immer weiter ab.

Zitiert wird in diesem Zusammenhang oft auch eine Studie aus dem Jahr 2005 von Fabrizio Benedetti und seine Kollegen. Sie konnten feststellen, dass sich die Wirkung eines Betäubungsmittels verringert, wenn es zufallsgesteuert über eine Infusionspumpe verabreicht wird und nicht durch einen Arzt.