"Heimat ist da, wo wir glücklich sind"

Seite 2: Neues Modell in Finnland

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Davon profitieren auch Flüchtlinge in Finnland. Im Zuge der Flüchtlingskrise ab 2015 kamen laut Regierung 32.000 Asylsuchende an, davon wurden 10.000 anerkannt und müssen jetzt integriert werden. Inzwischen kommen zwar deutlich weniger Flüchtlinge nach Finnland, etwa 5000 pro Jahr, aber trotzdem ist die Arbeitslosenquote unter ihnen 2 bis 5 mal höher als unter Einheimischen, rechnet die Regierung vor. Das verursache Kosten und erschwere die Integration.

Mit einem Programm namens Social Impact Bond (SIB) sollen in den nächsten drei Jahren bis zu 3700 Migranten in Arbeit gebracht werden. Die Migranten werden von der Firma Epiqus vermittelt, das nötige Kapital dafür stammt zu 70 Prozent von der EU, die 10 Millionen Euro aus dem EFSI beigesteuert hat. Auch hier bekommen Flüchtlinge zum Beispiel ein Sprachtraining oder andere Hilfen.

Epiqus könne jedoch anders als eine staatliche Arbeitsagentur agieren, sagt Agentur-Chef Samir Omar: "Wir können zum Beispiel ein Auto kaufen, wenn eine Gruppe von Helsinki in eine andere Stadt zur Arbeit fahren muss. Wir haben die komplette Freiheit alles zu tun, was Immigranten hilft, einen Job zu kriegen." Ein Arbeitsamt würde so was wohl eher nicht machen, lächelt er.

Eine multikulturelle Schokoladenfabrik

So können Migranten im SIB-Programm Bewerbungstrainings bekommen oder ein persönliches Coaching. Das wichtigste aber sei das Sprachtraining, sagt Samit Omar. Diese Erfahrung hat man auch bei Fazer gemacht. Die Schokoladenfabrik in Helsinki ist in Nordeuropa so bekannt wie in Deutschland Ritter Sport oder Kinderschokolade.

"Die Sprache zu können ist sehr wichtig", sagt Ulrika Romantschuk, eine der stellvertretenden Vorstandsvorsitzenden von Fazer. "Man muss die lokale Sprache verstehen können. Wir haben sehr viele Menschen unterschiedlichster Nationalitäten in Finnland, bis zu 40 verschiedene Nationalitäten. Von daher sind wir es gewohnt, mit so vielen Menschen unterschiedlichster Herkunft umzugehen."

Die Fazer-Schokoladenfabrik liegt nicht weit weg vom Flughafen Helsinki. Im Besucherzentrum kann man sich anschauen, wie Schokolade hergestellt wird. Oder sich im Tropenhaus Kakao- und Bananen-Pflanzen anschauen oder sehen, wie Ingwer, Vanille und Orangen wachsen.

Und natürlich kann man die vielen verschiedenen Schokoladenriegel kosten bzw. im Besuchershop als Mitbringsel erwerben. Karl Fazer hat das Unternehmen 1891 in Helsinki gegründet. Heute liefert Fazer in alle Nachbarländer, nach Schweden, Norwegen, Dänemark, in die baltischen Staaten Estland, Lettland, Litauen und auch nach Russland.

Das Unternehmen produziert heute nicht nur Schokolade und andere Süßigkeiten, sondern auch Brot oder Müsli. "Food with a purpose" heißt die aktuelle Mission. Seit 2015 gibt Fazer auch gezielt Flüchtlinge eine Chance durch "training on the job". 60 Prozent wurden danach fest angestellt. "Wir möchte die gesamte Gesellschaft widerspiegeln. Und Immigranten sind Teil der Gesellschaft", sagt Ulrika Romantschuk. "Deshalb ist es eine Win-Win-Situation: für uns, für die, die eingestellt werden, und in einem übergeordneten Sinne für die finnische Gesellschaft."

Modelle gesucht

Das begrüßt auch die EU-Kommission. Jyrki Katainen, heute einer ihr Vize-Präsidenten und von 2011 bis 2014 Ministerpräsident von Finnland, ist extra in das Besucherzentrum von Fazer gekommen, um für das finnische Modell zu werben. "Es ist Teil des Investitionsplans, dem sogenannten Juncker-Plan oder Investitionsplan für Europa. Dazu gehören riskante Finanzierungen wie Infrastrukturprojekte oder kleine und mittlere Unternehmen, aber auch soziale Investitionen."

Jyrki Katainen sieht darin auch ein Modell für andere EU-Länder, das auch je nach Bedarf angepasst und verändert werden könne: "Dieses Modell ist nicht nur für Migranten geeignet, sondern für jeden. Es funktioniert genauso gut mit allen erwerbslosen Personen."

Es sei aber nur eine Ergänzung zu den jeweiligen Sozialsystemen in den einzelnen EU-Ländern, betont der konservative Politiker. "Der Nutzen in diesem Fall ist die Partnerschaft zwischen privatem und öffentlichem Sektor. Der private Sektor ist immer besser, denn die Ergebnisse sind dort gewöhnlich sehr gut. Aufgabe des öffentlichen Sektors ist es, das Risiko zu schultern."

Auch im finnischen Wirtschaftsministerium sieht man das SIB-Programm als große Chance, mehr Flexibilität bei der Arbeitsvermittlung zu haben. "Das ist nicht nur ein Trainingsprogramm", sagt Sonja Hämäläinen, zuständig im Ministerium für Migration. "Es geht um training on the job. Wir bezahlen dafür, dass sie nach geeigneten Firmen suchen. Und dann können diejenigen, die an diesem Programm teilnahmen, on the job lernen. Dafür bezahlen wir - wenn sie erfolgreich sind."

Durch "training on the job" könnten Migranten außerdem ihre Sprachkenntnisse verbessern und schon mal berufliche Netzwerke bilden. 50 Prozent derjenigen, die das Training beendet haben, hätten auch Arbeit gefunden, berichtet Samir Omar. Er weiß aber auch, dass da noch mehr gehen sollte. "Das Ziel ist, das auszubauen. Es gibt viele offene Stellen, das ist nicht das Problem. Aber wir müssen die passenden Bewerber finden für die richtigen Stellen."

Heimat zwischen Bodensee und Alpen

Bei Start2work in Vorarlberg konnten in 2016 und 2017 63 Prozent der arbeitssuchenden Flüchtlinge vermittelt werden. "Zweidrittel konnten wir innerhalb von 14 Wochen in den Arbeitsmarkt vermitteln", berichtet Karoline Mätzler. "Und das eine Drittel sind dann wirklich diese Personen, die noch ein bisschen länger Unterstützung brauchen und dann während dieser Zeit nochmal vom Arbeitsmarktservice Unterstützung finden."

Dass die EU unterschiedliche Ansätze unterstützt, ist durchaus Absicht. Man könne so voneinander lernen, sagt EU-Kommissionssprecher Heinz-Rudolf Miko. In Europa gebe es sehr viel unterschiedliches Wissen, wie man die Integration von Flüchtlingen und anderen in Arbeitsmarkt vorgehen kann: "Hier besteht die Möglichkeit, dass ein Austausch auch zu gegenseitigem Lernen führt und möglicherweise Dinge, die hier in Österreich stattfinden, morgen in einem anderen Land aufgegriffen werden und ebenso erfolgreich sind wie hier in Österreich."

Auch Wael hat inzwischen eine Perspektive: Ein Vorstellungsgespräch bei einer Transportfirma steht an. Und er lernt weiter deutsch, sagt er, hört Radio und Fernsehen. Von daher weiß er: "Bei uns hier im Vorarlberg ein Radio sagt: Heimat ist da, wo wir glücklich sind." Erste Integrations-Lektion gelernt.