"Heißer Herbst": Ist Die Linke bereit und fähig, soziale Bewegungen mitvoranzutreiben?

Seite 2: Die Linke und die Personifizierung

Dann müsste sie aber davon wegkommen, die Konflikte zu personifizieren. Es ist kein Zufall, dass einen bei "Aufsehen" sofort Sahra Wagenknecht einfällt. Sie ist ja auch meistens auf den Fotos zu sehen, die dazu veröffentlicht wurden. Aktionen ohne prominentes Gesicht haben es viel schwerer, in die Medien zu kommen. Zum Problem wird das, wenn Linke diesen Hype noch bedienen, wie es Sahra Wagenknecht zweifellos getan hat.

Das es anders geht, hat die zapatistische Bewegung in Mexiko deutlich gemacht. Subcommandante Marcos hatte zeitweilig auch Kultstatus in der bürgerlichen Öffentlichkeit, doch die Zapatistas haben das nicht nur bedient, sondern auch kritisiert. Dahinter stehen unterschiedliche Vorstellungen über den Umgang mit sozialen Bewegungen. Will man sie repräsentieren, sich zu ihren Sprecherinnen und Sprechern aufschwingen oder will man, dass sie für sich selber sprechen und sich selbst organisieren, wie es das Konzept der Zapatistas ist?

Wenn man das erwähnte Foto einer Aufstehen-Aktion in Saarbrücken betrachtet, kann man sich fragen, handelt es sich um einen Auftritt von Lafontaine-Anhängern oder um eine Selbstorganisierung einkommensarmer Menschen? Natürlich wird es auch Kritiker geben, die bemängeln, dass auf dem Foto nur Weiße zu sehen sind.

Doch man kann es gerade als Qualität verstehen, wenn sich Menschen in ihrer sozialen Lage vernetzen und wehren. Da ist eben nicht die Hauptfarbe und Herkunft das Kriterium sondern die soziale Betroffenheit. Das wäre nur zu kritisieren, wenn beispielsweise People of Couleur, die sich ja auch gegen Ausgrenzung organisieren, dabei ausgeschlossen würden. Darauf gibt es aber keine Hinweise.

Aber eine Kritik schon an der Tatsache, dass sich beispielsweise Weiße als Erwerbslose organisieren und nicht auch Menschen mit anderen ethnischen Hintergrund dabei sind, verkennt das Prinzip der Selbstorganisation. Menschen organisieren sich auch in ihren Lebensumfeldern. Problematisch würde es nur, wenn sie dann andere ausgrenzen wollen. Umgekehrt wäre es auch eine Form der Ausgrenzung, wenn diesen Menschen vorgeworfen wird, sie seien nicht divers genug aufgestellt.

Ein Großteil der Kritik an der Bewegung "Aufstehen" kommt aus einer Position des woken liberalen Kapitalismus, die jede Bewegung, die nicht mindestens in jeden Satz eine Phrase von Diversität beinhaltet, als mindestens altmodisch abstempelt.

Dagegen gilt es eine Kritik stark zu machen, die am woken Kapitalismus nicht moniert, dass er sich scheinbar (!) für Minderheitenrechte einsetzt, sondern dass er eben trotzdem Kapitalismus bleibt und immer eine große Anzahl Verliererinnen und Verlierer produziert – auch wenn unter der begrenzten Zahl Erfolgreicher mehrere Hautfarben vertreten sind.

Hier bestünde die besondere Herausforderung der Linken darin, weder als linkes Feigenblatt eines kapitalistischen Blocks zu dienen, noch sich mit regressiven Kräften des Bürgertums gemein zu machen, die am modernen Kapitalismus nicht die Ausbeutung kritisieren, sondern dass eine Regenbogenfahne vor dem Gebäude der Geschäftsführung gehisst wird.

Eine solche Debatte darf gar nicht an den an Politpromis orientierten Lagerdenken beteiligen. Es geht eben nicht um die Frage "Für oder gegen Wagenknecht" sondern darum, wie eine soziale Bewegung irganisiert werden kann, die keine prominenten Galionsfiguren braucht und die sich erst einmal in ihren unterschiedlichen Lebensrealitäten organisiert.

Zumindest in diese Richtung geht ein Debattenbeitrag von Hüyesin Aydin und Bernhard Sander, die sich im Neuen Deutschland über Perspektiven für Die Linke äußern. Die womöglich von der Redaktion kreierte Überschrift "Auf der Suche nach Gewinnerthemen" ist insoweit unglücklich, weil sie den Verdacht nahelegt, hier wolle eine Partei nur Gelegenheiten suchen, sich in Szene zu setzen. Im Artikel werden dann aber reformerische Schritte genannt, die eigentlich Mindeststand für eine linke Praxis sein müssten. Positiv ist, dass die Autoren auf Personifizierungen verzichten.

Gegen Energiearmut und Hochrüstung

Allerdings wird sich die Praxistauglichkeit der Linkspartei nicht an mehr oder weniger schlauen Texten festmachen, sondern an der Frage, ob es ihr gelingt, in den kommenden Protesten gegen Inflation, drohende Energiekrise und Hochrüstung eine koordinierende Funktion zu übernehmen.

In diesem Handgemenge wird es auch darum gehen, rechte und regressive Positionen kleinzuhalten, ohne die soziale Bewegung zu spalten. Vorbild könne die Bewegung gegen die Hartz-IV-Gesetze im Sommer und Herbst 2004 sein. Die Proteste der letzten Wochen in Schwedt wegen der drohenden Schließung der dortigen Raffinerien könnten ein Vorgeschmack auf zukünftige Auseinandersetzungen sein.

Hier müsste eine linke Bewegung einen Brückenschlag zwischen Klimabewegung und Beschäftigten initiieren, die ihre Arbeitsplätze erhalten wollen und dabei auch Produkte herstellen könnten, die die Umwelt und die Gesundheit der Menschen nicht zerstören.

Doch dazu braucht es konkrete Übergangskonzepte und vor allem auch das Bewusstsein, dass die Möglichkeiten der Umsetzung solcher Vorstellungen im Kapitalismus sehr begrenzt sind. Doch solche Debatten wären für die linke Bewegung und auch die Linkspartei auf jeden Fall ein Fortschritt, weil damit Abschied genommen würde vom lähmenden Streit um einzelne Personen, seien es Wagenknecht oder ihre innerparteilichen Gegner.

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