"Heißer Herbst": Ist Die Linke bereit und fähig, soziale Bewegungen mitvoranzutreiben?
Das wären einige wichtige Fragen, die sich die Funktionäre stellen sollten – dabei müssten sie wieder Gesellschaftsanalyse betreiben, statt Konflikte zu personifizieren
In einem "heißen Herbst" der Sozialproteste will sich die Partei Die Linke maßgeblich einbringen, wie kürzlich deren Ko-Vorsitzende Janine Wissler verlauten ließ. Dabei war es in letzter Zeit schon fast ein erfreuliches Zeichen, wenn von der Linkspartei nichts zu hören war. Denn das bedeutet in der Regel, dass sie sich gerade nicht noch weiter zerstreitet und der Spaltung entgegengeht. Das ist zumindest die Erwartung auch von Medien, die der Partei nicht von vornherein ablehnend gegenüberstehen, wie die Wochenzeitung Freitag: "Linkspartei nach dem Parteitag in Erfurt – der Spaltung entgegen lautete unlängst eine Überschrift.
Der Autor machte auch gleich klar, wer seiner Meinung nach diese Spaltung vorantreibt: "Das Lager um Sahra Wagenknecht" erwäge "sich neu zu organisieren, vielleicht in einer neuen Partei?" Das Fragezeichen zeigt, dass der Autor vor allem auf Spekulationen angewiesen ist. Nun ist die Diskussion um eine Abspaltung des Flügels um Wagenknecht nicht neu. Bereits 2018 titelte die Süddeutsche Zeitung: "Aufstehen: Von der Bewegung zur Partei".
Offen blieb dabei immer, ob damit auf die real existierende Linkspartei eingewirkt werden oder eine neue Partei aufgebaut werden sollte. Die Gerüchte, dass es sich bei "Aufstehen" um ein neues Parteiprojekt handelte, verstummten nie, solange die Sammlungsbewegung überhaupt noch relevant war. Tatsächlich hatten diese Gerüchte eine gewisse Grundlage.
Bei "Aufstehen" gab es Protagonisten, die sich genau eine solche Entwicklung gewünscht hatten. Dabei waren auch Mitglieder der Wahlalternative Arbeit & soziale Gerechtigkeit (WASG), die den Weg in die Linkspartei entweder erst gar nicht gegangen oder schnell wieder ausgetreten waren.
Die Mutmaßungen über "Aufstehen" als Partei
Doch die "Aufstehen"-Partei ist trotz aller Mutmaßungen nicht gekommen. Ob es daran lag, dass dieser Sammlungsversuch schon nach wenigen Monaten als gescheitert galt? Dabei haben sich die Protagonisten ihre Niederlage zum großen Teil selber zuzuschreiben. Schließlich wurde mit Sahra Wagenknecht eine Politikerin an die Spitze gestellt, die zu dieser Zeit noch Fraktionsvorsitzende der Linkspartei war.
Ist es schon politisch absolut unprofessionell, an die Spitze eines parteiübergreifenden Bündnisses die Spitzenpolitikerin einer Partei zu stellen, dann wird dieses Personaltableau noch fragwürdiger, wenn klar wird, dass es in der Partei für diese außerparlamentarische Bewegung keine Mehrheit gibt.
Im Gegenteil, relevante Teile der Linkspartei und auch ihres Vorstandes haben "Aufstehen" regelrecht bekämpft oder zumindest boykottiert. Sofort wurde "Aufstehen" als "Wagenknecht-Projekt" entweder hoch- oder abgeschrieben. Es wurde oft gar nicht registriert, dass bei "Aufstehen" auch bekannte Mitglieder der Grünen wie Antje Vollmer und der SPD wie Simone Lange aktiv waren.
Nicht hip und urban genug für Die Linke?
Besonders fatal ist diese Konzentration auf Führungsfiguren allerdings für die Menschen, die in "Aufstehen" vor allem eine soziale Bewegung gesehen haben und nicht eine Selbstverwirklichungsplattform für Parteipolitiker. Dass es diese Menschen gab, wird oft vergessen, weil eben mit "Aufstehen" immer sofort Sahra Wagenknecht und Oskar Lafontaine verbunden werden.
Letzterer war auch mit einem Foto, das Aufstehen-Aktivisten am 3. Oktober 2018 in Saarbrücken zeigt. Dort aber sieht man Menschen unterschiedlicher Generationen, die vielleicht eines eint: Sie sind nicht so urban, hip und divers, wie sich das auch manche in der Linkspartei wünschen. So schrieb die taz bereits wenige Tage nach der Bundestagswahl 2017, also bevor "Aufstehen" überhaupt bekannt wurde, über ein Problem, das sich in den letzten fünf Jahren so verschärft hat, dass es für die Partei zur Existenzfrage werden könnte:
Der Partei gelingt es kaum noch, die Unzufriedenen, die Protestwähler zu erreichen. Es ist die Kehrseite ihrer Etablierung, ihrer Regierungsbeteiligungen und ihrer – trotz Wagenknecht’scher Querschüsse – konsequenten Haltung in der Flüchtlingsfrage.
taz, 30. September 2017
Nun könnte man denken, da wurde ein Problem benannt, dass alle in der Linken umtreibt. Nur gab und gibt es vielleicht unterschiedliche Ansätze, damit umzugehen. Doch auch das musste 2017 bezweifelt werden, wenn man dann las:
Es gibt Linke, die hinter vorgehaltener Hand von einem Reinigungsprozess sprechen. Die problematischen Wähler wenden sich ab und werden ersetzt von einem jungen, weltoffenen, urbanen Milieu. Die meisten der bundesweit 5.000 neuen Mitglieder in diesem Jahr – 700 davon in Berlin – sind unter 35.
taz, 30. September 2017
Knapp fünf Jahre später haben sich nicht nur die "problematischen", sondern auch die umworbenen Wählerinnen und Wähler rar gemacht. Weder "Aufstehen" noch die Fraktion "Hip und urban" war letztlich erfolgreich. Über die Gründe müsste doch eigentlich in der Linkspartei diskutiert werden.
Die Linke und die Personifizierung
Dann müsste sie aber davon wegkommen, die Konflikte zu personifizieren. Es ist kein Zufall, dass einen bei "Aufsehen" sofort Sahra Wagenknecht einfällt. Sie ist ja auch meistens auf den Fotos zu sehen, die dazu veröffentlicht wurden. Aktionen ohne prominentes Gesicht haben es viel schwerer, in die Medien zu kommen. Zum Problem wird das, wenn Linke diesen Hype noch bedienen, wie es Sahra Wagenknecht zweifellos getan hat.
Das es anders geht, hat die zapatistische Bewegung in Mexiko deutlich gemacht. Subcommandante Marcos hatte zeitweilig auch Kultstatus in der bürgerlichen Öffentlichkeit, doch die Zapatistas haben das nicht nur bedient, sondern auch kritisiert. Dahinter stehen unterschiedliche Vorstellungen über den Umgang mit sozialen Bewegungen. Will man sie repräsentieren, sich zu ihren Sprecherinnen und Sprechern aufschwingen oder will man, dass sie für sich selber sprechen und sich selbst organisieren, wie es das Konzept der Zapatistas ist?
Wenn man das erwähnte Foto einer Aufstehen-Aktion in Saarbrücken betrachtet, kann man sich fragen, handelt es sich um einen Auftritt von Lafontaine-Anhängern oder um eine Selbstorganisierung einkommensarmer Menschen? Natürlich wird es auch Kritiker geben, die bemängeln, dass auf dem Foto nur Weiße zu sehen sind.
Doch man kann es gerade als Qualität verstehen, wenn sich Menschen in ihrer sozialen Lage vernetzen und wehren. Da ist eben nicht die Hauptfarbe und Herkunft das Kriterium sondern die soziale Betroffenheit. Das wäre nur zu kritisieren, wenn beispielsweise People of Couleur, die sich ja auch gegen Ausgrenzung organisieren, dabei ausgeschlossen würden. Darauf gibt es aber keine Hinweise.
Aber eine Kritik schon an der Tatsache, dass sich beispielsweise Weiße als Erwerbslose organisieren und nicht auch Menschen mit anderen ethnischen Hintergrund dabei sind, verkennt das Prinzip der Selbstorganisation. Menschen organisieren sich auch in ihren Lebensumfeldern. Problematisch würde es nur, wenn sie dann andere ausgrenzen wollen. Umgekehrt wäre es auch eine Form der Ausgrenzung, wenn diesen Menschen vorgeworfen wird, sie seien nicht divers genug aufgestellt.
Ein Großteil der Kritik an der Bewegung "Aufstehen" kommt aus einer Position des woken liberalen Kapitalismus, die jede Bewegung, die nicht mindestens in jeden Satz eine Phrase von Diversität beinhaltet, als mindestens altmodisch abstempelt.
Dagegen gilt es eine Kritik stark zu machen, die am woken Kapitalismus nicht moniert, dass er sich scheinbar (!) für Minderheitenrechte einsetzt, sondern dass er eben trotzdem Kapitalismus bleibt und immer eine große Anzahl Verliererinnen und Verlierer produziert – auch wenn unter der begrenzten Zahl Erfolgreicher mehrere Hautfarben vertreten sind.
Hier bestünde die besondere Herausforderung der Linken darin, weder als linkes Feigenblatt eines kapitalistischen Blocks zu dienen, noch sich mit regressiven Kräften des Bürgertums gemein zu machen, die am modernen Kapitalismus nicht die Ausbeutung kritisieren, sondern dass eine Regenbogenfahne vor dem Gebäude der Geschäftsführung gehisst wird.
Eine solche Debatte darf gar nicht an den an Politpromis orientierten Lagerdenken beteiligen. Es geht eben nicht um die Frage "Für oder gegen Wagenknecht" sondern darum, wie eine soziale Bewegung irganisiert werden kann, die keine prominenten Galionsfiguren braucht und die sich erst einmal in ihren unterschiedlichen Lebensrealitäten organisiert.
Zumindest in diese Richtung geht ein Debattenbeitrag von Hüyesin Aydin und Bernhard Sander, die sich im Neuen Deutschland über Perspektiven für Die Linke äußern. Die womöglich von der Redaktion kreierte Überschrift "Auf der Suche nach Gewinnerthemen" ist insoweit unglücklich, weil sie den Verdacht nahelegt, hier wolle eine Partei nur Gelegenheiten suchen, sich in Szene zu setzen. Im Artikel werden dann aber reformerische Schritte genannt, die eigentlich Mindeststand für eine linke Praxis sein müssten. Positiv ist, dass die Autoren auf Personifizierungen verzichten.
Gegen Energiearmut und Hochrüstung
Allerdings wird sich die Praxistauglichkeit der Linkspartei nicht an mehr oder weniger schlauen Texten festmachen, sondern an der Frage, ob es ihr gelingt, in den kommenden Protesten gegen Inflation, drohende Energiekrise und Hochrüstung eine koordinierende Funktion zu übernehmen.
In diesem Handgemenge wird es auch darum gehen, rechte und regressive Positionen kleinzuhalten, ohne die soziale Bewegung zu spalten. Vorbild könne die Bewegung gegen die Hartz-IV-Gesetze im Sommer und Herbst 2004 sein. Die Proteste der letzten Wochen in Schwedt wegen der drohenden Schließung der dortigen Raffinerien könnten ein Vorgeschmack auf zukünftige Auseinandersetzungen sein.
Hier müsste eine linke Bewegung einen Brückenschlag zwischen Klimabewegung und Beschäftigten initiieren, die ihre Arbeitsplätze erhalten wollen und dabei auch Produkte herstellen könnten, die die Umwelt und die Gesundheit der Menschen nicht zerstören.
Doch dazu braucht es konkrete Übergangskonzepte und vor allem auch das Bewusstsein, dass die Möglichkeiten der Umsetzung solcher Vorstellungen im Kapitalismus sehr begrenzt sind. Doch solche Debatten wären für die linke Bewegung und auch die Linkspartei auf jeden Fall ein Fortschritt, weil damit Abschied genommen würde vom lähmenden Streit um einzelne Personen, seien es Wagenknecht oder ihre innerparteilichen Gegner.
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