Heißt Antifaschismus CDU wählen?
Während die CDU Lockerungen nach rechts unternimmt, wurde die Wahl eines CDU- Kandidaten in Görlitz von der Restlinken als antifaschistische Tat verklärt
Ist es wirklich eine Schnaps-Idee, wenn ein CDU-Politiker in Sachsen-Anhalt über Kooperationen mit der AfD nachdenkt? Und warum wird dann despektierlich von einem "Fahrlehrer aus Quedlinburg" gesprochen, der es auf die Startseite von Spiegel-Online geschafft hat?
Wird da nicht das Klischee des Besser-Wessis bedient, der etwas nur für relevant hält, wenn es aus einer Stadt mit mindestens 100.000 Einwohnern kommt? Gibt es eigentlich im grünen Knigge auch schon einen Fachbegriff für Diskriminierung von Menschen aus der Provinz bzw. aus kleinen Städten? Und warum wird eine Kooperation zwischen Union und AfD plötzlich als schwarz-braune Koalition tituliert? Wenn man schon das geistlose Farbenspiel mitmacht, müsste es ja eigentlich Schwarz-Blau heißen? Gab es nicht in den letzten Jahren zahlreiche Antifakonferenzen, in denen begründet wurde, dass die AfD eben nicht einfach die alte Rechte und schon gar nicht die NSDAP ist? Wird mit einen Vergleich zwischen NSDAP und AfD nicht auch der NS-Terror relativiert? Gibt es begründete Argumente, die diese Argumente entkräften?
Oder wird jetzt die AfD zur NSDAP aufgebaut, weil man so hofft, dass es für die Union es schwerer hat, mit der Rechtsaußenpartei zu kooperieren? Schließlich wurde in der Vergangenheit und wird von Konservativen teilweise bis heute das Bild einer stalinistischen Mauerpartei ausgegraben, wenn man verhindert will, dass Grüne und SPD mit der Linkspartei kooperieren. Das klappt immer weniger und ist politisch widersinnig. Genauso falsch ist es, die AfD zu einem braunen Wiedergänger der NSDAP zu erklären. Man muss sie vielmehr als modernisierte Rechte kritisieren, die ideologisch sehr gut zum Konkurrenzkapitalismus passt. Dabei gibt es viele Schnittmengen zur Union, wie eben die Politiker aus Sachsen-Anhalt in ihren Erklärungen deutlich machen.
Wenn die Politiker aus Sachsen-Anhalt sich gegen "ungesteuerte Migration" und die "Zunahme an neuer brutaler Kriminalität" wenden, kupfern sie nicht etwa von der AfD ab oder verwenden Naziparolen. Das sind Positionen, wie sie in der Union schon immer gebraucht wurden. Man kann mühelos Forderungen von Innenminister Seehofer zitieren, die noch viel eindeutiger rechts waren. Wenn der CDU-Politiker aus Quedlinburg erklärt, es müsse wieder gelingen, das Soziale mit dem Nationalen zu versöhnen, dann ist das seit jeher die Unionsposition.
Man muss sich die Konservativen schön reden, um sie als Koalitionspartner einer Liaison mit den Grünen besser verkaufen zu können. Man muss aber diese Parteipropaganda nicht auch noch selber glauben. Es gab in der Vergangenheit immer wieder Unionspolitiker, die mit der AfD im Landesparlament abstimmten und die damit deutlich machten, dass ihnen ein Bürgerblock näher ist als das Bündnis mit SPD und Grünen. Aus einer linken Sicht wären solche Klarstellungen nur zu begrüßen, weil man dann eben deutlich machen könnte, dass die AfD Teil bürgerlicher Politik ist. Und es ist eben nicht nur die ultrakonservative Werteunion, die von den Liberalen eher als Ausnahme in der Union verstanden wird, die die Gemeinsamkeiten zwischen Union und AfD hervorhebt.
Gauck war Favorit der Jungen Freiheit
Auch der parteilose Ex-Präsident Gauck hat seine Lockerungsübungen nach rechts wiederholt. Die Empörung war abzusehen. Nur ist es eine historische Amnesie, dass kaum jemand aufgefallen war, dass Gauck sich da politisch treu geblieben ist.
Das musste wohl vergessen werden, weil schließlich der als links geltende Jürgen Trittin, als er noch aktiver Politiker bei den Grünen war, sich rühmte, der eigentliche Erfinder der Präsidentschaft des Mannes gewesen zu sein, den das rechte Wochenblatt Junge Freiheit als ihren Präsidenten bezeichnete.
Einer der wenigen, der bereits 2012 die schwarzgrüne Gauckomanie störte, war der damalige Taz-Kommentator Deniz Yüksel. Kurz nach seiner Wahl zum Präsidenten schrieb er:
Jetzt also der. Jetzt bekommen die deutschen Medien den, den sie vor anderthalb Jahren in seltener Einmütigkeit unbedingt haben wollten: "Der bessere Präsident" titelte damals der Spiegel, "Yes we Gauck", ergänzte extrem kreativ die Bild am Sonntag, und auch in der taz fragten die meisten Kollegen nicht, welcher Teufel die Grünen und mehr noch die SPD geritten hatte, diesen eitlen Zonenpfaffen aufzustellen, sondern waren pikiert, dass die Linkspartei Joachim Gauck die Gefolgschaft verweigerte.
Deniz Yücel
Über Gaucks damalige Lockerungsübungen nach rechts schrieb Yücel vor sieben Jahren:
Mag Gauck durch seine Wortmeldungen zu Thilo Sarrazin (fand er gut) und zur Occupy-Bewegung (fand er doof) seither in dieser Zeitung und ihrem Milieu einiges an Sympathien verloren haben, der "Präsident der Herzen" (Bild, Spiegel, Solinger Tageblatt) ist er geblieben. Fragt sich bloß: Warum eigentlich?
Deniz Yücel
Dass er die Toleranz nach Links nicht gewähren wollte, war auch damals schon klar:
Nein, Gauck ging es bloß um schnöden, gutdeutschen Antikommunismus. So meinte er im Sommer vorigen Jahres zur Beobachtung von Politikern der Linkspartei: "Wenn der Verfassungsschutz bestimmte Personen oder Gruppen innerhalb dieser Partei observiert, wird es dafür Gründe geben. Er ist nicht eine Vereinigung von Leuten, die neben unserem Rechtsstaat existiert und Linke verfolgt." Alles, was Joachim "Behörde" Gauck an Intellektualität, Freiheitsliebe und kritischem Geist zu bieten hat, steckt bereits in diesen zwei Sätzen.
Deniz Yücel
Für diese klaren Worte hassen Yücel manche Rechte bis heute und hätten sich gewünscht, dass er weiter in türkischen Gefängnissen geblieben wäre. Aber auch manche Grüne haben Yücel seine Gauck-Kritik übel genommen. Wäre sie zur Kenntnis genommen worden, müsste mancher Kommentator nicht so überrascht sein, dass sich Gauck mit seinen Lockerungsübungen nach rechts treu geblieben ist.
Wie sich die Linke in Görlitz selber abschafft
Zu welcher Pirouetten einer linksreformerischen Realpolitik es führt, wenn man sich die Union schönschreibt und die AfD als NSDAP-Verschnitt fehldeutet, zeigten die Oberbürgermeisterwahlen in Görlitz am letzten Wochenende.
Denn dort hätte es tatsächlich ein AfD-Kandidat geschafft, Oberbürgermeister zu werden. Das ist nicht verwunderlich. Schließlich hat die AfD bereits bei anderen Wahlen in der Region große Erfolge gehabt. Das ist alles nicht schön, aber auch kein Grund, die Rückkehr des Faschismus an die Wand zu malen. Doch manche Linke schienen genau damit ihre weitere Anpassung an die bürgerliche Gesellschaft zu begründen. Wenn es um Realpolitik geht, sind Differenzierungen vergessen und die AfD mutiert fast zur NSDAP. Mit dem Effekt, dass Linke, Grüne und vielleicht auch manche früheren Nichtwähler nun den CDU-Kandidaten wählten, um in Görlitz einen AfD-Bürgermeister zu verhindern.
"Der Spruch, Antifa heißt heute CDU wählen", war dann keine Satire mehr oder höchstens Realsatire. Da wurde die alte Antifa-Losung: "Kein Fußbreit den Rechten" so umgewandelt, dass man den etablierten Rechten gegen den rechten Aufsteiger unterstützte. Eine Konstellation, die sich in der nächsten Zeit noch öfter einstellen könnte, wenn die AfD in Brandenburg, Sachsen oder Sachsen-Anhalt so stark wird, dass nur eine Koalition aller anderen verhindern kann, dass sie mitregiert.
Und hinterher kann man sich nur lauthals beschweren, dass die Unionsvorsitzende Kramp-Karrenbauer in einer ersten Stellungnahme zum Sieg ihres Oberbürgermeister-Kandidaten nicht einmal erwähnte, dass Grüne, Linke und SPD durch ihre Wahlempfehlung dazu ihren Beitrag leisteten. Die mediale Empörung, die folgte, zeigt aber auch das Dilemma einer Linken, die schon zufrieden ist, wenn sie als Unterstützerin eines konservativen Oberbürgermeisters auch gewürdigt wird, weil man ja schließlich die bösen Rechten verhindert zu haben.
Kaum Diskussionen über Alternativen zur Logik des kleineren Übels
Hätte die Linke, statt sich über Kramp-Karrenbauer zu empören, Diskussionen über Alternativen zur Logik des kleineren Übels geführt, wäre das auf jeden Fall sinnvoller gewesen. Das hätte zunächst bedeutet, die linke Erkenntnis zu reaktivieren, dass auch für Kommunalpolitiker gilt, dass sie noch längst nicht an der Macht sind, wenn sie regieren. Hätte man nicht bei der Görlitzer OB-Wahl erklären können, es gebe hier zwischen CDU und AfD keine Wahl?
Stattdessen hätte man ein Organisieren mit Jugendlichen, mit einkommensschwachen Menschen, mit Migranten versuchen können, die eben größtenteils auch keine großen Erwartungen in Wahlen setzen. Man hätte dann auch deutlich machen können, dass man Maßnahmen der Oberbürgermeister, wer immer das dann gewesen wäre, notfalls von unten verhindern wird, wenn sie sich gegen die Interessen von Teilen der so aktivierten Bevölkerung richten. Natürlich wären in Görlitz solche Organisierungsprozesse ungleich schwerer, als in größeren Städten. Doch es wäre wenigsten der Versuch gewesen, die linke Erkenntnis umzusetzen, dass der beste Kampf gegen rechts darin besteht, wenn sich Menschen gegen die Zumutungen der bürgerlichen Gesellschaft organisieren.
In Görlitz könnte bald die Situation eintreten, dass der mit Unterstützung der Linken, Grünen und SPD gewählte CDU-Oberbürgermeister repressivere Maßnahmen durchsetzt, als sie sich ein AfD-Mann auch nur erlauben könnte. Denn bei ihm wäre die Aufmerksamkeit auch außerhalb von Görlitz viel größer gewesen. Doch nun, wo ja in Görlitz angeblich ein erfolgreicher Antifa-Wahlkampf zu Ende ging, wird es sicher schwieriger zu mobilisieren, wenn dort gegen bestimmte Minderheitengruppen repressiver vorgegangen wird.
Empfohlener redaktioneller Inhalt
Mit Ihrer Zustimmmung wird hier ein externer Inhalt geladen.
Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.
Wie der Kampf gegen Rechtsterroristen in die Mitte führt
Nun gibt es scheinbar radikale Anti-Rechts-Aussagen, nachdem sich herausgestellt hat, dass der hessische CDU-Politiker Walter Lübcke vermutlich von einem Neonazi erschossen wurde, der womöglich auch nicht nur Einzeltäter war. Tatsächlich wäre dieses Attentat eine gute Gelegenheit, an die rechtsterroristische Traditionen zu erinnern, die nicht erst mit dem NSU begannen.
Die Wehrsportgruppe Hoffmann und der bis heute nicht restlos geklärte Bezug zum Oktoberfestanschlag, auch die Ermordung des jüdischen Verlegers und Rabbiners Shlomo Lewin und seiner Lebensgefährtin Frieda Poeschke wären da zu erinnern. Wenn sich heute Rechte im Netz auf einen Tag X vorbereiten und Listen zusammenstellen, auf denen missliebige Personen, bürgerliche Liberale und Reformlinke zu finden sind (Braune Schattenarmee), dann knüpfen sie an das Treiben der Geheimarmee Schnerz an, die mit Erlaubnis der Adenauer-Regierung solche Listen für den Tag X erstellten.
Das Bündnis der Offiziere a. D. wollte die junge Bundesrepublik in diesem frühen Stadium des Kalten Krieges gegen östliche Angreifer verteidigen. Zugleich schwebte ihm ein Einsatz im Inland vor, gegen Kommunisten, für den Fall eines Bürgerkriegs. Es sammelte Informationen über Politiker linker Provenienz wie den Sozialdemokraten Fritz Erler, es bespitzelte Studenten wie Joachim Peckert, der in den Siebzigerjahren Botschaftsrat an der Bonner Vertretung in Moskau wurde.
Der Spiegel
Diese rechten Kameraden konnten in den 1950er Jahren noch an die Tradition der rechten Fememorde in der Weimarer Zeit anknüpfen, dem schon vor 1933 nicht nur Linke und Pazifisten, sondern auch bürgerliche Politiker wie Walter Rathenau und Matthias Erzberger zum Opfer fielen. Eher unbekannt sind die rechten Fememorde in Bayern, die nach dem Sieg der rechten Konterrevolution über die Räterepublik an Linken, aber auch an Menschen, die zu viel über die rechten Umtriebe wussten, in den frühen 1920er Jahren verübt wurden. Der Publizist Emil Gumbel hat bereits 1920 untersucht, wie die Justiz damals auf rechte und linke Gewalt reagierte. Doch auch nach dem rechten Mord an Lübcke wird wenig über solche historischen Fakten berichtet. Stattdessen ruft die linksliberale Publizistin Jagoda Marinic nach einer Stärkung der ominösen Mitte:
Am gefährlichsten ist das Antidemokratische jedoch nicht in den Parallelgesellschaften, sondern in der deutschen Mehrheitsgesellschaft: Im Verhältnis zu ihrer Stärke oder Schwäche entwickelt sich der rechte Rand. Joachim Gauck mutiert gerade zum Sarrazin light. Es braucht keine Brückenbauer von den rechten Rändern in die Mitte. Es braucht jetzt eine demokratiefähige Mitte, die sich nicht einschüchtern lässt und Grenzen setzt!
Jagoda Marinic, Taz
Die Kritik an Gauck und die Gefahr aus der Mitte der Gesellschaft sind sehr prägnant. Daher ist es umso enttäuschender, wenn Marinic dann selber eine "demokratiefähige Mitte" bedient und so einen Mitte-Mythos schafft, der eine Kapitulation der Linken bedeutet. Da wird dann schon mal CDU-Wählen als Antifa deklariert.
Empfohlener redaktioneller Inhalt
Mit Ihrer Zustimmmung wird hier eine externe Buchempfehlung (Amazon Affiliates) geladen.
Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Amazon Affiliates) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.