Herr, gib uns unser tägliches Dopamin heute!
Zur neuronalen Biochemie des Okkulten
"Was sind paranormale Tonbandstimmen? Es sind Stimmen unbekannter Herkunft" sang Laurie Anderson auf Big Science. Doch ihre Herkunft könnte weniger geheimnisvoll sein, als es die Jünger des Paranormalen, die Fraktion der Tischrücker, die Gläubigen der Vorahnungen und des Okkulten vermuten. Paranormale Überzeugungen sind wie jeder Gedanke oder Sinneseindruck zunächst ein Stoffwechselvorgang, der in bestimmten Regionen des Gehirns sein Wesen oder Unwesen treibt. Sollten Menschen mit hohen Dopamin-Level mit größerer Wahrscheinlichkeit Bedeutung im Bedeutungslosen finden und vermeintlichen Koinzidenzen von Ereignissen nachspüren, wo Skeptiker nichts, rein gar nichts beobachten?
Peter Krummenacher und Peter Brugger, beide Neurologen an der Universitätsklinik in Zürich, und ihre Kollegen gingen dieser Frage nach und stellten jetzt bei einem Treffen der Federation of European Neuroscience Societies in Paris ihre Ergebnisse vor. Dabei leitete sie die Hypothese, dass Menschen, die an das Paranormale glauben, bereitwilliger Zeichen, Muster, Wörter in sinnfällige Zusammenhänge stellen. Untersucht wurde eine Gruppe von zwanzig bekennenden "Gläubigen" und zwanzig Skeptikern. Zunächst sollten die Probanden auf dem Bildschirm echte Gesichter von aufgelösten Gesichtern unterscheiden und anschließend richtige Wörtern von erfundenen differenzieren.
Die Gruppe der "Gläubigen" war im Gegensatz zu den Skeptikern viel eher bereit, Wörter oder Gesichter dort zu erkennen, wo "objektiv" kein Pattern vorhanden war. Skeptiker versagten mitunter dagegen, reale Gesichter oder Wörter überhaupt als solche zu erkennen. Die Forscher verabreichten ihren Probanden dann eine Dosis L-Dopa, ein Medikament bzw. eine Droge, die üblicherweise eingesetzt wird, um die Symptome der Parkinson-Krankheit zu lindern, in dem der Dopamin-Level des Hirns erhöht wird.
Dopamin ist ein sog. Neurotransmitter, der Impulse zwischen Hirn, Nerven und Immunsystem weiterleitet. Dopamin lässt sich als Regulierer intrinsischer Motivations-, Belohnungs-, und Suchtphänomene bezeichnen (Gewinnspiele triggern die Lustzentren im Gehirn. Dopamin gilt nicht nur als der Schlüssel zum glücklichen und bewegten Leben, sondern wurde auch in der Schizophrenieforschung als Übeltäter der Selbstentfremdung und Wahrnehmungsstörungen vermutet. Inzwischen steht wohl fest, dass bei Schizophrenen nur ein Teil der Dopamin-Signalwege überaktiv reagiert. Da auch die Frage, welchen Ereignissen wir Aufmerksamkeit schenken, durch Dopamin mitbestimmt wird, könnte hiervon auch eine zukünftige Aufmerksamkeitsforschung profitieren (Der Anblick des Schönen wirkt wie Rauschgift).
Beide Gruppen machten unter dem Einfluss der Droge mehr Fehler, aber die Skeptiker erkannten nun auch in einer größerem Umfang malträtierte Wörter oder Gesichter. Aus "gedopten" Skeptikern wurden zwar noch keine Gläubige des Paranormalen, aber ihr "kartesianischer Zweifel" minimierte sich, d.h. positiv formuliert: Dopamin hilft Menschen, Bedeutung, Sinn und Muster zu erkennen. Die einmalige Einnahme der Droge reichte allerdings nicht aus, auch die Anhänger des Paranormalen anzustacheln, noch besser zu erkennen, was die Welt im Innersten zusammenhält. Peter Krummenacher, ein Kollege von Brugger, macht hierfür einen so genannten Plateau-Effekt verantwortlich, demnach Dopamin ab einer gewissen Schwelle einen relativ geringen Effekt macht.
Viel spricht also dafür, dass paranormale Überzeugungen und Eindrücke auf einem höheren Dopamin-Grad im Gehirn zurückzuführen sind. Sollten Emanuel Swedenborg, Jakob Böhme, Alan Kardec, August Strindberg, die die Gabe der Apophänie (plötzliche Wahrnehmung von Verbindungen und Bedeutungen in vermeintlich unverbundenen Phänomenen) besaßen, lediglich Opfer und Nutznießer ihres Dopamin-Pegels gewesen sein? Auch die antiken Götter, Orakel, Lourdes, Fatima und spirituelle Eingebungen aus dem jenseitigen "Off": nichts als schnöde Dopaminüberfunktionen?
In einer Zeit horrender Glaubensverluste, leer stehender Kirchen, von verwaisten Klöstern ganz zu schweigen, könnte die biochemische Frohbotschaft lauten: Gebt den Glaubensschwachen ihr tägliches Dopamin-Plus und göttliche Stimmen, Marienerscheinungen, aber auch Teufelsspuk und selbstverständlich Verschwörungstheorien werden wieder so normal wie paranormal. Wirklichkeit ist halt, wie sie Stanislaw Lem in einer seiner Geschichten entwarf, ein Drogeneffekt. Sollte sie nur so auszuhalten sein?
Paranormal Begabte freilich wird die säkulare Herkunft ihrer Visionen nicht beeindrucken, da schließlich der Herr für die Verteilung des Dopamins verantwortlich ist und die Wege des Herrn, sich seinen Gläubigen mitzuteilen, eben unergründlich bleiben.