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Seite 3: Was finden Christen bei den Rechten?

Guske (2013) nennt wie Bednarz verschiedene Politikfelder, die für Evangelikale besonders wichtig sind. Vor allem die Familien- und Sozialpolitik, dann Religionspolitik und Menschenrechte, drittens Bildungspolitik, viertens Außenpolitik, fünftens Wirtschaftspolitik, sechstens Umweltpolitik.

Je nach Politikfeld wird erstens entweder politisch oder religiös argumentiert und zweitens entweder an Christen ein Verhaltenskodex oder an staatliche Akteure eine politische Entscheidung im christlichen Sinn adressiert.

Guske sieht bei Evangelikalen unterschiedliche Formen politischer Aktivität, vom Gebet für die Regierung, über den Aufruf, vom Wahlrecht zum Gebrauch zu machen, die Kontaktaufnahme zu Politikern, bis hin zur Kandidatur für politische Ämter.

"Ziel des Engagements in der Politik ist ganz offenkundig deren Durchdringung mit christlichen Vorstellungen und Werten." (107) Einerseits werde ein ganz klares Bekenntnis zum deutschen Rechtsstaat abgelegt, andererseits sei die letzte Instanz nicht der freiheitlich-demokratische deutsche Rechtsstaat, sondern Gottes Gesetze.

Guske sieht innerhalb der evangelikalen Bewegung eine Politisierung (162), und zwar mit Kontakten direkt in politische Strukturen hinein und – und das ist interessant – die evangelikale Bewegung agiere dabei sehr pragmatisch, Bündnisse würden auch mit Partnern eingegangen, mit denen man in anderen Themenfeldern überhaupt nicht übereinstimmt." (164) Sie nennt das "Undogmatischer Pragmatismus" (97).

Im Sinne dieses undogmatischen Pragmatismus gehe man unterschiedliche Allianzen ein, so schrieben einige Evangelikale für die "Junge Freiheit", wehrten sich aber vehement dagegen, in die Nähe rechter Politik gerückt zu werden (185). Theologische Diskurse würden nicht geführt (186), denn das Ziel und nicht der Weg sei handlungsleitend.

Das kann für einen Teil der konservativen Christen zutreffen: Dass sie zufällig rechts sind, genauer: dass man sie für rechts hält, ohne dass diese Einschätzung wirklich zutrifft.

Aber es geht auch anders. Es gibt Christen mit dezidiert rechten Positionen. Christen, die eine Nähe nach rechts suchen. Gemeinsame Themen wurden schon aufgezählt. Bednarz nennt auch christliche AfD-Apologeten, so etwa haben zwei katholische Professoren ein Buch mit dem Titel "Warum Christen AfD wählen" verfasst, der Untertitel lautet, "Wo die linken Großkirchen geschlafen haben: Islam, Ausbeutung der Leistungsträger, Gender-Ideologie, Zerfall der Familie, Pazifismus-Illusion usw."

Die Verfasser verstünden sich als nicht konservativ, sondern libertär im Sinne der Tea Party. Anderes Beispiel: "Christen in der AfD"-Mitglieder kamen mit Beatrix von Storch, Volker Münz und Ulrich Oehme in den Bundestag. Die AfD habe ein kirchenpolitisches Manifest vorgelegt, indem sie aber im Grunde die Kirchen bitte, mit ihr zu sprechen.

Allerdings werde die Partei in ihrer Kritik gegenüber der evangelischen Kirche teilweise maßlos und deswegen auch im konservativ-christlichen Milieu zunehmend kritisiert. (231)

Stefan Rochow, NPD-Aussteiger und gläubiger Katholik, nennt drei Punkte, "'die aus christlicher Sicht eine grundsätzliche Kritik verdienen: eine ideologische Überhöhung der Nation, das Schüren von Ressentiments gegen Minderheiten, hier insbesondere gegen Fremde und Muslime, und ein Anti Universalismus, der vor allem in den neurechten Zirkeln der Partei gepflegt wird'." (234)

Und Paul Michael Zulehner, Wiener Emeritus für Pastoraltheologie, ist nicht der glaubensstarke Islam das Problem Europas, sondern das glaubensschwache Christentum (235).

Ähnlich Martin Fritz (Dietrich 2021): Der spricht von Prozessen der Radikalisierung bestimmter Christen. Seines Erachtens handelt es sich im Grunde um ein konservatives Christentum, das sich aufgrund bestimmter Polarisierungs- und Marginalisierungsprozesse in Richtung populistische neue Rechte radikalisiert.

Fritz sieht fünf Schwerpunkte dieses neurechten Christentums: zu bewahren, realistisch zu denken, patriotisch zu sein, wehrhaft zu sein und ohne Zweifel zu sein. Nehmen wir das Beispiel patriotisch, dazu sagte er in einem Radiointerview:

Heimatgefühle sind ja auch linken Menschen nicht fremd, dass man sich an einem bestimmten Ort heimisch fühlt, wo man herkommt. Warum spielt das bei den rechten Christen eine Rolle? Religiöse Motive spielen da schon rein, man sagt: Gott hat die Welt so geschaffen, dass es darin vielerlei Völker gibt, die unterschiedliche Charaktere haben. Und diese Vielheit soll gewahrt bleiben, auf dass nicht alle Völker, alle Nationen gleich sind am Ende. Aber dann kommt eben dieser Schöpfungsgedanke wieder als ein theologisches Argument: Gott hat die Welt so geschaffen – das ist dann zum Teil auch unfreiwillig etwas komisch, wenn man sich da auf den Turmbau von Babel bezieht, der ja in der Bibel tatsächlich keine Schöpfungsordnung beschreibt, sondern eben lange nach der Schöpfung ist und eben eine Strafordnung Gottes ist – dass es eine Vielzahl von Sprachen und Völkern gibt.

Die Redakteurin des Deutschlandfunks fragte dann: "Was würden Sie sagen, ist das noch Christentum?" Und er antwortete: "Jedenfalls würde ich diesen Leuten nicht das aufrechte religiöse Interesse absprechen. Manchmal mag man dieses Christliche eher zum Schein und zur Verstärkung der eigenen politischen Ambitionen zum Einsatz bringen. Aber ich würde nicht grundsätzlich sagen, dass es sich hier um eine Instrumentalisierung von Religion handelt."

Was finden Rechte an Christen?

Rechte profitieren von Christen, das gibt Ihnen einen seriösen Anstrich. Ihnen wird häufig Menschenverachtung vorgeworfen und mit der christlichen Botschaft der Nächstenliebe haben sie dann ein Gegengewicht, ein Gegenargument gegen den häufig geäußerten Vorwurf der Menschenverachtung.

Und laut Bednarz (2018) gelingt es der neuen Rechten mit einem speziellen Habitus, anschlussfähig für manche strenggläubigen Christen zu werden: sie benutzen christliche Ausdrücke, beziehen sich auf Gott, und müssen so keine Meinung über die gesellschaftliche Entwicklung des 20. Jahrhunderts begründen und äußern. (42)

In einem sehr interessanten Sammelband mit dem bezeichnenden Titel "Alternative für Christen? Die AfD und ihr gespaltenes Verhältnis zur Religion" (Thielmann 2017) finden sich zwei Beiträge, die das Ganze zuspitzen. Ein Beitrag stammt aus der Feder von Hartmut Beuker.

Er ist promovierter Jurist und Rechtsanwalt, Kreisvorsitzender der AfD in Wuppertal und Kandidat für die Landtagswahl im Jahr 2017. Und lange Jahre im Presbyterium der Landeskirche. Der andere ist von Ilka Federschmidt, genauer ein Interview des Herausgebers mit ihr. Sie ist seit dem Jahr 2011 Superintendentin in der Evangelischen Kirche im Rheinland.

Beuker nennt mehrere Gründe, aus denen er der AfD beigetreten ist und für sie kandidiert habe. Vor allem aber sagt er, dass man ihm weder die Verfassungswidrigkeit noch die Unchristlichkeit der Parteiprogrammatik habe nachweisen können.

Und als bedenkliche Äußerungen der Parteimitglieder habe man immer nur dieselben fünf oder sechs Äußerungen genannt (97). Er erzählt, dass er nach langem Schweigen, das er als Verrat zu empfinden scheint, aufgefordert wurde, aus dem Presbyterium auszutreten, sonst müsste das Presbyterium selbst zurücktreten. Er ließ es darauf ankommen und das Presbyterium trat zurück.

Das nachfolgende Kapitel im Sammelband ist dann ein Interview mit Federschmidt, der zuständigen Superintendentin. Und sie sagt, dass die AfD laut Grundsatzprogramm demokratisch sei – aber die "Tür für Rassismus, Sozialneid und Hass" öffne (104) und sie zitiert eine ganze Menge Ausdrücke aus dem Programm, die Übles erwarten lassen, zum Beispiel: "'Unaufhaltsame Besiedelung Europas'. Das klingt, als fielen demnächst Vandalenhorden über den Kontinent her." (104)

Auch wenn man Beukers Argumentation nachvollziehen kann, und die Kirchengemeinde sich Beuker gegenüber offener hätte verhalten können: Es bleibt der Eindruck, dass Beuker sich vereinnahmen ließ – die Superintendentin hat es ja auch verstanden.

Er ist promovierter Jurist und im Presbyterium der Kirche – jede Partei leckt sich nach so jemand die Finger. Vielleicht wollte er das Schlechte in der AfD nicht sehen. Wobei man ihm aber auch zugutehalten muss, dass es um Ereignisse aus dem Jahr 2017 geht und die AfD damals noch, sagen wir, diverser war.