Herr, unser Gott, bewahre uns vor der Impfpflicht!

Pegida-„Weihnachtssingen“ in Dresden am 16.12.2018. Bild: Derbrauni, CC BY-SA 4.0

Wie Christen ihre politische Heimat in der rechten Szene finden. Und wie sich das politische Verhältnis in der Pandemie geändert hat (Teil 1)

Am Anfang dieses Jahres trat ein "Arbeitskreis Christliche Corona-Hilfe (ACCH)" mit einem "Gebetstag" an die Öffentlichkeit: Am 30. Januar sollten Christen und Gemeinden, sozusagen in einer konzertanten Aktion, gemeinsam gegen die Impfpflicht beten. – Nach der Abstimmung im Bundestag am 7. April priesen sie Gott.

Im Jahr 2013 wurde die AfD gegründet. Zwei Jahre später entstand die Bundesvereinigung "Christen in der AfD".

Nur zwei Beispiele für die Verknüpfung von Christen und rechter Szene bzw. Christen und Coronaleugner-Szene.

Inzwischen vermengen sich diese drei Szenen auch bei zahlreichen Montagsdemonstrationen mit zeitweilig zehntausenden Teilnehmern. Wem nützt eigentlich der Kontakt: Profitieren Coronaleugner und Rechte von Christen? Oder ist es umgekehrt und Christen nutzen diese Szenen aus? Warum überhaupt entstehen solche Verbindungen? Worin bestehen die jeweiligen Schnittmengen? Und was bedeutet das für unsere Gesellschaft?

Quellen und Methode dieser Untersuchung

Vor allem im evangelikalen Onlinemagazin idea findet man viel Material. Idea begann als Informationsdienst der Evangelischen Allianz, einem Dachverband für Evangelikale, "idea" ist ein Akronym. Das Medium hat von Anfang an exklusiv über die Evangelikale Bewegung berichtet und dürfte sie dadurch zusammengehalten haben (siehe Quellen am Ende des Beitrags: Bauer 643). Heute ist es DAS Sprachrohr für konservative Christen, auch wenn es in diesen Kreisen nicht unumstritten ist.

Am 25. Mai 2022 ergab die Suche des Stichworts "Corona" 2.391 Ergebnisse, das Stichwort "AfD" 1.075, "rechtsextrem" 581 und "Pegida" 111 Treffer – die Themen sind in den Augen von Redaktion und Lesern durchaus gewichtig.

Weitere Quellen sind das nicht ganz so konservative christliche Onlinemagazin Pro und Internetauftritte diverser Gruppen aus dem evangelikalen Bereich wie der Arbeitskreis Christliche Coronahilfe, die eingangs zitierte ACCH.

Ziemlich viel Sekundärliteratur gerade zur evangelikalen Bewegung stammt von Freikirchlern, die etwa die Geschichte ihrer Gemeinschaft erforschen, und ist teilweise eher als Quelle denn als Sekundärliteratur zu betrachten; Ausnahmen sind die Habilitationsschrift von Gisa Bauer und die Dissertation von Katja Guske – allerdings erschien die Habilitationsschrift im Jahr 2012 und behandelt die Zeit bis 1989 und die Dissertation stammt aus dem Jahr 2013, daher geht es gar nicht um Coronaleugner und um die rechte Szene eher am Rand. Sekundärquellen zu diesen Verbindungen gibt es nicht allzu viel: Beim heutigen Thema kennen sich etwa die Publizistin und promovierte Juristin Liane Bednarz und der habilitierte Theologe Martin Fritz aus, außerdem gibt es ein paar Aufsätze.

Man kann keinesfalls sagen, dass konservative, selbst evangelikale oder fundamentalistische Christen per se dem rechten Gedankengut und der Leugnung von Corona zuneigen.

Aber es gibt eben solche Schnittmengen. Es ist allerdings schwierig, das Phänomen mit Zahlen zu fassen: Das liegt an unterschiedlichen Definitionen und an den mangelnden Umfragen: Wie viele Menschen bezeichnen sich als Christen, was verstehen sie darunter, und wer von ihnen neigt rechten Positionen zu bzw. hält Corona für eine Art Grippe und verweigert die Impfung?

Zunächst also muss man das Phänomen operationalisierbar machen, also in Worte fassen und messbar machen. Begriffe wie konservativ, Freikirche, Evangelikale, Rechte etc. sind einigermaßen umstritten.

Definitionen der Akteure

Freikirchen: Dies ist kein geschützter Begriff. Vor einiger Zeig ging folgende Aussage durch die Medien: "Freikirchliche Protestanten stehen der AfD näher als Mitglieder der evangelischen Landeskirchen oder der katholischen Kirche." Der Baptistenpastor Peter Jörgensen (Jörgensen 2017:63) ging dem nach und schrieb, dass es für diese Behauptung lediglich eine Quelle gebe, an deren Klarheit Zweifel angebracht seien.

Im Auftrag von idea habe das Meinungsforschungsinstitut Insa-Consulere – das der AfD eng verbunden sei – im Herbst 2016 eine Online-Befragung durchgeführt, derzufolge unter Katholiken 12,5 Prozent die AfD wählten, unter landeskirchlichen Protestanten gut acht Prozent, aber in den evangelischen Freikirchen fast 17 Prozent.

Daran kritisiert Jörgensen, dass Freikirche ein Gattungsbegriff für mehr oder minder alles sei, was nicht zur Volkskirche gehöre. Allerdings spricht auch Jörgensen von einer "AfD-nahen idea-Szene" (71), die ziemlich mächtig zu sein scheint und betont demgegenüber die Offenheit der Vereinigung evangelischer Freikirchen, zu der auch seine Freikirche, die Baptisten, gehören.

Er hat nicht unrecht, aber es gibt einen üblichen Sprachgebrauch: Freikirchen sind etablierte Gemeinschaften; neuere und kleinere Gruppierungen bezeichnet man als "neureligiöse Gemeinschaften".

Konservative Christen: (Bednarz 2017: 16 und 2018:7): Katholiken, die etwa die Frauenordination ablehnen und den Zölibat und eine strenge Kirchenhierarchie befürworten und bibeltreue Protestanten, die sich vorrangig im evangelikalen Milieu – Freikirchen oder die entsprechenden Kreise der Landeskirchen der EKD – finden)

Evangelikale Christen: Auch für diesen Begriff gibt es keine offizielle Definition. Bednarz (2018: 7) ist recht pragmatisch und bezeichnet als "evangelikales Milieu" Mitglieder von Freikirchen oder Angehörige der entsprechenden Kreise der Landeskirchen der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), verortet sie "besonders häufig in den pietistisch geprägten Regionen im Südwesten, aber auch in schwäbischen Gebieten in Bayern, im 'Bibelgürtel' rund um Dresden, in der Gegend um Wuppertal sowie im Siegerland und in Nordhessen."

Verschiedene Autoren bezeichnen sich selbst als evangelikal und haben darüber Bücher geschrieben. Ihnen ist gemeinsam erstens der persönliche Glaube an einen persönlichen Gott, meist verbunden mit einem Bekehrungserlebnis und der Entscheidung für die Nachfolge Jesu mit hohem ethischem Anspruch, zweitens Bibeltreue und drittens die Überzeugung, dass allein der christliche Glaube zum Heil führe.

Im Sprachgebrauch sind Evangelikale eine Teilmenge der konservativen Christen, mit Betonung nicht nur auf konservativen Werten, sondern auf besonderer Bibeltreue. Bauer (Bauer 2012: 61) beziffert sie in Deutschland auf zwischen 1,3 und 2,5 Millionen.

Fundamentalismus ist ein abwertender Begriff, landläufig versteht man darunter wiederum eine besonders strenggläubige Teilmenge der Evangelikalen mit Glauben an die Verbalinspiration der Bibel.

Die Grenze zwischen konservativen und rechten Christen ist umstritten.

Der Theologe Martin Fritz (Fritz 2021: 96) sieht einen fließenden Übergang, weil erstens die Grenze zwischen konservativen und neurechten Positionen soziologisch nicht zwischen, sondern innerhalb gewisser Kreise verläuft (katholischer Traditionalismus, protestantischer Evangelikalismus einschließlich pfingstchristliche Spielarten), zweitens, weil manche Menschen sich vom Konservatismus zum Rechtspopulismus entwickeln, oft mit einer allmählichen Radikalisierung, und drittens, weil sich manche neurechten Akteure als konservativ beschreiben, nur sei eben die Gesamtgesellschaft massiv nach links gerückt.

Bednarz (Bednarz 2018:16 und Klein 2020) trennt dagegen scharf. Ihrer Beobachtung nach ist das vormals recht geschlossene konservativ-christliche Menü gespalten. Es gebe zwar Rechtskonservative, die "lediglich" Vorstellungen der moderaten neurechten Szene übernommen hätten, aber nur selten völkisch-rechtsradikale Haltungen zeigten. (11)

Aber es verlaufe eine Trennlinie, und zwar bei den Themen Abtreibung, Gender und Islam. Die Trennlinie verlaufe dort, "wo sachliche Kritik in undifferenzierte Ablehnung übergeht und, was hier besonders oft der Fall ist, hysterischen Tönen und Desinformationen Platz macht." (68f.)

Sie beobachte zudem seit fast 30 Jahren Verschwörungstheorien in bestimmten evangelikalen Milieus, die auch von Rechten vertreten würden, von einer großen Weltverschwörung, in der dann alle Völker und Kulturen aufgelöst würden.

Zum Abschluss noch Coronaleugner: Ich fasse der Einfachheit halber in dieser Gruppe die Menschen zusammen, die sich nicht impfen lassen, keine Masken tragen, und gegen staatliche Maßnahmen demonstrieren.

Thesen zu konservativen und rechten Christen

1. Konservative und evangelikale Christen vertreten ein traditionelles Familienbild, kämpfen gegen die so genannte Gender-Ideologie, gegen eine angebliche Islamisierung Europas, und gegen die Abtreibung. Mit diesen Themen können sie Heimat in der rechten Szene finden.

2. Für viele konservative und evangelikale Christen ist Covid-19 ein Thema unter vielen, um Verschwörungsdenken zu zelebrieren, sich als Opfer darzustellen und in diesem Zusammenhang politischen Lobbyismus auf Basis einer konservativen Auslegung der Bibel zu betreiben.

3. Die Evangelikale Szene ist eine Minderheit und zudem von innerer Zersplitterung bedroht. Ihr Ziel ist die Mission. Dazu nutzt ein Teil der Szene Covid-19 aus, in beide Richtungen, als Leugner genauso wie als Unterstützer staatlicher Maßnahmen.

Anmerkung in eigener Sache: Der Ausgangspunkt für diese Untersuchung ist das konservative Christentum. Ich war früher eine christliche Fundamentalistin. Heute halte ich diese Glaubensrichtung, zumindest das evangelikale Christentum, für weder gut noch schlecht.

Allerdings halte ich sie für gefährdet, Objekt für Missbrauch oder besser Misshandlung zu werden, ebenso wie Sexualität gefährdet ist, Objekt für Vergewaltigung oder Kindesmisshandlung zu werden. Ich bemühe mich um wissenschaftliche und journalistische Aufrichtigkeit, wozu meiner Ansicht nach auch diese Einordnung meiner Person gehört.

Die Geschichte des konservativen Christentums

Man kann die konservativen und evangelikalen christlichen Aktivitäten historisch einordnen.

Die Bibel galt und gilt lange Zeit und vielerorts als Wort Gottes. Mit der Etablierung und Verfügbarkeit deutscher Übersetzung und dann mit der Aufklärung wurde sie vor allem im so genannten "Westen" kritischer gelesen.

Mit der Etablierung der Geschichtswissenschaften und den Vorläufern der Literaturwissenschaft setzte sich an den Hochschulen eine wissenschaftliche Theologie mit Bibelkritik durch, das bedeutet, man ging nicht mehr davon aus, dass zum Beispiel die fünf Bücher Mose von Mose, sondern im Laufe eines langen Zeitraumes von verschiedenen Autoren geschrieben wurden und hat dann versucht, diese Entstehungsgeschichte herauszufinden.

Zu diesem so genannten "liberalen Christentum" entstand eine Gegenbewegung. Beide Richtungen, die liberale, aber auch die konservative bzw. evangelikale - verfestigten sich und beide entwickelten sich weiter. Es gab eine wissenschaftliche Entwicklung: Akademische Theologie wurde an Universitäten gelehrt, und im evangelikalen Bereich entstanden mehr oder minder anspruchsvolle Hochschulen und kleine Bibelschulen.

Und es gab Entwicklungen in der Frömmigkeit: Im liberalen Christentum leerten sich die Kirchen und füllten sich die Karteikästen mit Karteileichen. Im konservativen Bereich gab es zum Beispiel Erweckungen (wenn sich größere Gruppen von Menschen bekehrten), Endzeiterwartungen (man erwartete die Wiederkunft Christi und die sofortige "Entrückung" der Gläubigen in den Himmel), es entstanden Freikirchen und die konservative Gemeinschaftsbewegung innerhalb der Landeskirche. Und so weiter.

Die Entwicklungen im konservativen Christentum waren oft Reaktionen, und zwar Gegenbewegungen auf gesellschaftliche Entwicklungen. Anfangs zielten sie vor allem nach innen, in ihre eigenen Kreise, und zumindest in Deutschland blieben sie lange unpolitisch.

Das hat sich geändert, und zwar in mehrfacher Beziehung.

Im Allgemeinen stuften die meisten Wissenschaftler lange Zeit Evangelikale als eher unpolitisch ein. Anders dagegen die Politikwissenschaftlerin Katja Guske, die über die Religionspolitik der Evangelikalen in Deutschland promoviert wurde.

In ihrer Dissertation (Guske 2013) äußert sie die Auffassung, "dass die evangelikale Bewegung politische Ziele verfolgt, diese äußert und durch Anschluss an das politische System versucht, diese durchzusetzen." (13, da noch These) Das kenne man so aus den USA.

Aber es gebe einen entscheidenden Unterschied zwischen Deutschland und den USA. Der betreffe das Verhältnis zwischen kirchlichen Organisationen und staatlichen Strukturen und bestehe darin, dass zwar beide politisch säkular sind, aber die Religion in zivilgesellschaftlicher Perspektive unterschiedliche Bedeutung habe.

Besonders die christliche Religion spiele in den USA in gesellschaftlichen Prozessen eine entscheidende Rolle, und Deutschland sei sie oft eine Größe unter anderem.

Im Besonderen wenden sich manche konservative Christen der politisch rechten Richtung zu.

Und so trafen sich am 6. Februar 2013 "im Gemeindesaal der Christuskirche in Oberursel 17 wahlberechtigte Bürger [...], um eine neue Partei in Deutschland ins Leben zu rufen", so steht es auf der Website der AfD.

Und am 20. Oktober 2014 veranstaltete die so genannte Pegida die erste Demonstration in Dresden. Der Name ist ein Akronym für "Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes" und auf ihrer Website ist die Rede von einer "illegalen Völkerwanderung ab 2014, die durch die westeuropäischen Regierungen immer wieder befeuert wird", und dadurch "dulden wir auch die Ausbreitung des Islams im abendländisch-christlich geprägten Lebensraum, der unsere Werteordnung aus den Angeln gehoben hat."

Da steht auch, dass Corona eine "Scheinpandemie" sei.

Pegida definiert sich nicht als christlich, aber es gibt immer wieder Menschen, die auf ihr Christsein pochen und mitdemonstrieren. Zum Beispiel reckte beim PEGIDA "Weihnachtssingen" in Dresden am 16.12.2018 auf dem Theaterplatz jemand ein Schild "Dresdner Christen grüßen die PEGIDA" in die Höhe Eine simple Bildersuche etwa bei Google zeigt noch mehr Beispiele.

Schnittmenge: Christen – Rechte

Ein wahrscheinlich – hoffentlich – kleiner, aber sehr lautstarker Teil der konservativen Christen neigt nach rechts. Mehr dazu auf der kommenden Seite.

Was finden Christen bei den Rechten?

Guske (2013) nennt wie Bednarz verschiedene Politikfelder, die für Evangelikale besonders wichtig sind. Vor allem die Familien- und Sozialpolitik, dann Religionspolitik und Menschenrechte, drittens Bildungspolitik, viertens Außenpolitik, fünftens Wirtschaftspolitik, sechstens Umweltpolitik.

Je nach Politikfeld wird erstens entweder politisch oder religiös argumentiert und zweitens entweder an Christen ein Verhaltenskodex oder an staatliche Akteure eine politische Entscheidung im christlichen Sinn adressiert.

Guske sieht bei Evangelikalen unterschiedliche Formen politischer Aktivität, vom Gebet für die Regierung, über den Aufruf, vom Wahlrecht zum Gebrauch zu machen, die Kontaktaufnahme zu Politikern, bis hin zur Kandidatur für politische Ämter.

"Ziel des Engagements in der Politik ist ganz offenkundig deren Durchdringung mit christlichen Vorstellungen und Werten." (107) Einerseits werde ein ganz klares Bekenntnis zum deutschen Rechtsstaat abgelegt, andererseits sei die letzte Instanz nicht der freiheitlich-demokratische deutsche Rechtsstaat, sondern Gottes Gesetze.

Guske sieht innerhalb der evangelikalen Bewegung eine Politisierung (162), und zwar mit Kontakten direkt in politische Strukturen hinein und – und das ist interessant – die evangelikale Bewegung agiere dabei sehr pragmatisch, Bündnisse würden auch mit Partnern eingegangen, mit denen man in anderen Themenfeldern überhaupt nicht übereinstimmt." (164) Sie nennt das "Undogmatischer Pragmatismus" (97).

Im Sinne dieses undogmatischen Pragmatismus gehe man unterschiedliche Allianzen ein, so schrieben einige Evangelikale für die "Junge Freiheit", wehrten sich aber vehement dagegen, in die Nähe rechter Politik gerückt zu werden (185). Theologische Diskurse würden nicht geführt (186), denn das Ziel und nicht der Weg sei handlungsleitend.

Das kann für einen Teil der konservativen Christen zutreffen: Dass sie zufällig rechts sind, genauer: dass man sie für rechts hält, ohne dass diese Einschätzung wirklich zutrifft.

Aber es geht auch anders. Es gibt Christen mit dezidiert rechten Positionen. Christen, die eine Nähe nach rechts suchen. Gemeinsame Themen wurden schon aufgezählt. Bednarz nennt auch christliche AfD-Apologeten, so etwa haben zwei katholische Professoren ein Buch mit dem Titel "Warum Christen AfD wählen" verfasst, der Untertitel lautet, "Wo die linken Großkirchen geschlafen haben: Islam, Ausbeutung der Leistungsträger, Gender-Ideologie, Zerfall der Familie, Pazifismus-Illusion usw."

Die Verfasser verstünden sich als nicht konservativ, sondern libertär im Sinne der Tea Party. Anderes Beispiel: "Christen in der AfD"-Mitglieder kamen mit Beatrix von Storch, Volker Münz und Ulrich Oehme in den Bundestag. Die AfD habe ein kirchenpolitisches Manifest vorgelegt, indem sie aber im Grunde die Kirchen bitte, mit ihr zu sprechen.

Allerdings werde die Partei in ihrer Kritik gegenüber der evangelischen Kirche teilweise maßlos und deswegen auch im konservativ-christlichen Milieu zunehmend kritisiert. (231)

Stefan Rochow, NPD-Aussteiger und gläubiger Katholik, nennt drei Punkte, "'die aus christlicher Sicht eine grundsätzliche Kritik verdienen: eine ideologische Überhöhung der Nation, das Schüren von Ressentiments gegen Minderheiten, hier insbesondere gegen Fremde und Muslime, und ein Anti Universalismus, der vor allem in den neurechten Zirkeln der Partei gepflegt wird'." (234)

Und Paul Michael Zulehner, Wiener Emeritus für Pastoraltheologie, ist nicht der glaubensstarke Islam das Problem Europas, sondern das glaubensschwache Christentum (235).

Ähnlich Martin Fritz (Dietrich 2021): Der spricht von Prozessen der Radikalisierung bestimmter Christen. Seines Erachtens handelt es sich im Grunde um ein konservatives Christentum, das sich aufgrund bestimmter Polarisierungs- und Marginalisierungsprozesse in Richtung populistische neue Rechte radikalisiert.

Fritz sieht fünf Schwerpunkte dieses neurechten Christentums: zu bewahren, realistisch zu denken, patriotisch zu sein, wehrhaft zu sein und ohne Zweifel zu sein. Nehmen wir das Beispiel patriotisch, dazu sagte er in einem Radiointerview:

Heimatgefühle sind ja auch linken Menschen nicht fremd, dass man sich an einem bestimmten Ort heimisch fühlt, wo man herkommt. Warum spielt das bei den rechten Christen eine Rolle? Religiöse Motive spielen da schon rein, man sagt: Gott hat die Welt so geschaffen, dass es darin vielerlei Völker gibt, die unterschiedliche Charaktere haben. Und diese Vielheit soll gewahrt bleiben, auf dass nicht alle Völker, alle Nationen gleich sind am Ende. Aber dann kommt eben dieser Schöpfungsgedanke wieder als ein theologisches Argument: Gott hat die Welt so geschaffen – das ist dann zum Teil auch unfreiwillig etwas komisch, wenn man sich da auf den Turmbau von Babel bezieht, der ja in der Bibel tatsächlich keine Schöpfungsordnung beschreibt, sondern eben lange nach der Schöpfung ist und eben eine Strafordnung Gottes ist – dass es eine Vielzahl von Sprachen und Völkern gibt.

Die Redakteurin des Deutschlandfunks fragte dann: "Was würden Sie sagen, ist das noch Christentum?" Und er antwortete: "Jedenfalls würde ich diesen Leuten nicht das aufrechte religiöse Interesse absprechen. Manchmal mag man dieses Christliche eher zum Schein und zur Verstärkung der eigenen politischen Ambitionen zum Einsatz bringen. Aber ich würde nicht grundsätzlich sagen, dass es sich hier um eine Instrumentalisierung von Religion handelt."

Was finden Rechte an Christen?

Rechte profitieren von Christen, das gibt Ihnen einen seriösen Anstrich. Ihnen wird häufig Menschenverachtung vorgeworfen und mit der christlichen Botschaft der Nächstenliebe haben sie dann ein Gegengewicht, ein Gegenargument gegen den häufig geäußerten Vorwurf der Menschenverachtung.

Und laut Bednarz (2018) gelingt es der neuen Rechten mit einem speziellen Habitus, anschlussfähig für manche strenggläubigen Christen zu werden: sie benutzen christliche Ausdrücke, beziehen sich auf Gott, und müssen so keine Meinung über die gesellschaftliche Entwicklung des 20. Jahrhunderts begründen und äußern. (42)

In einem sehr interessanten Sammelband mit dem bezeichnenden Titel "Alternative für Christen? Die AfD und ihr gespaltenes Verhältnis zur Religion" (Thielmann 2017) finden sich zwei Beiträge, die das Ganze zuspitzen. Ein Beitrag stammt aus der Feder von Hartmut Beuker.

Er ist promovierter Jurist und Rechtsanwalt, Kreisvorsitzender der AfD in Wuppertal und Kandidat für die Landtagswahl im Jahr 2017. Und lange Jahre im Presbyterium der Landeskirche. Der andere ist von Ilka Federschmidt, genauer ein Interview des Herausgebers mit ihr. Sie ist seit dem Jahr 2011 Superintendentin in der Evangelischen Kirche im Rheinland.

Beuker nennt mehrere Gründe, aus denen er der AfD beigetreten ist und für sie kandidiert habe. Vor allem aber sagt er, dass man ihm weder die Verfassungswidrigkeit noch die Unchristlichkeit der Parteiprogrammatik habe nachweisen können.

Und als bedenkliche Äußerungen der Parteimitglieder habe man immer nur dieselben fünf oder sechs Äußerungen genannt (97). Er erzählt, dass er nach langem Schweigen, das er als Verrat zu empfinden scheint, aufgefordert wurde, aus dem Presbyterium auszutreten, sonst müsste das Presbyterium selbst zurücktreten. Er ließ es darauf ankommen und das Presbyterium trat zurück.

Das nachfolgende Kapitel im Sammelband ist dann ein Interview mit Federschmidt, der zuständigen Superintendentin. Und sie sagt, dass die AfD laut Grundsatzprogramm demokratisch sei – aber die "Tür für Rassismus, Sozialneid und Hass" öffne (104) und sie zitiert eine ganze Menge Ausdrücke aus dem Programm, die Übles erwarten lassen, zum Beispiel: "'Unaufhaltsame Besiedelung Europas'. Das klingt, als fielen demnächst Vandalenhorden über den Kontinent her." (104)

Auch wenn man Beukers Argumentation nachvollziehen kann, und die Kirchengemeinde sich Beuker gegenüber offener hätte verhalten können: Es bleibt der Eindruck, dass Beuker sich vereinnahmen ließ – die Superintendentin hat es ja auch verstanden.

Er ist promovierter Jurist und im Presbyterium der Kirche – jede Partei leckt sich nach so jemand die Finger. Vielleicht wollte er das Schlechte in der AfD nicht sehen. Wobei man ihm aber auch zugutehalten muss, dass es um Ereignisse aus dem Jahr 2017 geht und die AfD damals noch, sagen wir, diverser war.

"Herr, unser Gott, bewahre uns vor der Impfpflicht!"– Bibliografie, Quellen und Sekundärliteratur

ACCH, Arbeitskreis Christliche Corona-Hilfe: https://acch.info

AfD, Website: (https://afdkompakt.de/2018/02/06/die-afd-feiert-heute-ihren-fuenften-gruendungstag/)

Allport, Gordon W.: The religious context of prejudice. In: Journal for the Scientific Study of Religion , Autumn, 1966, Vol. 5, No. 3 (Autumn, 1966), S. 447-457. https://www.jstor.org/stable/1384172

Bauer, Gisa: Evangelikale Bewegung und evangelische Kirche in der Bundesrepublik Deutschland. Geschichte eines Grundsatzkonflikts (1945 bis 1989). Vandenhoeck&Ruprecht, Göttingen 2012

Bednarz, Liane: Fromm und rechts – das passt zusammen. In: Wolfgang Thielmann (Hg.): Alternative für Christen? Die AfD und ihr gespaltenes Verhältnis zur Religion. Neukirchener Verlagsgesellschaft mbH, Neukirchen-Vluyn 2017. S. 15-27

Bednarz, Liane: Die Angstprediger. Wie rechte Christen Gesellschaft und Kirchen unterwandern. Droemer, München 2018

Bednarz 2020: Siehe Klein 2020

Beucker, Hartmut: Warum ich für die AfD kandidiere. In: Wolfgang Thielmann (Hg.): Alternative für Christen? Die AfD und ihr gespaltenes Verhältnis zur Religion. Neukirchener Verlagsgesellschaft mbH, Neukirchen-Vluyn 2017. S. 87-101

Dietrich, Kirsten: Interview mit Martin Fritz Christentum von rechts. Konservative Theologie im Kampfmodus. https://www.deutschlandfunkkultur.de/christentum-von-rechts-konservative-theologie-im-kampfmodus-100.html, Abruf am 7.4.2022

Demo für Alle, Aktionsbündnis: https://demofueralle.de

Federschmidt, Ilka: "Einem klaren Nein würde ich mich anschließen". In: Wolfgang Thielmann (Hg.): Alternative für Christen? Die AfD und ihr gespaltenes Verhältnis zur Religion. Neukirchener Verlagsgesellschaft mbH, Neukirchen-Vluyn 2017. S. 103-114

Fritz, Martin: Im Bann der Dekadenz. Theologische Grundmotive der christlichen Rechten in Deutschland. EZW-Texte 273, Berlin 2021

Guske, Katja: Zwischen Bibel und Grundgesetz. Die Religionspolitik der Evangelikalen in Deutschland. Dissertation Humboldt-Universität zu Berlin, 2013; Springer VS, Wiesbaden 2014. Abruf am 6.4.2022

Idea: https://www.idea.de

Jörgensen, Peter: Sind Freikirchen für AfD-Positionen empfänglicher? In: Wolfgang Thielmann (Hg.): Alternative für Christen? Die AfD und ihr gespaltenes Verhältnis zur Religion. Neukirchener Verlagsgesellschaft mbH, Neukirchen-Vluyn 2017. S. 63-76

Kasparik, Ulrich: Man kennt sich. Die AfD gewinnt die Herzen auf dem Land – da, wo niemand offen redet. In: Wolfgang Thielmann (Hg.): Alternative für Christen? Die AfD und ihr gespaltenes Verhältnis zur Religion. Neukirchener Verlagsgesellschaft mbH, Neukirchen-Vluyn 2017. S. 39-48

Klein, Mechthild: Rechte Christen. Wahn! Wahn! Überall Wahn! Gespräch mit Liane Bednarz, 28.10.2020, https://www.deutschlandfunk.de/rechte-christen-wahn-wahn-ueberall-wahn-100.html, Abruf am 6.4.2022

Pegida, Website: https://www.pegida.de/

Pro Medienmagazin: https://www.pro-medienmagazin.de/

Schneider, Verena, Gert Pickel, Cemal Öztürk: Was bedeutet Religion für Rechtsextremismus? Empirische Befunde zu Verbindungen zwischen Religiosität, Vorurteilen und rechtsextremen Einstellungen. Z Religion Ges Polit, Online publiziert 17.08.2021. Online unter: https://www.fgz-risc.de/fileadmin/user_upload/Schneider2021_Article_WasBedeutetReligionFuerRechtsex.pdf, (Abruf 07.04.2022)

Speit, Andreas: Verqueres Denken. Gefährliche Weltbilder in alternativen Milieus. Bonn 2021

Strube, Sonja Angelika: Religiöse Stile und Vorurteiligkeit: Hintergrundwissen (nicht nur) für konfessionelle Träger Sozialer Arbeit. Perspektiven - Soziale Arbeit in der Migrationsgesellschaft und Muslimische Wohlfahrtspflege, (1), 91 - 104. https://doi.org/10.48439/perspektiven.1-2021.134.v0. https://journals.ub.uni-osnabrueck.de/index.php/perspektiven/article/view/134/108