Hersh wirft Biden und Scholz Vertuschung bei Nord-Stream-Sabotage vor

Hinter verschlossenen Türen: US-Präsident Joe Biden und Bundeskanzler Olaf Scholz am 3. März 2023 im Oval Office des Weißen Hauses. Bild: Adam Schultz, White House / Public Domain

Der Journalist Seymour Hersh behauptet, dass die Biden-Regierung mithilfe von Kanzler Scholz New York Times und Zeit Cover-Up-Geschichten gefüttert habe. Er beruft sich auf anonyme Quellen. Ein Washington-Besuch und seine Folgen.

Der investigative US-Journalist Seymour Hersh reagiert in einem neuen Artikel auf die Gegendarstellungen von der New York Times und Die Zeit in Bezug auf die Sabotageakte an den Nord-Stream-Pipelines.

Darin behauptet er, dass es sich bei den Mediengeschichten um von oben angeordnete Verschleierungsmanöver handele. Es solle damit der Verdacht von der US-Administration und Präsident Joe Biden als Auftraggeber der Sprengung weggelenkt werden.

Der Plan für das Cover-Up sei beim Besuch des deutschen Bundeskanzlers Olaf Scholz in Washington vor zwei Wochen besprochen worden, so Hersh. Man habe schließlich den US-Geheimdienst CIA gebeten, eine andere Version zur Hersh-Story in Zusammenarbeit mit dem deutschen Geheimdienst zu entwickeln.

Seymour Hersh hatte vor sechs Wochen einen aufsehenerregenden Artikel veröffentlicht, in dem er mit Bezug auf eine nicht genannte Quelle mit "direktem Wissen über die operative Planung" ausführlich darlegte, dass die Biden-Regierung in Kooperation mit der norwegischen Regierung die Explosionen durchgeführt habe.

Die Geschichte wurde in den USA von vielen Leitmedien wie der New York Times nicht berichtet und in Europa in Berichten als unglaubwürdig infrage gestellt.

Nun wirft Hersh, der das Massaker der US-Streitkräfte an vietnamesischen Zivilisten in My Lai und die Folterung von Gefangenen im irakischen Gefängnis Abu Ghraib aufgedeckt hat, der US-amerikanischen und deutschen Regierung vor, den Medien in Reaktion auf seine Aufdeckung falsche Vertuschungsgeschichten gefüttert zu haben.

So sei Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) Anfang März von Präsident Biden in Washington empfangen worden. Der Besuch habe informellen Charakter gehabt, ohne Pressestatements und Abendessen. Das 80-minütige Treffen habe zudem größtenteils ohne Berater stattgefunden. Öffentliche Erklärungen über die besprochenen Inhalte habe man danach nicht abgegeben, was unüblich sei.

Hersh erklärt jetzt, dass es bei dem Treffen tatsächlich um die Sprengung der Nord-Stream-Pipeline gegangen sei. Er beruft sich dabei auf eine anonyme Quelle:

Mir wurde von jemandem mit Zugang zu diplomatischen Geheimdienstinformationen gesagt, dass es eine Diskussion über das Pipeline-Exposé gab und dass infolgedessen Gruppen in der Central Intelligence Agency gebeten wurden, in Zusammenarbeit mit dem deutschen Geheimdienst eine Titelgeschichte vorzubereiten, die die US-amerikanische und deutsche Presse mit einer alternativen Version für die Zerstörung von Nord Stream 2 versorgen würde. In den Worten des Geheimdienstes sollte die Agentur "das System fluten", um die Behauptung zu widerlegen, Biden habe die Zerstörung der Pipelines angeordnet.

Auch der deutsche Kanzler Scholz sei seit letztem Herbst als Komplize involviert gewesen und habe der Biden-Regierung dabei geholfen, die Täterschaft für die Operation in der Ostsee zu vertuschen. Unklar sei aber, ob Scholz über die Zerstörung der Pipeline im Voraus gewarnt wurde.

"Es war eine totale Erfindung des amerikanischen Geheimdienstes"

Am 7. März veröffentlichte die New York Times einen Artikel – ebenfalls auf anonymen Quellen beruhend –, in dem behauptet wird, dass "neue, von US-Beamten geprüfte Erkenntnisse" darauf hindeuten, dass "eine proukrainische Gruppe den Angriff auf die Nord-Stream-Pipelines im vergangenen Jahr verübt hat". Das wurde von ukrainischen Regierungsvertretern zurückgewiesen.

Am selben Tag berichtete Die Zeit hierzulande, dass es deutschen Ermittlern gelungen sei, "das Boot zu identifizieren, das mutmaßlich für die Geheimoperation" zur Sabotage der Nord-Stream-Pipelines benutzt wurde. Es soll sich um eine Jacht handeln, die von einer in Polen ansässigen Firma gemietet wurde und offenbar zwei Ukrainern gehört, berichtet das Wochenmagazin.

Die Geheimoperation auf See soll den Ermittlungen zufolge von einem Team aus sechs Personen durchgeführt worden sein.

Im Zeit-Artikel wurde zudem eine anonyme Quelle aus internationalen Sicherheitskreisen wiedergegeben, die es für möglich hält, dass die Jacht-Story eine Operation unter falscher Flagge beinhalte. Genau das sei der Fall, sagt Hersh. Eine Quelle innerhalb der US-Geheimdienste habe ihm das bestätigt:

Es war eine totale Erfindung des amerikanischen Geheimdienstes, die an die Deutschen weitergegeben wurde und darauf abzielte, Ihre Geschichte zu diskreditieren.

Die CIA, so Hersh, habe zwar immer wieder jegliche Beteiligung der USA am Sabotageakt geleugnet. Aber bisher hätte die Biden-Regierung keine Untersuchung der Explosion durch US-Geheimdienste angeordnet. Hersch kritisiert vor allem die US-Presse, dass sie das Weiße Haus nicht dränge, den Pipeline-Anschlag vom September, der große geopolitische Auswirkungen hat, genauer unter die Lupe zu nehmen.

Die an die Medien weitergeleiteten Theorie, dass hinter der Sprengung nicht staatliche "Freelance Saboteurs" stecken, hält Hersh für wenig überzeugend. Er zitiert aus einem Interview mit einem der Autoren des NYT-Artikels, worin dieser zugeben muss, dass die proukrainische Gruppe "nicht nur für uns, sondern auch für die US-Regierungsbeamten, mit denen wir gesprochen haben, mysteriös" bleibe.

Das kommentiert Hersh mit folgenden Worten:

Die Times-Reporter in Washington waren der Gnade von Beamten des Weißen Hauses ausgeliefert, "die Zugang zu Geheimdienstinformationen hatten". Aber die Informationen, die sie erhielten, stammten von einer Gruppe von CIA-Experten für Täuschung und Propaganda, deren Aufgabe es war, die Zeitung mit einer Titelgeschichte zu füttern – und einen Präsidenten zu schützen, der eine unkluge Entscheidung getroffen hat und jetzt darüber lügt.

Ermittler aus Norwegen, Deutschland und Schweden erklärten im letzten Monat gegenüber den Vereinten Nationen, dass sie die Explosionen immer noch untersuchen, die die Nord-Stream-Pipelines schwer beschädigten und ein ökologisches Desaster anrichteten. Die Spekulationen über die Hintergründe und Täterschaft gehen derweil weiter.

Die Nord-Stream-2-Pipeline – gegen die sich US-Präsident Biden lautstark aussprach – wurde nie in Betrieb genommen, da die deutsche Regierung sie kurz vor dem Einmarsch Russlands in die Ukraine im Februar 2022 auf Eis legte.