Hightech mit Bildung light?

Alles soll besser werden bei Bildung und Hochschulen: Mehr Geld, mehr Lehrkräfte, motiviertere Studenten, bessere Wissenschaft - strittig ist nur das Wie

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Der Umbau des Bildungssystems schreitet voran. Aber in welche Richtung? Nach dem "Jahr der Innovationen 2004" forderte Bundeskanzler Gerhard Schröder unlängst zu Beginn des Einsteinjahres 2005 eine neue Kultur der Wissenschaft in Deutschland ("Lust auf Zukunft" oder: Endlich ein Grund zum Feiern). Zweifellos steht die Fortsetzung des unendlichen Bildungsdramas zur Aufführung an, und ebenso zweifellos wird es grundlegende Veränderungen mit sich bringen. Allerdings ist ein Handlungspragmatismus zwischen dem ideologischem Geplänkel und den Vorschlägen von Expertengremien längst nicht mehr zu erkennen. Insbesondere die immer prekärer werdende Finanzlage der Hochschulen sorgt weiter für Diskussionsstoff. Um die Auswirkungen von Einzelentscheidungen wie Studiengebühren einschätzen zu können, ist es gut, auch die parallel dazu laufenden Prozesse mit im Auge zu behalten.

Fast unbemerkt von der Öffentlichkeit ist seit einigen Monaten Bologna an den Hochschulen angekommen. Im Gegensatz zum "PISA-Schock" hat das, was man den Bologna-Prozess nennt, tatsächlich etwas mit der italienischen Stadt am Südrand der Poebene zu tun. Dort verabschiedeten im Jahr 1999 die Europäischen Bildungsminister eine gemeinsame Erklärung, welche "die Schaffung des europäischen Hochschulraumes (European Higher Education Area = EHEA) als Schlüssel zur Förderung der Mobilität und arbeitsmarktbezogenen Qualifizierung seiner Bürger und der Entwicklung des europäischen Kontinents insgesamt" vorsieht. Der nächste Folgekongress soll im Mai dieses Jahres in Bergen/Norwegen stattfinden. Ein zentraler Punkt der Absichtserklärung ist die Einführung von zweistufigen vergleichbaren Studienabschlüssen, Bachelor und Master, auf der Grundlage des ECTS-kompatiblen (ECTS = European Credit Transfer System) Leistungspunktesystems.

Die gestufte Studienstruktur mit Bachelor- und Masterstudiengängen ist wesentlicher Baustein des Europäischen Hochschulraums, der - entsprechend den Zielsetzungen der Bologna-Vereinbarung - bis zum Jahre 2010 geschaffen werden soll. Jedoch können wichtige Gründe für eine Beibehaltung der bewährten Diplomabschlüsse auch über das Jahr 2010 hinaus sprechen.

Kultusministerkonferenz, 2003

Schon in der Anfangsphase dieses politischen Prozesses ist eine Diskussion über das in Gang gekommen, was am deutschen Hochschulsystem als erhaltungswürdig angesehen werden kann. Die bisherigen Magister- und Diplomabschlüsse sollen nämlich weitgehend Auslaufmodelle werden. Während die Hochschulinstitutionen zwischen öffentlichem Dienstrecht und der Öffnung des nationalen Bildungsmarktes im Rahmen des GATS (General Agreement on Trade in Services) mit sich selbst beschäftigt sind, verspricht sich die Politik einiges von den Veränderungen. Kürzere Studienzeiten durch den nur dreijährigen Bachelorabschluss, weniger Studenten durch schnelleres Ausscheiden derer, welche die hohen Hürden zum Mastergrad nicht schaffen, und mehr finanzielle Beteiligung der Privatwirtschaft durch gebührenpflichtige Angebote an den Hochschulen.

Wir als politische Leitung sehen es natürlich gern, wenn sich die Hochschulen eigene Finanzquellen erschließen. Unsere Hochschulen sollen in Zukunft selber entscheiden, ob sie gebührenpflichtige oder kostenlose Masterstudien anbieten, als Erstausbildung oder als Weiterbildung.

Brigitte Reich, Referentin des Berliner Wissenschaftssenators Thomas Flierl (PDS)

Doch aus Wirtschaft und Wissenschaft nimmt die Kritik an den neuen Studienmodellen zu. Für viele scheint das über Jahrzehnte erfolgreiche System von Magister- und Diplomabschlüssen auf dem Altar der Europäisierung allzu schnell geopfert worden zu sein. Das betrifft in erster Linie Studiengänge, die eine geringe ökonomische Verwertungslogik aufweisen. Die Geschichtswissenschaften sind ein Paradebeispiel dafür: Bisher klagten die Historiker vor allem über den Zeitaufwand, den sie zur Einwerbung von Drittmitteln benötigen, dieser liegt manchmal zwischen dreißig und vierzig Prozent, dementsprechend wird die (freie) Forschungs- und Lehrzeit eingeschränkt. Nun sollen auch noch Studierende innerhalb der Regelstudienzeit von sechs Semestern zu einem Bachelor-Abschluss gebracht werden, obwohl dies aufgrund der verschiedensten Hemmnisse bisher nicht einmal der größte Teil der Magisterstudenten schafft (Regelstudienzeit: 9 Semester).

So ernten Bachelorstudenten der Geisteswissenschaften beim Lehrkörper oftmals nur ein müdes Lächeln, hinter vorgehaltener Hand, versteht sich. Fast entschuldigend wird immer wieder darauf hingewiesen, dass man es bei den neuen Abschlüssen mit einer politischen Vorgabe zu tun habe, bei deren Erarbeitung man zwar nicht mitzureden, die man aber nun umzusetzen habe. Wenn es knirscht im Gebälk, will man nicht der Schuldige sein. Auf der Strecke bleiben die Studenten, weil keinesfalls sicher ist, auf was sie sich da einlassen.

Haben es die nicht-technischen Disziplinen an den Hochschulen sowieso schwerer, weil ihre Forschungsergebnisse nicht in Innovationsfaktoren zu messen sind, wird das Engagement von Firmen dies noch verstärken. Für die wie auch immer geartete Beteiligung an der Hochschulfinanzierung werden sie zumindest ein verstärktes Mitspracherecht bei den Studieninhalten zu erwarten haben, was für bestimmte Fächer vielleicht auch wünschenswert ist. Aber was ist mit der Philosophie?

Die Beschlüsse von Bologna werden Hochschulen zum Umdenken zwingen und für Unternehmen die völlige Abkehr von ihrer bisherigen Einstellungspolitik bedeuten, sie werden den Staat aus der Verantwortung entlassen und für Studierende mehr (finanzielle) Beteiligung am Hochschulsystem mit sich bringen.(...) Die Akkreditierung von Studiengängen dürfte bei verstärkter Einbindung der Wirtschaft zum Qualitätsgaranten werden.

Oliver T. Maassen: Die Bologna-Revolution - Auswirkungen der Hochschulreform in Deutschland

Der Aufbau konsekutiver Studiengänge wirft die Frage nach der Qualifikation künftiger Ingenieure mit Bachelor- oder Master-Abschluss auf. Während Qualitätsniveau und -profil der Ingenieure mit Master-Abschluss - auch im internationalen Vergleich - dem bisherigen Diplom-Ingenieur einer Universität entsprechen, muss der Bachelor neu definiert werden.

Verband Der Elektrotechnik Elektronik Informationstechnik e.V., Frankfurt 2001

Verwunderlich ist nur, dass sogar bei den sehr "verschulten" Fächern der Ingenieurswissenschaften die Umstellung so schwer fällt. Auch hier ist die Zeitvorgabe der Studiendauer das Problem, die ein vollwertiges Studium, welches zu einem berufsbefähigenden Abschluss führen soll, nicht zulässt. Das ist aber die Vorgabe des Gesetzgebers, genauer gesagt der Kultusministerkonferenz.

Dagegen formierte sich jüngst ein Konsortium aus neun technischen Hochschulen. Das "TU 9-Consortium of German Institutes of Technology" lehnt den Bachelorabschluss aufgrund der durch die Dauer "nicht auf jedem Berufsfeld zu erreichenden Berufsqualifikation" als Regelstudiengang ab. Bis zu 80 % der neuen Abschlüsse sollen aber auf den Bachelor entfallen. Wenn sogar die Ingenieure revoltieren, was sollen da die Historiker sagen?