Hinter dem antifaschistischen Schutzwall
- Hinter dem antifaschistischen Schutzwall
- Die Neuen Alten in der DDR
- "Liebe zur Nation" als Staatsdoktrin
- Die Lage der Vertragsarbeiterinnen- und arbeiter
- Auf einer Seite lesen
Alte und neue Nazis in der DDR
Der Antifaschismus in der DDR wurde im Westen immer belächelt, weil er "von oben verordnet" sei. Grundsätzlich wäre gegen "verordneten Antifaschismus" nichts einzuwenden. Wenn es denn funktionieren würde. Aber auch jenseits des antifaschistischen Schutzwalls funktionierte es nicht.
Zum einen, weil bis auf einige Ausnahmen - Verfolgte, die während der NS-Zeit emigrieren mussten und gezielt in die sowjetische Besatzungszone zurückkehrten - auch die Bevölkerung der DDR nach 1945 dieselbe war wie die vor 1945. Ebenfalls um eine extreme Erfahrung reicher, für die sie sich nicht verantwortlich fühlte, ebenfalls geprägt durch Erziehung, Bildung, Ausbildung und Studium während und im Geiste des NS-Regimes. Und noch länger bitterer Not ausgesetzt, als die Menschen im Westen.
Die zudem teurer dafür zahlen mussten, denn während Westdeutschland alsbald wirtschaftlich aufgepäppelt wurde, um der Rolle als Frontstaat gegen den Ostblock gerecht zu werden, wurden im Osten als Reparationszahlung beispielsweise Eisenbahnschienen demontiert und nach Russland verbracht.
Auch im Osten konnten Altnazis Karriere machen, in der Politik, in der Justiz, in der Medizin, beim Militär. Der Historiker Harry Waibel stellte 1.500 Kurzbiographien von Personen zusammen, die zunächst während des NS-Regimes und dann in der DDR tätig waren, "in wichtigen gesellschaftspolitischen Berufen, wie Politiker, Soldaten und Polizisten, Ärzte, Mediziner, Wissenschaftler, Manager, evangelische Theologen und Pfarrer, Künstler und Sportler", wie er sagt.
In der DDR wurde Faschismus als etwas Historisches, sprich Vergangenes behandelt, etwas, das es mal gegeben hatte, im Arbeiter- und Bauernstaat aber nicht mehr existent war. Nazis, alte und neue, die gab es der DDR-Legende nach nur in Westdeutschland. Zudem herrschte ein eher technokratisches Verständnis des Faschismus vor, getreu der Dimitroffschen Faschismus-These (Georgi Dimitroff, bulgarischer Kommunist, von 1935-43 Generalsekretär der Komintern), gemäß der Faschismus als "terroristische Diktatur der am meisten reaktionären, chauvinistischen und imperialistischen Elemente des Finanzkapitals" definiert ist.
Also waren es Handlanger der imperialen Kräfte, die in Adolf Hitler investierten, um ihre ökonomischen Ziele durchzusetzen und die Arbeiterschaft in Schach zu halten, die den bösen Mächten sozusagen hilfs- und willenlos ausgeliefert ist.
"Ausgangspunkt des Anti-Faschismus der deutschen Kommunisten war und ist die Reduktion der 'Ursachen des Faschismus' allein auf die politisch-ökonomischen Sektoren und vor allem auf den Finanzsektor der kapitalistischen Volkswirtschaft, gemäß den Vorgaben durch die Dimitrow-Thesen vom VII. Weltkongress der Kommunistischen Internationale vom 2. August 1935 (...) Das Volk wäre diesem Treiben quasi hilflos ausgeliefert und 'die Massen des Kleinbürgertums, selbst ein Teil der Arbeiter, […]' wären Opfer der sozialen und chauvinistischen Demagogie des Faschismus geworden. Die SED war dem Glauben verfallen, sie hätte durch die Verstaatlichung der Großindustrie, des Großgrundbesitzes, der Banken und der Handelskonzerne, einen Staat ohne Rassismus gegründet. Jedoch anders als das, was die Dimitroff-These aussagt, sind Rassismus, inklusive Anti-Semitismus, sowie Autoritarismus und Sexismus die Achsen einer Politik, auf denen Nazis ihre Politik entwickeln", erläutert Harry Waibel in seinem Buch Der gescheiterte Antifaschismus der SED: Rassismus in der DDR.
Die Ideologie Hitlers und seiner Getreuen, das Herrenmenschen-Denken, der Rassismus, der Antisemitismus, der schon lange vor der Machtübertragung an Hitler in weiten Teilen der deutschen Bevölkerung alltäglich war, wurde schlicht ausgeblendet. Die Nordseeinsel Borkum beispielsweise wurde schon 1897 auf Postkarten als "judenfrei" beworben. Auch in der DDR sammelten sich Altnazis in einer Partei, der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NDPD) und in anderen Parteien, vor allem der SED, kamen sie auch unter.
Spätestens in den 1970ern brach sich der Rassismus wieder offen Bahn, Ziel waren die "Vertragsarbeiter", die mangels Arbeitskräfte aus verschiedenen Staaten angeworben wurden. Es kam zu pogromartigen Verfolgungen und die ersten beiden rassistischen Morde nach 1945 fanden - soweit bekannt - in der DDR statt.
"Das Spektrum des Rassismus in der DDR erstreckte sich von unzähligen Schändungen von Gräbern auf jüdischen Friedhöfen unmittelbar nach dem Ende des II. Weltkrieges, über Hakenkreuzschmierereien ab den 1950er Jahren bis hin zu Pogromen mit unzähligen Verletzten und mindestens 10 Toten in den 1970er und 1980er Jahren", resümiert Harry Waibel.
Als Ende der 1980er Jahre die DDR-Führung das Neonazi-Problem nicht mehr ignorieren konnte, hatten sich mehr als ein Jahrzehnt lang Neonazis nahezu unbehelligt formieren und frei bewegen können. Der Hass auf die "Fremden" wurde durch die staatlicherseits offene Diskriminierung der Vertragsarbeiterinnen und Studenten gefördert. Die Betroffenen hatten ein begrenztes Aufenthaltsrecht, das auch dann endete, wenn die fragliche Person eine Familie mit einer oder einem Einheimischen gegründet hatte.
In dem Film "Yes, I am" über die "Brothers Keepers" D-Flame, Adegoke Odukoya und "Sister" Mamadee, erzählt die 1979 in Dresden geborene Künstlerin ihre Geschichte als Tochter einer deutschen Mutter und eines Mannes aus Sierra Leone, der nicht ihr Vater sein durfte, weil er abgeschoben wurde, nachdem sein Visum abgelaufen war - obwohl er zwei Töchter hatte.
Der private Kontakt sowohl der ausländischen Studenten als auch der Vertragsarbeiterinnen zu den Einheimischen war nicht erwünscht - Mamadee und ihre Schwester hätte es also gar nicht geben dürfen. Die Vertragsarbeiterinnen und -arbeiter hatten größtenteils monotone, anspruchslose Tätigkeiten zu verrichten, für die sie schlecht bezahlt wurden.
Außerdem waren sie in speziellen Quartieren untergebracht. Trotz der feindseligen Stimmung ihnen gegenüber gab es Menschen in der DDR, die ihnen mit Respekt begegneten, die sie schätzten, als Menschen und als Kollegin oder Kollege, die freundschaftlich mit ihnen verkehrten und sich im Zweifelsfall mit ihnen solidarisierten.
Wurde eine der Vertragsarbeiterinnen schwanger, hatte sie genau zwei Möglichkeiten: Entweder, sie ließ die Schwangerschaft abbrechen, oder sie wurde in den nächsten Flieger in Richtung Herkunftsland gesetzt. Es ist bekannt, dass einige von ihnen von den einheimischen Kolleginnen und Kollegen gedeckt wurden, bis sie nicht mehr flugtauglich waren.
In der DDR wurden in Bezug auf die Vertragsarbeiterinnen und -arbeiter dieselben Fehler gemacht, wie im Westen und später dem vereinten Deutschland im Hinblick auf Asylsuchende. Die Probleme sind dieselben wie heute, die Reaktionen der Mehrheitsgesellschaft auch.
Das Ende der DDR gilt als unrühmlich für den Arbeiter- und Bauernstaat, ging jedoch als "friedliche Revolution" in die deutsche Geschichte ein. Ein unliebsames Regime wegdemonstriert zu haben, das begreifen noch heute viele im Osten als Lebensleistung.
Dabei mischten ganz vorne Nazis mit, so schildert es der Historiker Harry Waibel, der sich eingehend mit dem Thema "Rechtsextremismus in der DDR" auseinandergesetzt hat. Sie hätten zwei Ziele gehabt, so Harry Waibel: "Erstens die Zerschlagung der DDR und zweitens ein neues 'Großdeutschland'."