Hinter dem antifaschistischen Schutzwall

Alte und neue Nazis in der DDR

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Der Antifaschismus in der DDR wurde im Westen immer belächelt, weil er "von oben verordnet" sei. Grundsätzlich wäre gegen "verordneten Antifaschismus" nichts einzuwenden. Wenn es denn funktionieren würde. Aber auch jenseits des antifaschistischen Schutzwalls funktionierte es nicht.

Zum einen, weil bis auf einige Ausnahmen - Verfolgte, die während der NS-Zeit emigrieren mussten und gezielt in die sowjetische Besatzungszone zurückkehrten - auch die Bevölkerung der DDR nach 1945 dieselbe war wie die vor 1945. Ebenfalls um eine extreme Erfahrung reicher, für die sie sich nicht verantwortlich fühlte, ebenfalls geprägt durch Erziehung, Bildung, Ausbildung und Studium während und im Geiste des NS-Regimes. Und noch länger bitterer Not ausgesetzt, als die Menschen im Westen.

Die zudem teurer dafür zahlen mussten, denn während Westdeutschland alsbald wirtschaftlich aufgepäppelt wurde, um der Rolle als Frontstaat gegen den Ostblock gerecht zu werden, wurden im Osten als Reparationszahlung beispielsweise Eisenbahnschienen demontiert und nach Russland verbracht.

Auch im Osten konnten Altnazis Karriere machen, in der Politik, in der Justiz, in der Medizin, beim Militär. Der Historiker Harry Waibel stellte 1.500 Kurzbiographien von Personen zusammen, die zunächst während des NS-Regimes und dann in der DDR tätig waren, "in wichtigen gesellschaftspolitischen Berufen, wie Politiker, Soldaten und Polizisten, Ärzte, Mediziner, Wissenschaftler, Manager, evangelische Theologen und Pfarrer, Künstler und Sportler", wie er sagt.

In der DDR wurde Faschismus als etwas Historisches, sprich Vergangenes behandelt, etwas, das es mal gegeben hatte, im Arbeiter- und Bauernstaat aber nicht mehr existent war. Nazis, alte und neue, die gab es der DDR-Legende nach nur in Westdeutschland. Zudem herrschte ein eher technokratisches Verständnis des Faschismus vor, getreu der Dimitroffschen Faschismus-These (Georgi Dimitroff, bulgarischer Kommunist, von 1935-43 Generalsekretär der Komintern), gemäß der Faschismus als "terroristische Diktatur der am meisten reaktionären, chauvinistischen und imperialistischen Elemente des Finanzkapitals" definiert ist.

Also waren es Handlanger der imperialen Kräfte, die in Adolf Hitler investierten, um ihre ökonomischen Ziele durchzusetzen und die Arbeiterschaft in Schach zu halten, die den bösen Mächten sozusagen hilfs- und willenlos ausgeliefert ist.

"Ausgangspunkt des Anti-Faschismus der deutschen Kommunisten war und ist die Reduktion der 'Ursachen des Faschismus' allein auf die politisch-ökonomischen Sektoren und vor allem auf den Finanzsektor der kapitalistischen Volkswirtschaft, gemäß den Vorgaben durch die Dimitrow-Thesen vom VII. Weltkongress der Kommunistischen Internationale vom 2. August 1935 (...) Das Volk wäre diesem Treiben quasi hilflos ausgeliefert und 'die Massen des Kleinbürgertums, selbst ein Teil der Arbeiter, […]' wären Opfer der sozialen und chauvinistischen Demagogie des Faschismus geworden. Die SED war dem Glauben verfallen, sie hätte durch die Verstaatlichung der Großindustrie, des Großgrundbesitzes, der Banken und der Handelskonzerne, einen Staat ohne Rassismus gegründet. Jedoch anders als das, was die Dimitroff-These aussagt, sind Rassismus, inklusive Anti-Semitismus, sowie Autoritarismus und Sexismus die Achsen einer Politik, auf denen Nazis ihre Politik entwickeln", erläutert Harry Waibel in seinem Buch Der gescheiterte Antifaschismus der SED: Rassismus in der DDR.

Die Ideologie Hitlers und seiner Getreuen, das Herrenmenschen-Denken, der Rassismus, der Antisemitismus, der schon lange vor der Machtübertragung an Hitler in weiten Teilen der deutschen Bevölkerung alltäglich war, wurde schlicht ausgeblendet. Die Nordseeinsel Borkum beispielsweise wurde schon 1897 auf Postkarten als "judenfrei" beworben. Auch in der DDR sammelten sich Altnazis in einer Partei, der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NDPD) und in anderen Parteien, vor allem der SED, kamen sie auch unter.

Spätestens in den 1970ern brach sich der Rassismus wieder offen Bahn, Ziel waren die "Vertragsarbeiter", die mangels Arbeitskräfte aus verschiedenen Staaten angeworben wurden. Es kam zu pogromartigen Verfolgungen und die ersten beiden rassistischen Morde nach 1945 fanden - soweit bekannt - in der DDR statt.

"Das Spektrum des Rassismus in der DDR erstreckte sich von unzähligen Schändungen von Gräbern auf jüdischen Friedhöfen unmittelbar nach dem Ende des II. Weltkrieges, über Hakenkreuzschmierereien ab den 1950er Jahren bis hin zu Pogromen mit unzähligen Verletzten und mindestens 10 Toten in den 1970er und 1980er Jahren", resümiert Harry Waibel.

Als Ende der 1980er Jahre die DDR-Führung das Neonazi-Problem nicht mehr ignorieren konnte, hatten sich mehr als ein Jahrzehnt lang Neonazis nahezu unbehelligt formieren und frei bewegen können. Der Hass auf die "Fremden" wurde durch die staatlicherseits offene Diskriminierung der Vertragsarbeiterinnen und Studenten gefördert. Die Betroffenen hatten ein begrenztes Aufenthaltsrecht, das auch dann endete, wenn die fragliche Person eine Familie mit einer oder einem Einheimischen gegründet hatte.

In dem Film "Yes, I am" über die "Brothers Keepers" D-Flame, Adegoke Odukoya und "Sister" Mamadee, erzählt die 1979 in Dresden geborene Künstlerin ihre Geschichte als Tochter einer deutschen Mutter und eines Mannes aus Sierra Leone, der nicht ihr Vater sein durfte, weil er abgeschoben wurde, nachdem sein Visum abgelaufen war - obwohl er zwei Töchter hatte.

Der private Kontakt sowohl der ausländischen Studenten als auch der Vertragsarbeiterinnen zu den Einheimischen war nicht erwünscht - Mamadee und ihre Schwester hätte es also gar nicht geben dürfen. Die Vertragsarbeiterinnen und -arbeiter hatten größtenteils monotone, anspruchslose Tätigkeiten zu verrichten, für die sie schlecht bezahlt wurden.

Außerdem waren sie in speziellen Quartieren untergebracht. Trotz der feindseligen Stimmung ihnen gegenüber gab es Menschen in der DDR, die ihnen mit Respekt begegneten, die sie schätzten, als Menschen und als Kollegin oder Kollege, die freundschaftlich mit ihnen verkehrten und sich im Zweifelsfall mit ihnen solidarisierten.

Wurde eine der Vertragsarbeiterinnen schwanger, hatte sie genau zwei Möglichkeiten: Entweder, sie ließ die Schwangerschaft abbrechen, oder sie wurde in den nächsten Flieger in Richtung Herkunftsland gesetzt. Es ist bekannt, dass einige von ihnen von den einheimischen Kolleginnen und Kollegen gedeckt wurden, bis sie nicht mehr flugtauglich waren.

In der DDR wurden in Bezug auf die Vertragsarbeiterinnen und -arbeiter dieselben Fehler gemacht, wie im Westen und später dem vereinten Deutschland im Hinblick auf Asylsuchende. Die Probleme sind dieselben wie heute, die Reaktionen der Mehrheitsgesellschaft auch.

Das Ende der DDR gilt als unrühmlich für den Arbeiter- und Bauernstaat, ging jedoch als "friedliche Revolution" in die deutsche Geschichte ein. Ein unliebsames Regime wegdemonstriert zu haben, das begreifen noch heute viele im Osten als Lebensleistung.

Dabei mischten ganz vorne Nazis mit, so schildert es der Historiker Harry Waibel, der sich eingehend mit dem Thema "Rechtsextremismus in der DDR" auseinandergesetzt hat. Sie hätten zwei Ziele gehabt, so Harry Waibel: "Erstens die Zerschlagung der DDR und zweitens ein neues 'Großdeutschland'."

Die Neuen Alten in der DDR

Die "Sowjetische Militäradministration in Deutschland" (SMAD) ließ bereits 1945 vier Parteien zu: KPD und SPD, später zur SED vereinigt, CDU und LDP.

Stalin äußerte im März 1948, es sei an der Zeit, "die Trennlinie zwischen ehemaligen Nazis und Nichtnazis aufzuheben". Bereits am 26. Februar 1948 beendete der SMAD-Befehl Nr. 35 die Entnazifizierung in der Sowjetzone; dadurch erhielten "nichtbelastete" NSDAP-Mitglieder die Chance, "an der Sicherung der Einheit und der demokratischen Entwicklung Deutschlands ehrlich mitzuarbeiten". Am 22. März 1948 erschien erstmals die neue National-Zeitung, das spätere Zentralorgan der NDPD.
(…)

In ihrem Parteiprogramm forderte die NDPD unter anderem die Förderung des Mittelstands, die Eingliederung der einstigen Berufsbeamten, ein Ende der Diskriminierung der einfachen NSDAP-Mitglieder und der Offiziere der Wehrmacht, eine vollständige Bodenreform und die Enteignung der Konzerne. Die nationalkonservativen Angehörigen des Mittelstands und Heimkehrer aus der Kriegsgefangenschaft stellten den überwiegenden Anteil der Mitglieder. Die NDPD war nach dem Muster der SED und dem Prinzip des Demokratischen Zentralismus organisiert. Höchstes Gremium war der im fünfjährigen Rhythmus zusammentretende Parteitag, der einen Hauptausschuss wählte. Ein Sekretariat erledigte die laufenden Geschäfte. Neben der werktäglich erscheinenden National-Zeitung gab der Parteivorstand die Zweimonatszeitschrift Die Nation ("Zeitschrift für Theorie und Praxis nationaler Politik") heraus. Der parteieigene Verlag der Nation spezialisierte sich "auf sogenannte 'Wandlungsliteratur'" für die Parteiklientel ehemaliger Nazis, Offiziere und Berufssoldaten. Die NDPD entsandte 52 Abgeordnete in die Volkskammer und stellte je einen Stellvertreter des Vorsitzenden des Ministerrats und des Vorsitzenden des Staatsrats der DDR.

National-Demokratische Partei Deutschlands, Wikipedia

Schätzungen zufolge waren allerdings in der SED mehr ehemalige NSDAP-Mitglieder zu finden, als in der NDPD, die nach 1990 in der FDP aufging. Im Jahr 1949 zog Wilhelm Adam als Abgeordneter in die Volkskammer der DDR ein, 1950-52 bekleidete er das Amt des sächsischen Finanzministers, dann wurde er Oberst der Kasernierten Volkspolizei (KVP). 1977 wurde er zum Generalmajor a. D. ernannt. 1968 wurde er mit dem "Banner der Arbeit" ausgezeichnet, welches für "hervorragende und langjährige Leistungen bei der Stärkung und Festigung der DDR, insbesondere für hohe Arbeitsergebnisse in der Volkswirtschaft" verliehen wurde.

Der Held der Arbeit hatte nur einen kleinen Schönheitsfehler: Er zählte schon 1933 zu den "verdienten Parteigenossen", die von Adolf Hitler mit dem "Blutorden" ausgezeichnet wurden. Das war 1933 noch einem sehr erlauchten Kreis vorbehalten, später wurde dieser erweitert. Der "Blutorden" war ein Ehrenzeichen der NSDAP zum ersten offiziell begangenen Jahrestag der "nationalen Erhebung vom 9. November 1923", dem Hitler-Putsch gegen die Münchner Räterepublik. 1923 war Wilhelm Adam in die NSDAP eingetreten, später wurde er SA-Oberscharführer. In der DDR war er Mitbegründer der NDPD.

Egbert von Frankenberg und Proschlitz, ab 1957 militärischer Kommentator des staatlichen Komitees für Rundfunk, war 1931 in die NSDAP eingetreten, 1931 in die SS, er diente u.a. in der Legion Condor. Das war ein Luftwaffenverband der deutschen Wehrmacht, der im spanischen Bürgerkrieg zur Unterstützung des Franco-Regimes eingesetzt wurde, und u.a. die Stadt Guernica bombardierte, an die Pablo Picasso mit seinem berühmten Bild erinnert. Auch Egbert von Frankenberg und Proschlitz war Mitglied der NDPD.

Johannes Gellert, Oberscharführer der SA und Verfasser von NS-Schriften, konnte Professor an der Pädagogischen Hochschule Potsdam werden.

Ernst Großmann, SS-Mitglied und ab 1940 Mitglied in einem SS-Totenkopf-Verband und Bewacher im KZ Sachsenhausen, brachte es zum Mitglied des Zentralkomitees (ZK) der SED. Er verlor diesen Posten allerdings, nachdem seine politische Vergangenheit bekannt wurde. Diese hatte er verschwiegen. Aber er blieb SED-Mitglied und wurde Vorsitzender einer Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft (LPG).

Bodo Uhse, der dem Bund Oberland, einem Freikorps, aus dem später die SA Bayern hervorging, war von 1950-52 Vorsitzender des Schriftstellerverbandes der DDR.

Die Psychologin Friedericke-Christine Pusch, die an der T-4-Selektion im Rahmen des Euthanasieprogramms beteiligt war, konnte ihre medizinische Karriere fortsetzen.

"Bereits Anfang der 1950er Jahre erklärte die DDR-Führung, dass der Faschismus in der DDR 'an seinen Wurzeln ausgerottet' sei", schreibt die Publizistin Anne Seeck in dem Buch Das Begehren anders zu sein - Politische und kulturelle Dissidenz von 68 bis zum Scheitern der DDR. So seien "die Nazi-Mitläufer in der DDR von ihrer Schuld" freigesprochen worden.

Der antifaschistische Gründungsmythos der DDR hatte eine Schuldentlastung für die Mitläufer geschaffen, die ihre Geschichte so nicht aufzuarbeiten brauchten.

Anne Seeck

Bis zum Schluss - und darüber hinaus - ist das der DDR auf die Füße gefallen.

"Liebe zur Nation" als Staatsdoktrin

"In der DDR wurde den Kindern die Liebe zur Nation eingeimpft", schildert Harry Waibel. "Über 40 Jahre war das der ideologische Bodensatz."

1965 sei "Deutschtümelei zum Programm erhoben" worden, schreibt Bernd Gehrke in einem Kapitel in dem von Anne Seeck herausgegebenen Buch. "Schon in den Kindergärten wurde mit einer ideologischen Einflussnahme begonnen", schreibt Anne Seeck.

Die politische Organisierung in Form der Pioniere und FDJ-Mitgliedschaft war dann in der Schule obligatorisch und die Voraussetzung dafür, um in der DDR einen Studienplatz zu bekommen und Karriere machen zu können. Der Staat selektierte an der Schule und förderte seine Elite, so an mathematischen, naturwissenschaftlich-technischen, sprachlichen, künstlerischen und sportlichen Spezialschulen und -klassen. Etwa elf bis 13 Prozent eines Jahrgangs erhielten die Zulassung zur erweiterten Oberschule, vier Prozent schlugen den Weg über eine Berufsausbildung mit Abitur ein. In den achtziger Jahren machten 13 Prozent eines Jahrgangs Abitur. Der Zugang zur Reifeprüfung wurde also klein gehalten, nicht nur sehr gute Leistungen, sondern auch die gesellschaftlichen Aktivitäten entschieden.

Das Abitur allein berechtigte jedoch noch nicht zum Studium. Es gab eine staatliche Zulassungskommission, die eine "aktive Mitwirkung an der Gestaltung der sozialistischen Gesellschaft" forderte.

Anne Seeck

Die "Liebe zur Nation" gepaart mit eiserner Disziplinierung ging einher mit der Militarisierung der Gesellschaft - und zwar ebenfalls von Kindesbeinen an.

"Ein zentraler Ausdruck dieses Nationalismus war die Parole von der militärischen Verteidigung der 'Nation DDR'. (…) Chauvinistischer Nationalismus ist exzessiver Nationalismus mit militärischer Prägung, das war das Konzept, das die SED zu verantworten hatte", schreibt Harry Waibel.

So heißt es 1956 in einer Entschließung des V. Pädagogischen Kongresses: "So glühend wie die Liebe zu Deutschland, die wir in unseren Herzen zu entzünden imstande sind, so heiß wird der Haß unserer Jugend gegen alle Feinde des deutschen Volkes sein, und so stark ihre Bereitschaft und ihr Wille […] die Deutsche Demokratische Republik gegen jeden Angriff, gegen jede Schädigung zu verteidigen."
(…)
In der Sowjet-Union hatte sich unter Stalin eine Geschichtsschreibung durchgesetzt, die "einen antimarxistischen, großrussischen Nationalismus und Chauvinismus ohnegleichen entwickelt", der 1951 und 1952 die zaristische Unterdrückungspolitik gegenüber Ukrainern, Kaukasusvölkern und Kirgisen für "fortschrittlich" erklärte. Zu diesem Zeitpunkt unternahmen auch die Historiker in der DDR eine Kehrtwendung zur "nationalen" Tradition, die zu einem Bestandteil der herrschenden Ideologie wurde. Je mehr der Pazifismus in der deutschen Bevölkerung des Nach-Kriegsdeutschlands unterdrückt wurde, umso stärker wurden die "nationalen" Traditionen aus der deutschen Geschichte in den Vordergrund gerückt. Mit Honecker verschoben sich die politischen und ideologischen Grundaussagen und die Schwerpunkte lagen nun bei einer Propaganda für die "sozialistische Nation in den Farben der DDR". Nation, Heimat und Vaterland sollten nun geliebt, geachtet und verteidigt werden. Die nationalistische Propaganda der Partei- und Staatsführung wurde in den Krisenjahren der zweiten Hälfte der 1980er Jahre verstärkt eingesetzt, um der auseinanderdriftenden ostdeutschen Gesellschaft einen Halt zu geben. Die Notwendigkeit der Konstitution einer "Nation DDR" wurde mit den "egoistischen Klasseninteressen" der Herrschenden in der BRD begründet, die letztlich nach 1945 die Spaltung Deutschlands verursacht und somit eine einheitliche deutsche Nation verhindert hätten. Die nationalen Interessen Gesamtdeutschlands seien durch eine "Politik des nationalen Verrats" aufgegeben worden und die Auflösung des einheitlichen deutschen Staates sei so von den Kommunisten nicht mehr zu verhindern gewesen. Doch die wahren Interessen der gesamten deutschen Nation wurden in der DDR beheimatet und gepflegt. Deshalb, so die SED auf ihrem VIII. Parteitag 1971, sei die deutsche Frage bereits entschieden und es gebe keine "offene deutsche Frage" mehr. Ziel der DDR sei es nun, alle Klassen und Schichten der DDR "zu einer nationalen Gemeinschaft" zusammenzuschließen. Die SED propagierte eine (ost-)deutsche Gemeinschaft des Volkes, in der den jungen Deutschen die Aufgabe zukam, die "humanen und sozialen Errungenschaften der Nation" militärisch zu verteidigen. Kinder bis hin zu Absolventen der Ober- und Hochschulen wurden von dieser Militarisierung erfasst und der Mobilisierungsdruck wurde im Wesentlichen von der FDJ, den Thälmann-Pionieren sowie der "Gesellschaft für Sport und Technik (GST)" entfaltet. Die jungen Ost-Deutschen wurden dazu erzogen die Heimat und das Vaterland zu lieben, zu verteidigen und die "imperialistischen Feinde" zu hassen, ein solcher ideologischer Zangengriff auf das Bewußtsein mehrerer Generationen von Heranwachsenden, blieb nicht ohne Folgen. Anfang 1979 führte die FDJ Versammlungen durch zum Thema: "Die DDR - mein sozialistisches Vaterland" und zu Beginn des Jahres 1984 entwickelte die FDJ-Führung eine neue Variante der politischen Indoktrination; ab sofort stand die Verbandsarbeit unter dem Motto die "Liebe und Treue jedes Jugendlichen zu seinem Vaterland zu festigen".

Harry Waibel

"Die DDR bezeichnete sich als Friedensstaat, dabei wurde die Gesellschaft zunehmend militarisiert", konstatiert auch Anne Seeck. "Fahnenappelle, Uniformen, Pioniermanöver, Abzeichen und Orden, selbst Fackelaufzüge der FDJ waren in der DDR an der Tagesordnung. Die Aufmärsche, z. B. an Feiertagen, wurden zunehmend zum Ritual. Die 'sozialistische Wehrerziehung' setzte im Kindergarten ein und reichte bis zur Berufsbildung bzw. dem Studium. Sie machte natürlich auch vor Schulbüchern nicht halt, hier fanden sich z. B. mathematische Übungen aus dem Militärleben. Die paramilitärische Ausbildung in der Gesellschaft für Sport und Technik (GST) flankierte die Wehrerziehung. 1952 wurde die GST aufgebaut. Im Schuljahr 1978/79 führte der Staat den Wehrkundeunterricht für die Klassen 9 und 10 ein."

So wurden die Grundlagen geschaffen für paramilitärische Neonazis-Gruppierungen, die es schon zu DDR-Zeiten gab, und die nach der Wende u.a. als "Skins Sächsische Schweiz" agierten.

Die Lage der Vertragsarbeiterinnen- und arbeiter

Neben der Indoktrination fühlten sich die viele Menschen mit der DDR verbunden, denn sie bot ihnen soziale Sicherheit, zumindest was die Grundversorgung betraf. Es gab Arbeit, ein Dach über dem Kopf, zu essen und zu trinken, ein Fahrschein für die U-Bahn kostete 20 Pfennig, der Eintritt im Berliner Zoo 50 Pfennig und für 5 Mark gab es im Restaurant des Berliner Fernsehturms Kaffee und Kuchen satt - für Kinder sogar gratis.

Das alles hatte seine Schattenseiten, an das Recht auf Arbeit war die Pflicht zur Arbeit gekoppelt, ein Verstoß dagegen konnte mit Arbeitslager geahndet werden, es gab zu wenig Wohnungen, das Baumaterial war meistens knapp, trotzdem bot der Staat seinen Bürgerinnen und Bürgern eine Grundversorgung, die sich alle leisten konnten.

Erfrorene Obdachlose gab es in der DDR schlicht nicht. Diese soziale Sicherheit stärkte das Gemeinschaftsgefühl, die Identifizierung mit dem Staat - und die Loyalität diesem gegenüber. Die Menschen hatten das Gefühl, Teil eines Kollektivs zu sein. Die Grenzen zwischen einem Kollektiv, dem sich anschließen kann, wer will, und aus dem aussteigen kann, wer will, und einem gegen äußere Feinde zu verteidigenden "Volkskörper" sind fließend.

Zumal dann, wenn die äußeren Feinde plötzlich die Kollegin an der Bügelmaschine oder der Kollege am Fließband sind, das Gefühl entsteht, der Staat behandele diese "Fremden" erheblich besser als die eigenen Bürgerinnen und Bürger, diese bekämen soziale Vergünstigungen, für sie würden Wohnungen gebaut, auf die viele so sehnlichst warteten und sie könnten selbstverständlich Luxusgüter erwerben, für die die DDR-Bürgerinnen und Bürger Westmark, also Devisen, brauchten.

Etwa 3,4 Mio. Menschen hatten die DDR von der Gründung bis zum Mauerbau am 13. August 1961 verlassen. "Die DDR-Regierung versuchte die Defizite durch ausländische ArbeiterInnen zu kompensieren und schloss bi-laterale Kooperations-Verträge mit den sogenannten sozialistischen 'Bruderstaaten' wie Polen und Ungarn, später auch mit Algerien, Kuba, Mosambik und ab 1985 auch mit Angola", schreibt Uta Beth in dem von Anne Seeck herausgegebenen Buch.

1979 kam noch Vietnam dazu. Die nun einreisenden Arbeitskräfte unterlagen strengen Bestimmungen, die der Bevölkerung der DDR indes nicht bekannt waren. Ebenso waren sie nicht über die Regularien der Vergütung informiert. Die Arbeitskräfte wurden meistens zu anspruchslosen, monotonen Arbeiten herangezogen, sie wurden auf engstem Raum untergebracht, regelrecht ghettoisiert, private Kontakte zu den Einheimischen waren nicht erwünscht, sie wurden mit der normalen Kantinenkost verpflegt, was laut Uta Beth u.a. dazu führte, dass viele der Menschen aus Vietnam total abmagerten, weil sie die deutsche Hausmannskost nicht mochten, oder auch häufig nicht vertrugen.

Den ausländischen Arbeitskräften seien vor allem schmutzige und gefährliche Arbeiten zugewiesen worden, so Uta Beth: "Arbeiten, die für die einheimische Bevölkerung wegen der schlechten, oft gesundheitsgefährdenden Arbeitsbedingungen, der geringen Bezahlung und mangelnden Aufstiegschancen uninteressant waren."

"Ganz unten" auch in der DDR. Sie wurden auch dort eingesetzt, wo aufgrund des Materialmangels sowieso keine Arbeitsauslastung möglich war. Das führte zu Unruhe in den Betrieben. Verantwortlich wurden häufig nicht diejenigen gemacht, die diese Entscheidung getroffen hatten, sondern die ausländischen Kolleginnen und Kollegen.

Untergebracht wurden die ausländischen Arbeitskräfte in aller Regel in Gemeinschaftsunterkünften, "mindestens fünf Quadratmeter Wohnfläche" pro Kopf, eine Kochstelle für drei Personen, puristische Ausstattung, z. T. acht Personen auf 40 m², die den Bestimmungen von Lehrlings- und Studentenwohnheimen unterlagen. Besuche wurden nicht gern gesehen, Übernachtungen, sofern das aufgrund der Enge überhaupt möglich war, waren genehmigungspflichtig.

Den Frauen wurde die Pille verabreicht, die allerdings kulturbedingt wenig damit anfangen konnten. Schwangere Frauen wurden umstandslos zurückgeschickt - auf eigene Kosten, es sei denn, sie nahmen die Möglichkeit eines in der DDR kostenlosen Schwangerschaftsabbruchs war.

Laut Uta Beth heißt es "in der Vereinbarung über die Verfahrensweise bei Schwangerschaft werktätiger vietnamesischer Frauen in der DDR auf der Grundlage des Regierungsabkommens vom 11. April 1980": "1.) Schwangerschaft und Mutterschaft verändern die persönliche Situation der betreffenden Frau so grundlegend, daß die damit verbundenen Anforderungen der zeitweiligen Beschäftigung und Qualifizierung nicht realisierbar sind. …"

Das ist besonders perfide im Hinblick darauf, dass Mutterschaft in der DDR kein Hindernis für eine Berufstätigkeit von Frauen war. 91,2% aller Frauen waren nach Anne Seeck erwerbstätig. Das wird auch heute noch als vorbildlich bezeichnet und gilt als vorbildlich emanzipiert. Die Wahrheit allerdings ist, dass die Frauen trotzdem Haushalt und Kinder alleine zu versorgen hatten, neben Job noch am Konsum in der "sozialistischen Wartegemeinschaft" ausharren und die Kinder in aller Herrgottsfrühe in den Hort bringen und später wieder abholen mussten.

1989 wurde in der DDR das Modell der Hausfrauenehe diskutiert, weil Frauen sich gegen diese Mehrfachbelastungen wehrten. Auch in der DDR verdienten die Frauen erheblich weniger, 16% bei gleicher Tätigkeit. Auch in der DDR gab es reine Frauenberufe, Lehrerin z. B., die deshalb zur Leichtlohngruppe wurden. Trotzdem konnten Frauen in der DDR, auch wenn sie Kinder hatten, sich eine Scheidung leisten.

Auch die hohe Scheidungsrate wird häufig als Indiz für den hohen Grad an Emanzipation in der DDR angeführt. Tatsächlich aber belegt sie, dass es hinten und vorne nicht funktionierte zwischen den Geschlechtern. Dazu trug allerdings auch bei, dass es üblich war, sehr jung zu heiraten. Paare wurden mit einer Wohnung geködert. Auch ein Instrument der Disziplinierung, wie Anne Seeck schreibt:

Der Staat zielte aber auch darauf ab, dass die potentiell aufmüpfige Jugendphase schnell übersprungen wurde.

Anne Seeck

Mit jedem der betreffenden Länder wurden Verträge geschlossen, die genau regelten, wie viele Arbeitskräfte kommen würden, wie lange diese bleiben, wie sie vergütet werden, welche Zusatzleistungen ihnen zustehen, z.B. die Möglichkeit, regelmäßig Pakete nach Hause zu schicken oder am Ende des Arbeitseinsatzes eine große Sendung zu verschicken, "eine sogenannte Endausreisekiste mit höchstens zwei Tonnen Gewicht … Der Inhalt war auf z. B. maximal fünf Fahrräder, zwei Mopeds, zwei Nähmaschinen und 150 Quadratmeter Stoff begrenzt", schreibt Uta Beth.

Dass der Inhalt dieser Verträge nicht bekannt war, führte zu Spekulationen und auch Neid: "Als sich die Versorgungsengpässe immer spürbarer auswirkten und die Konsumgüter von Tag zu Tag knapper wurden, empfand man die 'Ausländer' zunehmend als Konkurrenz, der man das 'Hamstern' und 'Aufkaufen' bestimmter Waren nicht mehr nur hinter vorgehaltener Hand übel nahm", so Uta Beth.

Nach der Wende habe sich diese Ablehnung zur offenen Diskriminierung gesteigert. So wundert es nicht, dass die ersten rassistischen Pogrome nach 1990 im Osten stattfanden und das Ziel eben jene Vertragsarbeiterinnen und -arbeiter waren.

"Von Ostdeutschland sprang der Funke über, der sich dann rasch über das ganze Land verbreitete", sagt Harry Waibel im Hinblick auf die Anschläge in Mölln, Solingen, Hünxe, Lübeck, …

An dieser Stelle wage ich es, dem Experten zu widersprechen. Die Neonazis in Westdeutschland waren auch keine Sängerknaben, es gab, wenn auch etwas später als in der DDR, auch in Westdeutschland rassistische Anschläge vor 1990, durchaus auch mit Todesopfern, schon Michael Kühnen hatte einen "Aufbauplan Ost" und Neonazis aus dem Westen wie Christian Wulf waren nach der Wende direkt zur Stelle, um diesen umzusetzen (siehe: Sie waren immer unter uns).

Zur Unterstützung wurde eigens der US-amerikanische Neonazis Gary Lauck eingeflogen. Sehr rasch wuchs hier zusammen, was sich auch vor der Wende schon als zusammengehörig fühlte und entfaltete eine ungeheure destruktive Energie, die Hunderten Menschen das Leben kostete.

"Über 8600 neo-nazistische, rassistische und antisemitische Propaganda- und Gewalttaten sind für die DDR belegt, bei denen es tausende Verletzte und mindestens zehn Tote gegeben hat. Der Anteil antisemitischer Angriffe liegt bei etwa 900 Vorfällen, davon betreffen etwa 145 Schändungen jüdischer Friedhöfe und Gräber. Der Anteil der rassistischen Angriffe liegt bei rund 725 Vorfällen. Rassismus, Neo-Nazismus und Antisemitismus waren Bestandteil des öffentlichen Lebens und sie wurden von der SED konsequent geheim gehalten", konstatiert Harry Waibel in seinem Buch.

Unmittelbar nach 1945 wurden organisierte und unorganisierte Neo-Nazis zu den hervorstechenden Akteuren der rassistischen Szene in der DDR und sie blieben es bis zum Untergang der DDR. Ab den 1970er Jahren traten gewaltbereite Hooligans in und vor Fußballstadien hinzu und ab den 1980er Jahren entwickelten sich die durch Glatzen und Kleidung uniformierten neo-nazistischen und rassistischen Skinheads.

Harry Waibel

Diese Hooligan-Szene gab es z. B. auch in Chemnitz.

Auch in den Staatsorganen, z. B. der Volkspolizei, wurden Neonazis auffällig. Ebenfalls eine Kontinuität, die sich bis heute gehalten hat und zwar in Ost und West, wie der kürzliche Polizeiskandal in Hessen zeigt.

In der Volkspolizei gab es von Anfang an organisierte und unorganisierte Neo-Nazis und in dem folgenden Beispiel wurden ebenfalls Waffen zur Bedrohung und Einschüchterung eingesetzt. Im Wachbataillon der Bezirksdirektion der Volkspolizei (LBdVP) Mecklenburg hatten sich am 10. August 1951 Volkspolizisten mit "starken antisowjetischen Tendenzen" geäußert. Ein Volkspolizist hatte zwei Angehörige der Roten Armee mit der Pistole bedroht und sich damit gebrüstet, er hätte sie abschießen können. Im Polit-Unterricht gab es ebenfalls anti-sowjetische Äußerungen. Zwei neo-nazistische Volkspolizisten wurden mit sieben Tagen Arrest disziplinarisch bestraft.

Harry Waibel

In Berlin-Hohenschönhausen wurden laut Harry Waibel Anfang 1960, also etwa ein Jahrzehnt, nachdem die DDR-Führung den Faschismus "an seinen Wurzeln ausgerottet" glaubte, " über 40 jugendliche Neo-Nazis in der Untersuchungshaftanstalt des MfS (Ministerium für Staatssicherheit/Stasi, Anm. d. Verf.) inhaftiert, die einer 'rechtsradikalen Untergrundbewegung' angehörten, die in Potsdam-Nedlitz in einem Keller eines Wohnhauses ihren Treffpunkt hatten. Zwei Drittel der Inhaftierten waren Mitglieder der FDJ und der Anführer war ein Potsdamer Student (22 Jahre). Bei einer Hausdurchsuchung wurden mehrere Hakenkreuzfahnen, eine Hitlerbüste und Nazi-Literatur gefunden".

Bereits 1979 forderte eine rassistische Hetzjagd im Bezirk Halle Todesopfer, wie Harry Waibel schildert:

Am 12. August 1979, gegen 19.20 Uhr, kam es bei einer Tanzveranstaltung in der Gaststätte "Saaletal", es befanden sich etwa 230 Deutsche im Saal, zu tätlichen Auseinandersetzungen, als ca. 10 Kubaner den Saal stürmten. Die Kubaner flüchteten danach aus dem Gebäude, wo andere Kubaner, "in einer Stärke von circa 35 Mann standen", die die heraus stürmenden Deutschen mit "Feldsteinen und Weinflaschen" bewarfen. Auch Fensterscheiben der Gaststätte wurden durch Steinwürfe zerstört. Danach flüchtete der "überwiegende Teil" der Kubaner über die Saalebrücke in das Zentrum von Merseburg. Ca. neun Kubaner flüchteten entlang des Flussufers, verfolgt von einem rassistischen Mob von ca. 30 bis 40 Deutschen. Da ihnen von anderen Deutschen dieser Weg versperrt wurde, sprangen sie in den Fluss und versuchten schwimmend das andere Ufer zu erreichen. Auf der Saalebrücke beobachteten ca. 70 Deutsche das makabere Schauspiel und einige von ihnen bewarfen die Schwimmer mit "Gegenständen", wie z. B. mit "Weinflaschen". Eine Deutsche sagte aus, dass sie, auf der Brücke stehend, eine Flasche auf einen Schwimmenden geworfen hatte und dass sie den Hinterkopf eines Flüchtlings getroffen hat. Ihrer Meinung nach zeigte der Schlag Wirkung und der schwimmende Kubaner "geriet zeitweilig unter Wasser". Diese "Wahrnehmungen" wurden am 13. August durch Zeugenvernehmungen bekannt. Als die Volkspolizei eintraf, war das Pogrom bereits beendet. Vier Kubaner die schwimmend das andere Ufer erreicht hatten, wurden dem VPKA Merseburg zugeführt. Eine Konsequenz war, dass mit den kubanischen Betreuern "zur sinnvollen Freizeitgestaltung" Absprachen getroffen werden sollten. In einem internen Schreiben des MfS wurde am 16. Oktober folgendes festgelegt: "Mit Zustimmung des zuständigen Stellvertreters des Generalstaatsanwaltes der DDR, Gen. Borchert, wurde ausgehend von den geführten Ermittlungen, insbesondere unter Berücksichtigung der brüderlichen Beziehungen zwischen der DDR und der Sozialistischen Republik Kuba entschieden, gegen die an dem Vorkommnis in Merseburg Beteiligten keine strafrechtlichen Maßnahmen einzuleiten und das Ermittlungsverfahren gegen UNBEKANNT einzustellen. Eine diesbezügliche Information an den Generalsekretär der SED und Vorsitzenden des Staatsrates, Gen. Honecker, erfolgte am 28.8.1979 durch das Ministerium des Innern." Die Bezirksverwaltung Halle der VP wollte am 14. August 1979 zwei Ermittlungsverfahren einleiten, was "verhindert werden" konnte. In der Folge der gewalttätigen Auseinandersetzungen wurden zwei Kubaner durch ein Kommando Feuerwehr mit Sturmboten in der Saale tot aufgefunden.

Harry Waibel

Das erste rassistische Pogrom nach 1945 ereignete sich bereits im August 1975 in Erfurt.

Algerische Vertragsarbeiter wurden 4 Tage von einem u.a. mit Eisenstangen und Holzlatten bewaffneten Mob durch die Straßen gejagt. Nur unter Polizeischutz konnten die Angegriffenen in ihre Unterkünfte flüchten, die Attacken hatten den Charakter von Lynchjustiz. Zuvor waren Gerüchte verbreitet worden, die Algerierinnen wären "nicht sauber", "nicht arbeitsam" und dem "Alkohol und lockeren Frauen zugetan". Zudem wurde behauptet, dass zwei bis zehn Deutsche von Algeriern ermordet worden wäre. Unter dem Ruf "Schlagt die Algerier tot" attackierten am 10. August die ersten 20 Personen, während Schaulustige das Geschehen beobachteten. In der Folge wurden 25 Algerier von 300 Deutschen durch die Stadt getrieben. Bei einem ähnlichen Vorgang 2 Tage später mussten sich 12 Algerier vor dem attackierenden Mob in die Hauptpost retten, da die Rassistinnen ihnen den Weg zu ihrem Wohnheim abschnitten. Vor der Post sammelten sich 150 bis 300 Personen und skandierten "Gebt die Algerier raus", "totschlagen", "hängen" oder "schlagt die Bullen tot". Die Gejagten konnten von Sicherheitskräften durch den Hintereingang abtransportiert werden. Als der Mob versuchte mit Gewalt die Post zu stürmen, ging die Volkspolizei mit Schlagstöcken und Hunden gegen die Rassistinnen vor. Insgesamt wurden 19 Personen vorläufig festgenommen.

Einen Tag später löste die Volkspolizei einen mit Stöcken bewaffnete Gruppe von 20 Personen in der Nähe des Wohnheims der Vertragsarbeiter auf. Zudem sammelten sich wieder etwa 150 Personen, die allerdings mit "lautstarken und provozierenden Diskussionen" mit der Volkspolizei beschäftigt waren. Am Ende wurden 27 Ermittlungsverfahren und neun Ordnungsstrafverfahren eingeleitet und insgesamt kam es zu 57 vorläufigen Festnahmen. Aus diesen wurden dann fünf Vorbestrafte als "Rädelsführer" bestimmt.

Rede der Naturfreundejugend anlässlich des 42. Jahrestags dieses Pogroms

Angesichts dieses Hasses gegen die ausländischen Arbeitskräfte, der sich nach der Wende nahtlos fortsetzte, stellt sich die Frage, ob zu früheren Zeiten der DDR nicht auch Wut auf die "Vaterlandsverräter" mitschwang, die mehr als 3 Millionen Menschen, die schon bis zum Mauerbau 1961 "rüber gemacht" hatten.

"Das ist ein bisschen weit hergeholt", findet Harry Waibel. Mag sein, aber völlig abwegig ist es nicht, zumal die "Liebe zur Nation" den Nährboden für diesen Hass gelegt hatte. Diese "Liebe" beinhaltet einerseits Loyalität der Nation gegenüber, andererseits ist sie identifikationsstiftend und exklusiv nach außen. Die Loyalität beinhaltet unausgesprochen den Anspruch an die anderen Mitglieder des Kollektivs, sich genauso loyal zu verhalten. Da sind wir dann in der Grauzone zwischen Kollektiv und "Volksgemeinschaft".

Wie auch immer, die Ursachen sind sicherlich vielfältig. Vieles erinnert an die aktuelle Situation, Neid, die naive Vorstellung, die eigene Situation würde sich verbessern, sobald die Eindringlinge wieder da sind, wo sie hingehören: möglichst weit weg, rassistische Stereotype, Vorurteile, wie z.B. die Begierde nach der "weißen Frau". Hinzu kommt die Politik der Verschwiegenheit, die die Staatsführung im Hinblick auf die Verträge praktiziert hat und Anlass zu Spekulationen und Sozialneid bot.

Dass Frauen angeblich oder tatsächlich angemacht wurden, war schon zu DDR-Zeiten häufig Ursache für die Ablehnung der ausländischen Arbeitskräfte. Manchmal vorgeschoben, häufig aber auch real. So schildert Harry Waibel z. B. einen Fall aus Rostock, wo eine Frau von drei Offizieren aus Zimbabwe vergewaltigt wurde. Die drei Männer haben sich in ihr Herkunftsland abgesetzt und blieben unbehelligt. Die Staatsführung ließ es dabei bewenden, sie wollte keine diplomatischen Verwicklungen. "Das gab es häufiger", so Waibel.

Scheint so, als ob der Umgang mit den ausländischen Arbeitskräften in der DDR die Blaupause gewesen sei für die Probleme, die es heute mit Einwanderung im vereinten Deutschland gibt: Über den Kopf der Bevölkerung hinweg entscheiden, die Regularien nicht transparent machen, die eine Gruppe gegen die andere ausspielen, soziale Benachteiligung verstärken, kulturelle Unterschiede negieren, die hart erkämpften - wenn auch sowohl damals als auch heute stark verbesserungswürdigen - Rechte der Frauen preis geben, die innere und soziale Sicherheit preisgeben, für Frauen, aber auch für die Arbeitsmigrantinnen und Studenten.

Wer schützte die Arbeitsmigrantinnen vor sexuellen Übergriffen? Seitens ihrer ausländischen Kollegen, aber auch seitens einheimischer Männer. Alles in allem scheint auch damals als das beste Rezept erachtet worden, die Probleme zu deckeln, statt offen drüber zu reden und im öffentlichen Diskurs nach für alle akzeptablen Lösungen zu suchen.

Literatur:

Seeck, Anne (Hg), Das Begehren anders zu sein, Unrast Verlag, Münster, 2012
Waibel, Harry, Der gescheiterte Antifaschismus der SED: Rassismus in der DDR, Peter Lang Verlag, Frankfurt, 2014
Waibel, Harry, Die braune Saat, Antisemitismus und Neonazismus in der DDR, Schmetterling Verlag, Stuttgart, 2017