Hinter dem antifaschistischen Schutzwall
Seite 4: Die Lage der Vertragsarbeiterinnen- und arbeiter
- Hinter dem antifaschistischen Schutzwall
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Neben der Indoktrination fühlten sich die viele Menschen mit der DDR verbunden, denn sie bot ihnen soziale Sicherheit, zumindest was die Grundversorgung betraf. Es gab Arbeit, ein Dach über dem Kopf, zu essen und zu trinken, ein Fahrschein für die U-Bahn kostete 20 Pfennig, der Eintritt im Berliner Zoo 50 Pfennig und für 5 Mark gab es im Restaurant des Berliner Fernsehturms Kaffee und Kuchen satt - für Kinder sogar gratis.
Das alles hatte seine Schattenseiten, an das Recht auf Arbeit war die Pflicht zur Arbeit gekoppelt, ein Verstoß dagegen konnte mit Arbeitslager geahndet werden, es gab zu wenig Wohnungen, das Baumaterial war meistens knapp, trotzdem bot der Staat seinen Bürgerinnen und Bürgern eine Grundversorgung, die sich alle leisten konnten.
Erfrorene Obdachlose gab es in der DDR schlicht nicht. Diese soziale Sicherheit stärkte das Gemeinschaftsgefühl, die Identifizierung mit dem Staat - und die Loyalität diesem gegenüber. Die Menschen hatten das Gefühl, Teil eines Kollektivs zu sein. Die Grenzen zwischen einem Kollektiv, dem sich anschließen kann, wer will, und aus dem aussteigen kann, wer will, und einem gegen äußere Feinde zu verteidigenden "Volkskörper" sind fließend.
Zumal dann, wenn die äußeren Feinde plötzlich die Kollegin an der Bügelmaschine oder der Kollege am Fließband sind, das Gefühl entsteht, der Staat behandele diese "Fremden" erheblich besser als die eigenen Bürgerinnen und Bürger, diese bekämen soziale Vergünstigungen, für sie würden Wohnungen gebaut, auf die viele so sehnlichst warteten und sie könnten selbstverständlich Luxusgüter erwerben, für die die DDR-Bürgerinnen und Bürger Westmark, also Devisen, brauchten.
Etwa 3,4 Mio. Menschen hatten die DDR von der Gründung bis zum Mauerbau am 13. August 1961 verlassen. "Die DDR-Regierung versuchte die Defizite durch ausländische ArbeiterInnen zu kompensieren und schloss bi-laterale Kooperations-Verträge mit den sogenannten sozialistischen 'Bruderstaaten' wie Polen und Ungarn, später auch mit Algerien, Kuba, Mosambik und ab 1985 auch mit Angola", schreibt Uta Beth in dem von Anne Seeck herausgegebenen Buch.
1979 kam noch Vietnam dazu. Die nun einreisenden Arbeitskräfte unterlagen strengen Bestimmungen, die der Bevölkerung der DDR indes nicht bekannt waren. Ebenso waren sie nicht über die Regularien der Vergütung informiert. Die Arbeitskräfte wurden meistens zu anspruchslosen, monotonen Arbeiten herangezogen, sie wurden auf engstem Raum untergebracht, regelrecht ghettoisiert, private Kontakte zu den Einheimischen waren nicht erwünscht, sie wurden mit der normalen Kantinenkost verpflegt, was laut Uta Beth u.a. dazu führte, dass viele der Menschen aus Vietnam total abmagerten, weil sie die deutsche Hausmannskost nicht mochten, oder auch häufig nicht vertrugen.
Den ausländischen Arbeitskräften seien vor allem schmutzige und gefährliche Arbeiten zugewiesen worden, so Uta Beth: "Arbeiten, die für die einheimische Bevölkerung wegen der schlechten, oft gesundheitsgefährdenden Arbeitsbedingungen, der geringen Bezahlung und mangelnden Aufstiegschancen uninteressant waren."
"Ganz unten" auch in der DDR. Sie wurden auch dort eingesetzt, wo aufgrund des Materialmangels sowieso keine Arbeitsauslastung möglich war. Das führte zu Unruhe in den Betrieben. Verantwortlich wurden häufig nicht diejenigen gemacht, die diese Entscheidung getroffen hatten, sondern die ausländischen Kolleginnen und Kollegen.
Untergebracht wurden die ausländischen Arbeitskräfte in aller Regel in Gemeinschaftsunterkünften, "mindestens fünf Quadratmeter Wohnfläche" pro Kopf, eine Kochstelle für drei Personen, puristische Ausstattung, z. T. acht Personen auf 40 m², die den Bestimmungen von Lehrlings- und Studentenwohnheimen unterlagen. Besuche wurden nicht gern gesehen, Übernachtungen, sofern das aufgrund der Enge überhaupt möglich war, waren genehmigungspflichtig.
Den Frauen wurde die Pille verabreicht, die allerdings kulturbedingt wenig damit anfangen konnten. Schwangere Frauen wurden umstandslos zurückgeschickt - auf eigene Kosten, es sei denn, sie nahmen die Möglichkeit eines in der DDR kostenlosen Schwangerschaftsabbruchs war.
Laut Uta Beth heißt es "in der Vereinbarung über die Verfahrensweise bei Schwangerschaft werktätiger vietnamesischer Frauen in der DDR auf der Grundlage des Regierungsabkommens vom 11. April 1980": "1.) Schwangerschaft und Mutterschaft verändern die persönliche Situation der betreffenden Frau so grundlegend, daß die damit verbundenen Anforderungen der zeitweiligen Beschäftigung und Qualifizierung nicht realisierbar sind. …"
Das ist besonders perfide im Hinblick darauf, dass Mutterschaft in der DDR kein Hindernis für eine Berufstätigkeit von Frauen war. 91,2% aller Frauen waren nach Anne Seeck erwerbstätig. Das wird auch heute noch als vorbildlich bezeichnet und gilt als vorbildlich emanzipiert. Die Wahrheit allerdings ist, dass die Frauen trotzdem Haushalt und Kinder alleine zu versorgen hatten, neben Job noch am Konsum in der "sozialistischen Wartegemeinschaft" ausharren und die Kinder in aller Herrgottsfrühe in den Hort bringen und später wieder abholen mussten.
1989 wurde in der DDR das Modell der Hausfrauenehe diskutiert, weil Frauen sich gegen diese Mehrfachbelastungen wehrten. Auch in der DDR verdienten die Frauen erheblich weniger, 16% bei gleicher Tätigkeit. Auch in der DDR gab es reine Frauenberufe, Lehrerin z. B., die deshalb zur Leichtlohngruppe wurden. Trotzdem konnten Frauen in der DDR, auch wenn sie Kinder hatten, sich eine Scheidung leisten.
Auch die hohe Scheidungsrate wird häufig als Indiz für den hohen Grad an Emanzipation in der DDR angeführt. Tatsächlich aber belegt sie, dass es hinten und vorne nicht funktionierte zwischen den Geschlechtern. Dazu trug allerdings auch bei, dass es üblich war, sehr jung zu heiraten. Paare wurden mit einer Wohnung geködert. Auch ein Instrument der Disziplinierung, wie Anne Seeck schreibt:
Der Staat zielte aber auch darauf ab, dass die potentiell aufmüpfige Jugendphase schnell übersprungen wurde.
Anne Seeck
Mit jedem der betreffenden Länder wurden Verträge geschlossen, die genau regelten, wie viele Arbeitskräfte kommen würden, wie lange diese bleiben, wie sie vergütet werden, welche Zusatzleistungen ihnen zustehen, z.B. die Möglichkeit, regelmäßig Pakete nach Hause zu schicken oder am Ende des Arbeitseinsatzes eine große Sendung zu verschicken, "eine sogenannte Endausreisekiste mit höchstens zwei Tonnen Gewicht … Der Inhalt war auf z. B. maximal fünf Fahrräder, zwei Mopeds, zwei Nähmaschinen und 150 Quadratmeter Stoff begrenzt", schreibt Uta Beth.
Dass der Inhalt dieser Verträge nicht bekannt war, führte zu Spekulationen und auch Neid: "Als sich die Versorgungsengpässe immer spürbarer auswirkten und die Konsumgüter von Tag zu Tag knapper wurden, empfand man die 'Ausländer' zunehmend als Konkurrenz, der man das 'Hamstern' und 'Aufkaufen' bestimmter Waren nicht mehr nur hinter vorgehaltener Hand übel nahm", so Uta Beth.
Nach der Wende habe sich diese Ablehnung zur offenen Diskriminierung gesteigert. So wundert es nicht, dass die ersten rassistischen Pogrome nach 1990 im Osten stattfanden und das Ziel eben jene Vertragsarbeiterinnen und -arbeiter waren.
"Von Ostdeutschland sprang der Funke über, der sich dann rasch über das ganze Land verbreitete", sagt Harry Waibel im Hinblick auf die Anschläge in Mölln, Solingen, Hünxe, Lübeck, …
An dieser Stelle wage ich es, dem Experten zu widersprechen. Die Neonazis in Westdeutschland waren auch keine Sängerknaben, es gab, wenn auch etwas später als in der DDR, auch in Westdeutschland rassistische Anschläge vor 1990, durchaus auch mit Todesopfern, schon Michael Kühnen hatte einen "Aufbauplan Ost" und Neonazis aus dem Westen wie Christian Wulf waren nach der Wende direkt zur Stelle, um diesen umzusetzen (siehe: Sie waren immer unter uns).
Zur Unterstützung wurde eigens der US-amerikanische Neonazis Gary Lauck eingeflogen. Sehr rasch wuchs hier zusammen, was sich auch vor der Wende schon als zusammengehörig fühlte und entfaltete eine ungeheure destruktive Energie, die Hunderten Menschen das Leben kostete.
"Über 8600 neo-nazistische, rassistische und antisemitische Propaganda- und Gewalttaten sind für die DDR belegt, bei denen es tausende Verletzte und mindestens zehn Tote gegeben hat. Der Anteil antisemitischer Angriffe liegt bei etwa 900 Vorfällen, davon betreffen etwa 145 Schändungen jüdischer Friedhöfe und Gräber. Der Anteil der rassistischen Angriffe liegt bei rund 725 Vorfällen. Rassismus, Neo-Nazismus und Antisemitismus waren Bestandteil des öffentlichen Lebens und sie wurden von der SED konsequent geheim gehalten", konstatiert Harry Waibel in seinem Buch.
Unmittelbar nach 1945 wurden organisierte und unorganisierte Neo-Nazis zu den hervorstechenden Akteuren der rassistischen Szene in der DDR und sie blieben es bis zum Untergang der DDR. Ab den 1970er Jahren traten gewaltbereite Hooligans in und vor Fußballstadien hinzu und ab den 1980er Jahren entwickelten sich die durch Glatzen und Kleidung uniformierten neo-nazistischen und rassistischen Skinheads.
Harry Waibel
Diese Hooligan-Szene gab es z. B. auch in Chemnitz.
Auch in den Staatsorganen, z. B. der Volkspolizei, wurden Neonazis auffällig. Ebenfalls eine Kontinuität, die sich bis heute gehalten hat und zwar in Ost und West, wie der kürzliche Polizeiskandal in Hessen zeigt.
In der Volkspolizei gab es von Anfang an organisierte und unorganisierte Neo-Nazis und in dem folgenden Beispiel wurden ebenfalls Waffen zur Bedrohung und Einschüchterung eingesetzt. Im Wachbataillon der Bezirksdirektion der Volkspolizei (LBdVP) Mecklenburg hatten sich am 10. August 1951 Volkspolizisten mit "starken antisowjetischen Tendenzen" geäußert. Ein Volkspolizist hatte zwei Angehörige der Roten Armee mit der Pistole bedroht und sich damit gebrüstet, er hätte sie abschießen können. Im Polit-Unterricht gab es ebenfalls anti-sowjetische Äußerungen. Zwei neo-nazistische Volkspolizisten wurden mit sieben Tagen Arrest disziplinarisch bestraft.
Harry Waibel
In Berlin-Hohenschönhausen wurden laut Harry Waibel Anfang 1960, also etwa ein Jahrzehnt, nachdem die DDR-Führung den Faschismus "an seinen Wurzeln ausgerottet" glaubte, " über 40 jugendliche Neo-Nazis in der Untersuchungshaftanstalt des MfS (Ministerium für Staatssicherheit/Stasi, Anm. d. Verf.) inhaftiert, die einer 'rechtsradikalen Untergrundbewegung' angehörten, die in Potsdam-Nedlitz in einem Keller eines Wohnhauses ihren Treffpunkt hatten. Zwei Drittel der Inhaftierten waren Mitglieder der FDJ und der Anführer war ein Potsdamer Student (22 Jahre). Bei einer Hausdurchsuchung wurden mehrere Hakenkreuzfahnen, eine Hitlerbüste und Nazi-Literatur gefunden".
Bereits 1979 forderte eine rassistische Hetzjagd im Bezirk Halle Todesopfer, wie Harry Waibel schildert:
Am 12. August 1979, gegen 19.20 Uhr, kam es bei einer Tanzveranstaltung in der Gaststätte "Saaletal", es befanden sich etwa 230 Deutsche im Saal, zu tätlichen Auseinandersetzungen, als ca. 10 Kubaner den Saal stürmten. Die Kubaner flüchteten danach aus dem Gebäude, wo andere Kubaner, "in einer Stärke von circa 35 Mann standen", die die heraus stürmenden Deutschen mit "Feldsteinen und Weinflaschen" bewarfen. Auch Fensterscheiben der Gaststätte wurden durch Steinwürfe zerstört. Danach flüchtete der "überwiegende Teil" der Kubaner über die Saalebrücke in das Zentrum von Merseburg. Ca. neun Kubaner flüchteten entlang des Flussufers, verfolgt von einem rassistischen Mob von ca. 30 bis 40 Deutschen. Da ihnen von anderen Deutschen dieser Weg versperrt wurde, sprangen sie in den Fluss und versuchten schwimmend das andere Ufer zu erreichen. Auf der Saalebrücke beobachteten ca. 70 Deutsche das makabere Schauspiel und einige von ihnen bewarfen die Schwimmer mit "Gegenständen", wie z. B. mit "Weinflaschen". Eine Deutsche sagte aus, dass sie, auf der Brücke stehend, eine Flasche auf einen Schwimmenden geworfen hatte und dass sie den Hinterkopf eines Flüchtlings getroffen hat. Ihrer Meinung nach zeigte der Schlag Wirkung und der schwimmende Kubaner "geriet zeitweilig unter Wasser". Diese "Wahrnehmungen" wurden am 13. August durch Zeugenvernehmungen bekannt. Als die Volkspolizei eintraf, war das Pogrom bereits beendet. Vier Kubaner die schwimmend das andere Ufer erreicht hatten, wurden dem VPKA Merseburg zugeführt. Eine Konsequenz war, dass mit den kubanischen Betreuern "zur sinnvollen Freizeitgestaltung" Absprachen getroffen werden sollten. In einem internen Schreiben des MfS wurde am 16. Oktober folgendes festgelegt: "Mit Zustimmung des zuständigen Stellvertreters des Generalstaatsanwaltes der DDR, Gen. Borchert, wurde ausgehend von den geführten Ermittlungen, insbesondere unter Berücksichtigung der brüderlichen Beziehungen zwischen der DDR und der Sozialistischen Republik Kuba entschieden, gegen die an dem Vorkommnis in Merseburg Beteiligten keine strafrechtlichen Maßnahmen einzuleiten und das Ermittlungsverfahren gegen UNBEKANNT einzustellen. Eine diesbezügliche Information an den Generalsekretär der SED und Vorsitzenden des Staatsrates, Gen. Honecker, erfolgte am 28.8.1979 durch das Ministerium des Innern." Die Bezirksverwaltung Halle der VP wollte am 14. August 1979 zwei Ermittlungsverfahren einleiten, was "verhindert werden" konnte. In der Folge der gewalttätigen Auseinandersetzungen wurden zwei Kubaner durch ein Kommando Feuerwehr mit Sturmboten in der Saale tot aufgefunden.
Harry Waibel
Das erste rassistische Pogrom nach 1945 ereignete sich bereits im August 1975 in Erfurt.
Algerische Vertragsarbeiter wurden 4 Tage von einem u.a. mit Eisenstangen und Holzlatten bewaffneten Mob durch die Straßen gejagt. Nur unter Polizeischutz konnten die Angegriffenen in ihre Unterkünfte flüchten, die Attacken hatten den Charakter von Lynchjustiz. Zuvor waren Gerüchte verbreitet worden, die Algerierinnen wären "nicht sauber", "nicht arbeitsam" und dem "Alkohol und lockeren Frauen zugetan". Zudem wurde behauptet, dass zwei bis zehn Deutsche von Algeriern ermordet worden wäre. Unter dem Ruf "Schlagt die Algerier tot" attackierten am 10. August die ersten 20 Personen, während Schaulustige das Geschehen beobachteten. In der Folge wurden 25 Algerier von 300 Deutschen durch die Stadt getrieben. Bei einem ähnlichen Vorgang 2 Tage später mussten sich 12 Algerier vor dem attackierenden Mob in die Hauptpost retten, da die Rassistinnen ihnen den Weg zu ihrem Wohnheim abschnitten. Vor der Post sammelten sich 150 bis 300 Personen und skandierten "Gebt die Algerier raus", "totschlagen", "hängen" oder "schlagt die Bullen tot". Die Gejagten konnten von Sicherheitskräften durch den Hintereingang abtransportiert werden. Als der Mob versuchte mit Gewalt die Post zu stürmen, ging die Volkspolizei mit Schlagstöcken und Hunden gegen die Rassistinnen vor. Insgesamt wurden 19 Personen vorläufig festgenommen.
Einen Tag später löste die Volkspolizei einen mit Stöcken bewaffnete Gruppe von 20 Personen in der Nähe des Wohnheims der Vertragsarbeiter auf. Zudem sammelten sich wieder etwa 150 Personen, die allerdings mit "lautstarken und provozierenden Diskussionen" mit der Volkspolizei beschäftigt waren. Am Ende wurden 27 Ermittlungsverfahren und neun Ordnungsstrafverfahren eingeleitet und insgesamt kam es zu 57 vorläufigen Festnahmen. Aus diesen wurden dann fünf Vorbestrafte als "Rädelsführer" bestimmt.
Rede der Naturfreundejugend anlässlich des 42. Jahrestags dieses Pogroms
Angesichts dieses Hasses gegen die ausländischen Arbeitskräfte, der sich nach der Wende nahtlos fortsetzte, stellt sich die Frage, ob zu früheren Zeiten der DDR nicht auch Wut auf die "Vaterlandsverräter" mitschwang, die mehr als 3 Millionen Menschen, die schon bis zum Mauerbau 1961 "rüber gemacht" hatten.
"Das ist ein bisschen weit hergeholt", findet Harry Waibel. Mag sein, aber völlig abwegig ist es nicht, zumal die "Liebe zur Nation" den Nährboden für diesen Hass gelegt hatte. Diese "Liebe" beinhaltet einerseits Loyalität der Nation gegenüber, andererseits ist sie identifikationsstiftend und exklusiv nach außen. Die Loyalität beinhaltet unausgesprochen den Anspruch an die anderen Mitglieder des Kollektivs, sich genauso loyal zu verhalten. Da sind wir dann in der Grauzone zwischen Kollektiv und "Volksgemeinschaft".
Wie auch immer, die Ursachen sind sicherlich vielfältig. Vieles erinnert an die aktuelle Situation, Neid, die naive Vorstellung, die eigene Situation würde sich verbessern, sobald die Eindringlinge wieder da sind, wo sie hingehören: möglichst weit weg, rassistische Stereotype, Vorurteile, wie z.B. die Begierde nach der "weißen Frau". Hinzu kommt die Politik der Verschwiegenheit, die die Staatsführung im Hinblick auf die Verträge praktiziert hat und Anlass zu Spekulationen und Sozialneid bot.
Dass Frauen angeblich oder tatsächlich angemacht wurden, war schon zu DDR-Zeiten häufig Ursache für die Ablehnung der ausländischen Arbeitskräfte. Manchmal vorgeschoben, häufig aber auch real. So schildert Harry Waibel z. B. einen Fall aus Rostock, wo eine Frau von drei Offizieren aus Zimbabwe vergewaltigt wurde. Die drei Männer haben sich in ihr Herkunftsland abgesetzt und blieben unbehelligt. Die Staatsführung ließ es dabei bewenden, sie wollte keine diplomatischen Verwicklungen. "Das gab es häufiger", so Waibel.
Scheint so, als ob der Umgang mit den ausländischen Arbeitskräften in der DDR die Blaupause gewesen sei für die Probleme, die es heute mit Einwanderung im vereinten Deutschland gibt: Über den Kopf der Bevölkerung hinweg entscheiden, die Regularien nicht transparent machen, die eine Gruppe gegen die andere ausspielen, soziale Benachteiligung verstärken, kulturelle Unterschiede negieren, die hart erkämpften - wenn auch sowohl damals als auch heute stark verbesserungswürdigen - Rechte der Frauen preis geben, die innere und soziale Sicherheit preisgeben, für Frauen, aber auch für die Arbeitsmigrantinnen und Studenten.
Wer schützte die Arbeitsmigrantinnen vor sexuellen Übergriffen? Seitens ihrer ausländischen Kollegen, aber auch seitens einheimischer Männer. Alles in allem scheint auch damals als das beste Rezept erachtet worden, die Probleme zu deckeln, statt offen drüber zu reden und im öffentlichen Diskurs nach für alle akzeptablen Lösungen zu suchen.
Literatur:
Seeck, Anne (Hg), Das Begehren anders zu sein, Unrast Verlag, Münster, 2012
Waibel, Harry, Der gescheiterte Antifaschismus der SED: Rassismus in der DDR, Peter Lang Verlag, Frankfurt, 2014
Waibel, Harry, Die braune Saat, Antisemitismus und Neonazismus in der DDR, Schmetterling Verlag, Stuttgart, 2017