Hinter dem antifaschistischen Schutzwall

Seite 3: "Liebe zur Nation" als Staatsdoktrin

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

"In der DDR wurde den Kindern die Liebe zur Nation eingeimpft", schildert Harry Waibel. "Über 40 Jahre war das der ideologische Bodensatz."

1965 sei "Deutschtümelei zum Programm erhoben" worden, schreibt Bernd Gehrke in einem Kapitel in dem von Anne Seeck herausgegebenen Buch. "Schon in den Kindergärten wurde mit einer ideologischen Einflussnahme begonnen", schreibt Anne Seeck.

Die politische Organisierung in Form der Pioniere und FDJ-Mitgliedschaft war dann in der Schule obligatorisch und die Voraussetzung dafür, um in der DDR einen Studienplatz zu bekommen und Karriere machen zu können. Der Staat selektierte an der Schule und förderte seine Elite, so an mathematischen, naturwissenschaftlich-technischen, sprachlichen, künstlerischen und sportlichen Spezialschulen und -klassen. Etwa elf bis 13 Prozent eines Jahrgangs erhielten die Zulassung zur erweiterten Oberschule, vier Prozent schlugen den Weg über eine Berufsausbildung mit Abitur ein. In den achtziger Jahren machten 13 Prozent eines Jahrgangs Abitur. Der Zugang zur Reifeprüfung wurde also klein gehalten, nicht nur sehr gute Leistungen, sondern auch die gesellschaftlichen Aktivitäten entschieden.

Das Abitur allein berechtigte jedoch noch nicht zum Studium. Es gab eine staatliche Zulassungskommission, die eine "aktive Mitwirkung an der Gestaltung der sozialistischen Gesellschaft" forderte.

Anne Seeck

Die "Liebe zur Nation" gepaart mit eiserner Disziplinierung ging einher mit der Militarisierung der Gesellschaft - und zwar ebenfalls von Kindesbeinen an.

"Ein zentraler Ausdruck dieses Nationalismus war die Parole von der militärischen Verteidigung der 'Nation DDR'. (…) Chauvinistischer Nationalismus ist exzessiver Nationalismus mit militärischer Prägung, das war das Konzept, das die SED zu verantworten hatte", schreibt Harry Waibel.

So heißt es 1956 in einer Entschließung des V. Pädagogischen Kongresses: "So glühend wie die Liebe zu Deutschland, die wir in unseren Herzen zu entzünden imstande sind, so heiß wird der Haß unserer Jugend gegen alle Feinde des deutschen Volkes sein, und so stark ihre Bereitschaft und ihr Wille […] die Deutsche Demokratische Republik gegen jeden Angriff, gegen jede Schädigung zu verteidigen."
(…)
In der Sowjet-Union hatte sich unter Stalin eine Geschichtsschreibung durchgesetzt, die "einen antimarxistischen, großrussischen Nationalismus und Chauvinismus ohnegleichen entwickelt", der 1951 und 1952 die zaristische Unterdrückungspolitik gegenüber Ukrainern, Kaukasusvölkern und Kirgisen für "fortschrittlich" erklärte. Zu diesem Zeitpunkt unternahmen auch die Historiker in der DDR eine Kehrtwendung zur "nationalen" Tradition, die zu einem Bestandteil der herrschenden Ideologie wurde. Je mehr der Pazifismus in der deutschen Bevölkerung des Nach-Kriegsdeutschlands unterdrückt wurde, umso stärker wurden die "nationalen" Traditionen aus der deutschen Geschichte in den Vordergrund gerückt. Mit Honecker verschoben sich die politischen und ideologischen Grundaussagen und die Schwerpunkte lagen nun bei einer Propaganda für die "sozialistische Nation in den Farben der DDR". Nation, Heimat und Vaterland sollten nun geliebt, geachtet und verteidigt werden. Die nationalistische Propaganda der Partei- und Staatsführung wurde in den Krisenjahren der zweiten Hälfte der 1980er Jahre verstärkt eingesetzt, um der auseinanderdriftenden ostdeutschen Gesellschaft einen Halt zu geben. Die Notwendigkeit der Konstitution einer "Nation DDR" wurde mit den "egoistischen Klasseninteressen" der Herrschenden in der BRD begründet, die letztlich nach 1945 die Spaltung Deutschlands verursacht und somit eine einheitliche deutsche Nation verhindert hätten. Die nationalen Interessen Gesamtdeutschlands seien durch eine "Politik des nationalen Verrats" aufgegeben worden und die Auflösung des einheitlichen deutschen Staates sei so von den Kommunisten nicht mehr zu verhindern gewesen. Doch die wahren Interessen der gesamten deutschen Nation wurden in der DDR beheimatet und gepflegt. Deshalb, so die SED auf ihrem VIII. Parteitag 1971, sei die deutsche Frage bereits entschieden und es gebe keine "offene deutsche Frage" mehr. Ziel der DDR sei es nun, alle Klassen und Schichten der DDR "zu einer nationalen Gemeinschaft" zusammenzuschließen. Die SED propagierte eine (ost-)deutsche Gemeinschaft des Volkes, in der den jungen Deutschen die Aufgabe zukam, die "humanen und sozialen Errungenschaften der Nation" militärisch zu verteidigen. Kinder bis hin zu Absolventen der Ober- und Hochschulen wurden von dieser Militarisierung erfasst und der Mobilisierungsdruck wurde im Wesentlichen von der FDJ, den Thälmann-Pionieren sowie der "Gesellschaft für Sport und Technik (GST)" entfaltet. Die jungen Ost-Deutschen wurden dazu erzogen die Heimat und das Vaterland zu lieben, zu verteidigen und die "imperialistischen Feinde" zu hassen, ein solcher ideologischer Zangengriff auf das Bewußtsein mehrerer Generationen von Heranwachsenden, blieb nicht ohne Folgen. Anfang 1979 führte die FDJ Versammlungen durch zum Thema: "Die DDR - mein sozialistisches Vaterland" und zu Beginn des Jahres 1984 entwickelte die FDJ-Führung eine neue Variante der politischen Indoktrination; ab sofort stand die Verbandsarbeit unter dem Motto die "Liebe und Treue jedes Jugendlichen zu seinem Vaterland zu festigen".

Harry Waibel

"Die DDR bezeichnete sich als Friedensstaat, dabei wurde die Gesellschaft zunehmend militarisiert", konstatiert auch Anne Seeck. "Fahnenappelle, Uniformen, Pioniermanöver, Abzeichen und Orden, selbst Fackelaufzüge der FDJ waren in der DDR an der Tagesordnung. Die Aufmärsche, z. B. an Feiertagen, wurden zunehmend zum Ritual. Die 'sozialistische Wehrerziehung' setzte im Kindergarten ein und reichte bis zur Berufsbildung bzw. dem Studium. Sie machte natürlich auch vor Schulbüchern nicht halt, hier fanden sich z. B. mathematische Übungen aus dem Militärleben. Die paramilitärische Ausbildung in der Gesellschaft für Sport und Technik (GST) flankierte die Wehrerziehung. 1952 wurde die GST aufgebaut. Im Schuljahr 1978/79 führte der Staat den Wehrkundeunterricht für die Klassen 9 und 10 ein."

So wurden die Grundlagen geschaffen für paramilitärische Neonazis-Gruppierungen, die es schon zu DDR-Zeiten gab, und die nach der Wende u.a. als "Skins Sächsische Schweiz" agierten.