Hintergründe der Terroranschläge in Barcelona und Cambrils weiter unklar
Vor allem der Rolle des Chefs der islamistischen Terrorzelle, der im Kontakt mit spanischen Sicherheitskräften und Geheimdienst stand, ist ein Jahr danach weiter unklar
Vor dem Jahrestag der Anschläge von radikalen Islamisten vor einem Jahr im katalanischen Barcelona und Cambrils, an die am heutigen Freitag gedacht wird, sind neue Details an die Öffentlichkeit gelangt.
Geklärt ist nun, dass jungen Leute aus der Kleinstadt Ripoll nie mörderische Fahrten mit Lieferwagen und Messerattacken in Touristenhochburgen geplant hatten, mit denen sie letztendlich vor einem Jahr 17 Menschen getötet und mehr als 130 verletzt haben. Sie hatten vielmehr Massaker ungeahnten Ausmaßes mit großen Bomben vor, nicht allein in Spanien, sondern auch in Paris.
Das Kommando entschied sich aber eilig zu einem improvisierten Notfall-Terrorplan, da in der Nacht zuvor ihre Bombenwerkstatt im kleinen Alcanar beim Bombenbau in die Luft geflogen war. Dabei wurden der Terrorchef und Imam von Ripoll Abdelbaki, Es Satty, und ein Kommandomitglied getötet. Er soll den jungen Leuten, die eigentlich gut in Ripoll integriert waren, das "Gehirn gewaschen" haben.
Die "Mutter des Teufels"
In dem besetzten Haus in Alcanar hatten die radikalen Islamisten insgesamt 120 Gasflaschen gehortet, um sie mit dem selbst hergestellten Acetonperoxid (TATP) zu füllen. Bis zu 500 Kilogramm des beim sogenannten "Islamischen Staat" (IS) beliebtesten Sprengstoffs, der vom IS die "Mutter des Teufels" genannt wird, wollten sie herstellen.
Er reagiert auf Reibung, Erschütterung oder Hitze sehr sensibel. Der unvorsichtige Umgang mit dem Material, wie er auf selbstgemachten Aufnahmen der Terroristen zu sehen ist, hat vermutlich zu der Explosion geführt und deutlich Schlimmeres verhindert.
Ausgespäht hatten die Terroristen neben dem Touristenziel "Sagrada Família" auch das Stadion des FC Barcelona, diverse katalanische Diskotheken, Schwulentreffs sowie den Eifelturm. Nach Paris wollten sie, "so Allah will", nach den Anschlägen in Katalonien gelangen. Geplant waren dort parallele Blutbäder, wie von den Terroristen aufgenommene Bilder und Handyvideos zeigen.
"Mit eurem Geld bereiten wir uns vor, um euch zu töten", sprechen sie in die Kamera. Den "Feinden Allahs" solle gelehrt werden "Blut zu weinen", erklären sie, während sie mit Sprengstoff herumwerkeln und auch Sprengstoffwesten basteln.
Die Umgebung des Eifelturms "für einen Anschlag" ausgespäht
Die Aufnahmen zeigen eben auch, dass Kommandomitglieder am 13. August 2017 die Umgebung des Eifelturms "für einen Anschlag" ausgespäht haben. Dass einige der Terroristen nach Paris gereist waren, war schnell bekannt geworden, weshalb auch Verbindungen zu möglichen Terroristen in Frankreich untersucht wird.
Der Audi A3, der in Cambrils von der katalanischen Polizei Mossos d'Escuadra gestoppt worden war, und dessen fünf Insassen dabei erschossen wurden, war wenige Tage vor den Vorgängen in Katalonien in Paris registriert worden. Das Fahrzeug wurde von einem Radar wegen überhöhter Geschwindigkeit geblitzt. Die französische Polizei hatte von einer eiligen Reise gesprochen. Eine Nacht hatten die Terroristen in der französischen Hauptstadt verbracht.
Ungereimtheiten und Lücken bei den Ermittlungen
In den Ermittlungen gibt es aber weiter viele Ungereimtheiten und Lücken. So fragen sich viele Beobachter, warum zum Beispiel Sprengstoffexperten in Alcanar erst mit zehnstündiger Verspätung eintrafen, was die Ermittlungen und Fahndung nach den Zellenmitgliedern verzögert hat.
Zunächst war man von einer Gasexplosion ausgegangen. Die Tedax-Experten hätten aber schnell festgestellt, dass man es mit einer Bombenfabrik zu tun hatte. Die Fahndung nach den übrigen Terroristen hätte schneller anlaufen können.
Vor allem gibt aber die Rolle des Terrorchefs besonders viele Rätsel auf. Schnell wurde bekannt, dass es "Kontakte" zwischen dem Imam und dem Geheimdienst gab. Das hatte der CNI sogar schnell eingeräumt. Allerdings weist der Sprecher der Staatsanwaltschaft am Nationalen Gerichtshof nun wachsweich zurück, dass Es Satty ein Spitzel war.
Es gäbe in Bezug auf die "Verbindung des Imam mit dem CNI in den Ermittlungen keine Hinweise darauf", sagte Miguel Ángel Carballo. "Wir haben kein Element gefunden, in der Untersuchung dieser Frage helfen würde."
Die Frage ist, ob und wie stark überhaupt danach gesucht wurde und wird. Zudem ist nun auch noch bekannt geworden, dass Es Satty nicht nur Kontakt zum Geheimdienst hatte. Als der Imam eine Gefängnisstrafe bis 2014 wegen Drogenhandel absaß, erhielt er im Knast auch noch Besuche von Beamten der paramilitärischen Guardia Civil, hatte erst kürzlich die große Tageszeitung El País veröffentlicht.
Vermutet wird, dass diese Kontakte zu spanischen Sicherheitskräften auch zu seiner frühzeitigen Entlassung führten und auch seine Abschiebung nach Marokko verhindert haben, wie sie im Urteil nach Strafverbüßung festgelegt worden war.
Die Aufklärung dieser Zusammenhänge ist offenbar in Madrid unerwünscht. Der von katalanischen Parteien im spanischen Parlament geforderte Untersuchungsausschuss wurde mit den Stimmen der bis Juni regierenden Volkspartei (PP) und der nun regierenden Sozialdemokraten (PSOE) sowie der rechten Ciudadanos (Bürger) verhindert.
Konflikte zwischen spanischen und katalanischen Ermittlern
Die katalanischen Parteien wollte unter anderem die "Fehler in der Kommunikationskette und der Koordination der Polizeikräfte" untersuchen. Sie wollten wissen, unter welcher Kontrolle der Imam stand und wie damit umgegangen wurde.
Ein Problem war auch, dass die katalanische Polizei keinen Zugang zu Daten der spanischen Sicherheitskräfte hatte und auch die Vorstrafe des Imams nicht kannte, womit schnelle Ermittlungen weiter behindert wurden.
Dass Es Satty ein alter Bekannter spanischer Sicherheitskräfte war, blieb den Mossos deshalb im Vorfeld genauso verborgen, wie die Tatsache, dass er sich seit vielen Jahren in Spanien im radikalislamistischen Umfeld bewegt hat, auch im Umfeld einer anderen Terrorzelle, die aufgedeckt worden war.
Spannungen bei den Gedenkfeiern
Die Gedenkfeiern heute werden vom Konflikt über die Unabhängigkeitsbestrebungen Kataloniens von Spanien überschattet. So nehmen diverse Parteien und zivilgesellschaftlichen Organisationen am offiziellen Gedenken nicht teil, da mit König Felipe auch der spanische Staatschef anwesend ist.
Der ist auch Militärchef, zu der auch die Guardia Civil gehört, die in Kontakt mit dem Terrorchef stand. Ihm wird auch vorgeworfen, dass er im vergangenen Herbst mit einer Brandrede den Konflikt zuspitzte, statt die Vermittlerrolle einzunehmen, die ihm die Verfassung zuschreibt.
Die Unabhängigkeitsbewegung will aber heute aus Respekt vor den Opfern nicht gegen den Monarchen protestieren, um das Gedenken nicht zu beeinträchtigen. Befürchtet wird aber, dass Unionisten die Gelegenheit nutzen.
Sie mobilisieren ihrerseits zu einer eigenen Aktion und einer Großkundgebung am Gefängnis Lledoners, wo unter anderem der ehemalige katalanische Innenminister Joaquim Forn und andere Mitglieder der Regierung von Carles Puigdemont inhaftiert sind.
Auch Forn wirft die spanische Justiz wegen des Unabhängigkeitsreferendums eine angebliche "Rebellion" vor, welche unabhängige Richter in Deutschland nicht sehen können. Forn war maßgeblich mit dem ebenfalls geschassten Chef der Mossos, Josep Lluís Trapero, daran beteiligt, dass das Kommando schnell ausgehoben werden konnte. Auch Trapero ist angeklagt, allerdings bisher nur wegen Aufruhr, wofür allerdings auch bis zu 15 Jahre Haft drohen.
Am Gefängnis von Lledoners wird auch der derzeitige katalanische Regierungschef Quim Torra eintreffen. Er hat deutlich gemacht, dass seine Regierung den König nicht eingeladen hat, ihn auch nicht willkommen heißt, dass aber an der Gedenkfeier als Präsident "zu Hause" teilnehmen wird.
Felipe "ist nicht mehr der König der Katalanen" hatte Torra kürzlich erklärt und eine Entschuldigung für seine Brandrede vor einem Jahr verlangt.