Märchen und Schuldzuweisungen zu Anschlägen in Katalonien
Die Attentäter hatten mehrere große Bombenanschläge geplant, ihr mutmaßlicher Kopf ist ein alter Bekannter der Sicherheitskräfte
Auch Zufall und Unfähigkeit haben dazu geführt, dass in Katalonien ein Massaker nach dem Vorbild der islamistischen Anschläge im März 2004 verhindert worden ist, bei dem 191 Menschen in der Hauptstadt Madrid ermordet wurden. Dass sich ein Teil der Attentäter in Alcanar in der Nacht vor den mörderischen Vorgängen in Barcelona und Cambrils in die Luft gejagt haben, als sie mit Sprengstoff zum Bombenbau hantierten, hat wohl das Schlimmste in Barcelona verhindert. Die Ermittler haben in den Trümmern mehr als 120 Gasflaschen gefunden, mit denen die Sprengwirkung von Bomben vervielfacht werden sollte.
Sie gehen davon aus, dass die islamistischen Terroristen "einen oder mehrere Bombenanschläge in Barcelona geplant hatten", sagte der Chef der katalanischen Polizei Josep Lluís Trapero auf einer Pressekonferenz am Sonntagmittag. Das hatte sich längst über die Tatsache aufgedrängt, dass der 17-jährige Moussa Oukabir Soprano, der schließlich in Cambrils erschossen wurde, zwei Lieferwagen angemietet hatte. Einer davon blieb unbenutzt und wurde nach der mörderischen Fahrt im Zentrum von Barcelona unbenutzt gefunden.
Es dürfte sich kaum um nur eine Bombe drehen, denn 120 Gasflaschen passen nicht in einen der Lieferwagen. Vermutlich sollte er - oder beide - auch als Auto-Bomben im Rahmen einer Aktion eingesetzt werden, um eine sehr hohe Opferzahl zu erreichen und die von Madrid möglichst noch zu überbieten. Da schnell ein Zusammenhang zwischen den Anschlägen in Barcelona, Cambrils und dem Haus im südkatalanischen Alcanar hergestellt werden konnte, ist nun für die Mossos d'Esquadra auch klar, dass die Anschläge "unmittelbar" bevorstanden. Die Explosion in Alcanar ließ aber die Islamisten zu einem Plan B greifen. Ihnen war klar, dass sie über kurz oder lang nach den Vorkommnissen in Alcanar enttarnt werden würden.
Die fünf in Cambrils erschossenen Terroristen hatten eigentlich ein Massaker mit Messerattacken in dem Tourismusort am Mittelmeer geplant. Das hat die katalanische Polizei allerdings durch ein entschlossenes Eingreifen weitgehend verhindert. Eine Frau fiel ihnen aber doch noch zum Opfer. Deshalb seien sie zu fünft in nur einem Auto unterwegs gewesen. Sie sollen nicht geplant haben, wie in Barcelona viele Menschen zu überfahren. Das hätten sie erst versucht, nachdem sie schon entdeckt waren.
Es wird noch immer nach drei Attentätern gesucht. Allerdings schließt der Chef der Mossos nicht aus, dass zwei davon bei der Explosion in Alcanar ums Leben gekommen sein könnten. Denn dort war bisher nur eine Leiche und ein Verletzter geborgen worden. Inzwischen wurden aber Überreste von drei Personen in den Trümmern des Hauses gefunden. "Von den drei Personen, nach denen noch gefahndet wird, waren zwei mit fast vollständiger Sicherheit in Alcanar", hat Trapero erklärt.
Streit um Unabhängigkeit Kataloniens beeinträchtigte Antiterrorismus-Bekämpfung
Er wies auch Vorwürfe aus Madrid zurück, die nun immer stärker gegen die Regionalpolizei, die Regionalregierung und die Bürgermeisterin Barcelonas erhoben werden. "Unser Gewissen ist rein", fügte er im Hinblick darauf an, keinen blassen Schimmer von den Vorbereitungen der Terroristen gehabt zu haben. Bekannt wurde aber derweil, dass der Streit zwischen Katalonien und Spanien über die Durchführung eines Referendums über die Unabhängigkeit am 1. Oktober auch von spanischer Seite die Antiterrorismus-Bekämpfung beeinträchtigt hat, weil Madrid die Abstimmung mit allen Mitteln verhindern will.
So berichten Medien darüber, dass es zwar immer schon Spannungen zwischen der Regionalpolizei und den spanischen Sicherheitskräften gab, doch die hätten sich mit der politischen Zuspitzung noch deutlich verstärkt. Die Regionalregierung hatte die Zentralregierung von Mariano Rajoy schon vor Wochen kritisiert. Die Mossos erhielten zum Beispiel keinen Zugang zu wichtigen Daten und Ressourcen des Zentrums zur Bekämpfung von Terror und organisierter Kriminalität (CITCO). Und auch die Verstärkung der katalanischen Polizei wurde verhindert. Der Parlamentarier der linksnationalen ERC Gabriel Rufián hatte wegen "Niederträchtigkeit und Unverantwortlichkeit" schon den Rücktritt von Innenminister Juan Ignacio Zoido gefordert.
Es war genau dieser Innenminister, der nach dem Anschlag auf den Weihnachtsmarkt in Berlin behauptet hatte: "Was in Berlin passiert ist, kann hier nicht geschehen." Er führte als Begründung dafür an, dass die Polizeikoordination in Spanien "extrem" sei. Er lag damit, wie unzweifelhaft bewiesen ist, mehr als daneben und wusste, dass das gelogen war. Und es ist jetzt dieser Innenminister, der sich nicht nur in die Ermittlungen in Katalonien einmischt, sondern auch noch den Katalanen eine Teilschuld zuschreibt. Dabei haben seine Geheimdienste und Polizeieinheiten versagt, die für Terrorismus zuständig sind. Die haben die Radikalisierung nicht gesehen oder wollten sie nicht sehen, obwohl die Terroristen ihre Mordlust zum Teil sogar offen zur Schau gestellt hatten.
Und es ist dieser Zoido, der meinte, solche Anschläge werde es in Spanien nicht geben, der nun der linken Bürgermeisterin in Barcelona vorwerfen lässt, "Ratschläge der Polizei" missachtet zu haben, Zonen mit besonderem Publikumsverkehr mit Pollern oder Blumenkübeln zu sichern. Es ist die rechte Zeitung El Mundo, die dies mit Blick auf ein Rundschreiben der Polizei in die Debatte warf, die über sehr gute Kontakte ins Innenministerium verfügt. Dieses Schreiben vom Dezember nach dem Anschlag in Berlin, steht im krassen Gegensatz zu den Aussagen des Innenministers im Januar.
Der stellvertretende Bürgermeister Barcelonas wies die Vorwürfe zurück. Gerardo Pisarello hat per Twitter erklärt, dass die "Antiterrormaßnahmen von den Verantwortlichen im Innenministerium bestimmt werden" und man sich stets an die Vorgaben gehalten habe. Man habe sich "nie geweigert", Poller oder Blumenkübel aufzustellen. "Wenn etwas gefordert wurde, wurde es gemacht", fügte Pisarello an.
Auch die Mossos haben sich schon darüber beschwert, dass sich der Innenminister in die Vorgänge einmischt. Der hat nun sogar schon behauptet, dass man die gesamte Terrorzelle zerschlagen habe. Das aber dementieren die Mossos, die noch nach drei Mitgliedern fahnden. Man habe vom Nationalen Gerichtshof in Madrid den Auftrag zur Ermittlung erhalten, die ersten Informationen zu den Anschlägen geben. "Wir werden es sein, die die Ergebnisse verkünden, wenn wir davon ausgehen, dass die Zelle vollständig ausgehoben ist", erklärt Polizeisprecher Albert Oliva angesichts der Versuche des spanischen Innenministers, sich in den Vordergrund zu spielen, um sein Versagen zu überdecken.
Medienmärchen zur Unterstützung der konservativen Regierung in Madrid
Neben den Schuldzuweisungen aus Madrid, strickt man - ebenfalls über El Mundo - nun sogar an Märchen. Die Zeitung behauptete am Sonntag allen Ernstes, der Imam aus Ripoll habe in nur zwei Monaten die jungen Leute radikalisiert. Aus der Kleinstadt in der nordkatalanischen Provinz Girona kamen viele der identifizierten Attentäter. Gefahndet wird auch noch nach Abdelbaki Es Satty. Allerdings gehen die Mossos nun eher davon aus, dass er unter den drei Toten sein dürfte, die sich beim Bombenbau im südkatalanischen Alcanar in die Luft gesprengt haben. Der radikale Salafist soll der Kopf der Zelle gewesen sein, wird nun vermutet.
Die katalanischen Mossos vermuten, dass die Anschläge schon seit sechs Monaten in dem besetzten Haus vorbereitet wurden. Ohnehin hatte sich der Imam schon im Juni aus Ripoll abgesetzt, angeblich wollte er in seine marokkanische Heimat reisen. Tatsächlich dürfte er im Haus in Alcanar die Anschläge vorbereitet haben. So hat sich die Darstellung der rechten El Mundo als Märchen entlarvt, mit der sie versucht, die spanischen Sicherheitskräfte und das Innenministerium zu entlasten, die für den Kampf gegen den Terrorismus zuständig sind. Man tut so, als hätten diese angesichts dieser kurzen Zeit der Radikalisierung keine Zeit gehabt, die Zelle und ihre Pläne aufzudecken.
Und wäre diese Version von El Mundo nicht längst unglaubwürdig, wurde sie schon vor der Veröffentlichung des absurden Artikels ins Märchenreich verbannt. Schließlich war schon die Tatsache bekannt, dass der 17-jährige Mieter der beiden Lieferwagen vor zwei Jahren auf einer öffentlichen Plattform im Internet seine Mordlust verbreitet hat. Moussa Oukabir Soprano hatte dazu aufgerufen, man solle "alle Ungläubige töten, um nur Moslems übrig zu lassen, die der Religion folgen". Das passt wahrlich nicht zur Legende einer Radikalisierung innerhalb von zwei Monaten, in denen sich Abdelbaki Es Satty nicht einmal in Ripoll aufgehalten hat.
Ebenso wenig glaubwürdig sind aber die Aussagen aller Angehörigen und des Umfelds der Attentäter, die von deren Radikalisierung in der Kleinstadt nichts mitbekommen haben wollen. Behauptet wird auch, die jungen Terroristen seien gut integriert gewesen.
Der Imam ist jedenfalls ein alter Bekannter und hat schon Knasterfahrung. Verurteilt wurde er allerdings wegen Drogenhandel, was ebenfalls nicht unüblich bei radikalen Islamisten ist. Mehrfach im Monat sei der Marokkaner in seine Heimat gereist. Der 45-Jährige beendete seine Haftstrafe Anfang 2012 und kam dann vor gut zwei Jahren in die Kleinstadt Ripoll. Das passt viel eher mit dem Zeitpunkt der Radikalisierung zusammen, wie sie Moussa Oukabir Soprano damals schon offen gezeigt hatte. Doch schon vor der Haft bewegte er sich seit vielen Jahren in radikalen Islamistenkreisen. Mindestens seit 14 Jahren ist das den spanischen Ermittlern bekannt.
Er hatte sogar direkten Kontakt mit einem derer, die für das Massaker in Madrid 2004 verurteilt wurden. Der spätere Imam von Ripoll hat im Knast von Castellón - unweit von Alcanar - mit Rachid Aglif gesessen und beide schlossen hinter Gittern Freundschaft. Aglif gehört zu denen, die in einem zweifelhaften Urteil zu lächerlichen 18 Jahren wegen des Anschlags in Madrid verknackt wurden. Real wurde damals im Verfahren kaum etwas geklärt. Weder wurden die Hintermänner aufgedeckt, noch die Verbindungen der verschiedenen Sicherheitskräfte und ihrer Spitzel, die sogar den Sprengstoff unter dauernder Überwachung der Polizei und Geheimdienste an die Islamisten geliefert hatten, ohne jemals einzugreifen.
Im Fall des Imam kommt es sogar noch besser. Der Marokkaner lebte schon 2003 mit Islamisten zusammen, die auch im Zusammenhang eines Anschlags von Al-Qaida im selben Jahr in Casablanca und im Irak in Verbindung standen (Die Spur führt nach Tanger). Dann tauchte er 2006 wieder im Rahmen einer ausgehobenen Islamistenzelle auf, die Kämpfer für den Irak angeworben hatte. Er wurde dafür allerdings 2011 freigesprochen.
Und nun soll der islamistische Drogenhändler, der zwischenzeitlich zum Imam mutierte und seit vielen Jahren den Sicherheitskräften als Islamist bekannt ist, in einem Land, in dem es von Geheimdiensten wimmelt, ohne jegliche Überwachung zum Kopf einer Terrorzelle geworden sein? Es gibt eigentlich dann nur zwei plausible Möglichkeiten. Entweder die spanischen Sicherheitskräfte haben völlig versagt oder sie wussten, wie im Vorfeld der Anschläge von Madrid, sehr viel mehr über die Vorbereitungen in Katalonien, als sie nun einräumen. Haben sie auch deshalb versucht, die Mossos völlig von den Informationen fernzuhalten?
Aufklärung ist nötig, sicher kommen die nächsten Wochen und Monate viele Details ans Tageslicht. Egal wie es sich aber verhält, der Innenminister müsste sofort die politische Verantwortung übernehmen und seinen Hut nehmen, statt zu versuchen, die Schuld auf andere abzuwälzen. Wichtig wird es derweil aber auch noch sein, die europäischen Verbindungen aufzudecken. Die Mossos untersuchen derzeit Reisen von einigen Mitgliedern der Zelle nach Zentraleuropa. So gab es Reisen in die Schweiz und der Imam war auch in Belgien. Geprüft wird nun, mit wem sie dort Kontakt hatten. Die Angaben von den vier Verhafteten würden ausgewertet. Sie hätten "interessante Angaben" gemacht, erklärte der Chef der Mossos.