Hisbolla will die internationale politische Bühne betreten

Auf einer großen Demonstration in Beirut warnte Hisbollah-Chef Nasrallah die USA vor der Zerstörung schiitischer Heiligtümer im Irak

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Nach dem Freitagsgebet demonstrierten in Teheran rund 300 Menschen vor der Britischen Botschaft, in Bahrain gingen 5.000 Schiiten auf die Straße, in Jordanien waren es etwa 1.000 Demonstranten. Der größte Protestmarsch gegen die Irak-Politik der USA und das Vorgehen des israelischen Militärs in Gaza fand jedoch in Beirut statt. Rund 400.000 Menschen waren dem Aufruf Hassan Nasrallahs, dem Generalsekretär der libanesischen Hisbollah, gefolgt, um ein "symbolisches Zeichen" zu setzen.

Es war wie üblich eine wohl inszenierte Propagandashow. Ein Meer von Fahnen, Postern, Bannern und Musikkapellen. Höhepunkt war eine wie üblich viel umjubelte Rede von Hassan Nasrallah, in deren Anschluss man eine etwas entfremdete amerikanische Nationalhymne spielte. Maschinengewehrfeuer dröhnte als Untermalung aus den Lautsprechern, dazu wurde ein riesiges US-Sternenbanner gehisst, das einen in Abu Ghraib gefolterten irakischen Gefangenen mit Kapuze und Elektrodrähten zeigte.

Die Hisbollah hatte sich bei der Organisation des Spektakels besonders Mühe gegeben. Bereits Tage zu vor war im eigenen TV-Sender Al Manar eine Anzeigenkampagne gelaufen, die aus Mel Gibsons "Passion of Christ" eine "Passion of Iraqi und Palestinian People" machte. Auch hatte Hassan Nasrallah höchstpersönlich zu dieser Demonstration aufgerufen.

Die ansonsten strikt national orientierte "Widerstandsbewegung des Libanon" mischt sich nun in das ein, was man gemeinhin "Weltpolitik" nennt. In einer emotionalen Rede formulierte Nasrallah zum ersten Mal eine "internationalistische Komponente". Er forderte die USA auf, die heiligen Städte Karbala und Nadschaf sofort zu verlassen. "Normalerweise entscheiden die Iraker ganz alleine, wann, wie und wo sie für die Befreiung ihres Landes kämpfen wollen", verkündete er der begeisterten Menge, "aber, wenn es um Karbala und Nadschaf, um die Ruhestätten von Imam Ali bin Abi Taleb und seinen Sohn Imam Hussein geht, sind wir unmittelbar betroffen. Die Besatzungsmacht wird für jede Aggression gegen die heiligen schiitischen Stätten bezahlen."

Letzte Woche war die Imam Ali Moschee in Nadschaf bei den Kämpfen zwischen US-Soldaten und den Milizen von Moqtar al-Sadr zum ersten Mal beschädigt worden. Dort liegt Prophet Mohammeds Cousin und Schwiegersohn begraben. In Karbala steht der Schrein von Imam Hussein, dem Sohn von Imam Ali. Beide gelten als die wichtigsten heiligen Stätten der Schiiten.

Imam Hussein hatte sich, so die Legende, vor 1300 Jahren in Karbala für die schiitische Sache in einem aussichtslosen Kampf als "Märtyrer" für die Freiheit und gegen Unterdrückung sein Leben geopfert. Jedes Jahr wird am Ashoura-Tag dieser Schlacht mit Büßerprozessionen gedacht (Blutiges Spektakel in Erinnerung an den vorbildlichen Opfertod). Ein Kult, der besonders im Iran von Ayatollah Khomeini revitalisiert und propagandistisch ausgeschlachtet worden war. Der Tod von Imam Hussein wiegt wie eine Erbschuld auf der schiitischen Seele. Niemand seiner Glaubensbrüder war ihm damals zu Hilfe gekommen und er starb einen sicheren Tod. Jetzt gilt es für jeden Schiiten als selbstverständlichste und oberste Pflicht, jederzeit für eine gute Sache in den Tod zu gehen, insbesondere natürlich zur Verteidigung der heiligen Stätten.

Ein Großteil der Demonstranten in Beirut war in weiße Büßer- oder Märtyrerhemden gekleidet, die die Bereitschaft zu sterben signalisieren sollten. In der ganzen libanesischen Hauptstadt waren keine weißen Hemden mehr zu bekommen. "Heute marschieren wir noch symbolisch in "Märtyrergewändern", erklärte Generalsekretär Nasrallah. "Aber das nächste Mal, wenn uns unsere unterdrückten Brüder um Hilfe bitten, dann kommen wir in Märtyrergewändern und mit Waffen."

Israel hat in den letzten Jahren bereits gemerkt, dass mit der schiitischen Hisbollah nicht zu spaßen ist. Auch die Amerikaner im Irak halten sich relativ gemäßigt im Kampf gegen die Schiiten. Ob sie sich allerdings der ganzen Gefahr ihres Einsatzes in Karbala und Najaf bewusst sind, steht eher zu bezweifeln. Vermutlich zu Recht sagte Nasrallah in seiner Rede::

Die Amerikaner nicht verstehen, was es heißt, dem Weg des Märtyrers Hussein zu folgen. Wir werden unsere religiöse Pflicht nicht aufgeben. Sollte dies auch Kampf bedeuten, dann werden wir das ohne Zögern und ohne Rücksicht auf Opfer tun. Die Amerikaner müssen verstehen, dass all die Menschen, die heute die Märtyrergewänder tragen, Kleriker, Frauen, Männer, Kinder, Heranwachsende, nicht gekommen sind, um anzugeben.

Das ist nicht nur eine der vielen Drohungen, die die Hisbollah in der Vergangenheit gegen Israel gemacht haben und es dabei auch nicht an Substanz vermissen ließen. Die Aussagen Nasrallahs am Freitag in Beirut gehen noch einen Schritt weiter. Man könnte sie als eine Art Kriegserklärung auffassen. Strategisch liegt das ganz auf der Linie der libanesischen Schiitenorganisation. Man definiert eine Grenze, die nicht überschritten werden darf. Sollte sie verletzt werden, trägt der Feind die volle Verantwortung. Man hat ja gewarnt.

Nach den Folterungen und den zahlreichen Toten unter der irakischen Zivilbevölkerung fühlt sich die Hisbollah im moralischen Aufwind und versucht mit den ihr zur Verfügung stehenden Mitteln, den Druck auf die USA zu verstärken. Hinzu kommt das blutige Vorgehen des israelischen Militärs in Rafah, das ausnahmsweise auch vom UN-Sicherheitsrat verurteilt wurde.

Die Israelis begehen die selben Grausamkeiten gegen unschuldige Frauen und Kinder in Rafah, mit der gleichen Brutalität, wie die amerikanischen Truppen ihre Verbrechen im Irak begehen.

Nasrallah

Der Kampf wird nicht geteilt, denn "die Feinde haben die gleiche Doktrin, benutzen dieselben Praktiken und Waffen. Wir müssen sie zusammen als einen Block bekämpfen." Aus Hunderttausenden von Kehlen tönte es dann: "Tod für Amerika! Tod für Israel! Oh, Hussein wir kommen! Oh, Hussein wir kommen!" Gleichzeitig schlug man sich, wie bei den Büßerprozessionen an Ashoura, mehrfach mit der Faust auf die Brust.

Man kann nur spekulieren, was die Hisbollah unternehmen wird, falls tatsächlich die heiligen Stätten in Karbala und Najaf beschädigt werden sollten. Ein Marsch von Tausenden von Schiiten in den Irak? Wird man eigne Soldaten schicken oder internationale Brigaden aufstellen? Oder war die freitägliche Demonstration nur eine wieder eine hohle Propagandashow? Letzteres steht zu bezweifeln, wie auch eine Studie des Jaffee Zentrums von der Universität Tel Aviv vermuten lässt:

Die Hisbollah hat sich zu einem wichtigen Abschreckungsfaktor Israels entwickelt, zu einem "regional player", dessen Reaktionen auf regionale Entwicklungen berücksichtigt werden müssen.