Hisbollah und Israel: Der große Verlierer eines Krieges wäre der Libanon

Seite 2: Wirtschaft: Negativprognose für Libanon

Rosenberg beschreibt damit die Entwicklung kurz vor dem 7. Oktober vergangenen Jahres, dem Tag also, an dem die Hamas vom Gazastreifen aus Israel angriff und damit auch den Libanon in den Konflikt hineinzog.

Nach Einschätzung der Weltbank wird die Wirtschaft nun wohl um 0,6 bis 0,9 Prozent schrumpfen. Sollte es zu einem Krieg zwischen Israel und der Hisbollah kommen, würde das Jahr 2024 noch schlechter ausfallen.

Was den Libanon bisher vor der Katastrophe bewahrt hat, ist neben der Zeit ein großzügiger Dollarzufluss aus dem einzigen florierenden Exportgut des Landes, den Menschen. Die wiederholten Kriege des Landes und die endemische Korruption haben eine massive Diaspora hervorgebracht, die vielleicht 14 Millionen Menschen umfasst, mehr als doppelt so viele wie die Bevölkerung im Land. Diese Diaspora hat den Libanon auf zweierlei Weise vor dem Abgrund bewahrt.

David Rosenberg

Der erste Weg seien Überweisungen von Auslandslibanesen. Die Weltbank schätzt, dass sich diese Überweisungen im Jahr 2023 auf 6,4 Milliarden US-Dollar belaufen werden, was erstaunlichen 23,4 Prozent des libanesischen BIP entspricht.

"Das ist die offizielle Zahl, die tatsächliche dürfte weit höher liegen, denn im Libanon fließt viel Geld über den Schwarzmarkt", so die Einschätzung des israelischen Journalisten.

Auslandslibanesen halten Land am Laufen

In einem Land, in dem die Währung fast nichts mehr wert sei, Bankguthaben unerreichbar seien und die Inflation dreistellige Zahlen erreiche, seien diese Dollar das, was die Familien wirtschaftlich am Leben hält. Tatsächlich ist der US-Dollar zu der Währung geworden, mit der normale Menschen und Unternehmen ihre Geschäfte abwickeln.

Krieg hin oder her, die Überweisungen werden wahrscheinlich weiterfließen, auch wenn ein Zusammenbruch der Bankeninfrastruktur oder weitere US-Sanktionen sie verlangsamen könnten. Aber der Tourismus, die zweite Quelle von US-Dollar und eine wichtige Quelle von Arbeitsplätzen, steht zur Disposition.

Seit dem 7. Oktober vergangenen Jahres stornierten Besucher massenhaft ihre Buchungen und viele Fluggesellschaften haben ihre Flüge nach Beirut eingestellt.

Tourismus eingebrochen

Der Tourismus aber ist die libanesische Wirtschaft von entscheidender Bedeutung, schreibt Rosenberg: Laut S&P Global stellt er rund 20 Prozent der Arbeitsplätze und fast 26 Prozent der Leistungsbilanzeinnahmen.

Die Ratingagentur Standard and Poor's schätzt, dass ein Rückgang der Besucherzahlen um zehn Prozent die libanesische Wirtschaft 3,3 Prozent des BIP kosten würde, ein Rückgang um 70 Prozent sogar 22,9 Prozent.

Im Jahr 2006 florierte die libanesische Wirtschaft, das Land verfügte über eine funktionierende Regierung und ein funktionierendes Bankensystem. Heute gebe es nichts mehr davon, so Rosenberg, der die Verantwortung der politischen Führung zuschiebt.

Die Golfstaaten haben ihre finanzielle Unterstützung längst eingestellt. Lediglich der Iran leistet Hilfe, die jedoch ausschließlich an die Hisbollah geht. Ein Kredit des Internationalen Währungsfonds in Höhe von drei Milliarden US-Dollar liegt seit fast zwei Jahren auf Eis, weil der Libanon die dafür notwendigen Wirtschaftsreformen nicht umgesetzt hat.

David Rosenberg

Ein neuer Krieg könnte nicht nur der Wirtschaft enormen Schaden zufügen. Es wären später weder die finanziellen Mittel noch die institutionellen Kapazitäten vorhanden, um das Land wieder aufzubauen.

Das Bedauerliche für den Libanon sei, dass nicht nur das libanesische Volk keinen Einfluss darauf hat, ob es Krieg gibt oder nicht, sondern auch seine Führung nicht.

Tatsächlich sei die libanesische Führung bestrebt, einen Krieg zu vermeiden. "Niemand hat ein Interesse daran, ein Risiko einzugehen und die Front im Südlibanon zu öffnen, denn das libanesische Volk kann nicht noch mehr Lasten tragen", zitiert Rosenberg Premierminister Najib Mikati.

"Doch die Männer mit den Waffen fragen nicht danach. Alles liegt in den Händen der Hisbollah und des Iran. Und wirtschaftliche Überlegungen scheinen auf ihrer Prioritätenliste nicht weit oben zu stehen", so die Analyse in Haaretz.