Historiker streiten: Ist Trump wirklich ein Faschist?

Donald Trump im Wahlkampf auf der Bühne. Ist er ein Faschist?

(Bild: Jonah Elkowitz / Shutterstock.com )

Seit Jahren debattieren Experten, ob Trump als Faschist einzustufen ist. Doch eine Frage bleibt: Würde Trump an der Macht auch wie ein Faschist handeln? Gastbeitrag.

General John Kelly, Donald Trumps dienstältester Stabschef, äußerte diese Woche öffentlich die Befürchtung, dass der ehemalige Präsident die Definition eines Faschisten erfülle. In einem Interview mit der New York Times sagte Kelly, Trump würde "wie ein Diktator regieren, wenn man ihn ließe". Wenige Tage später pflichtete ihm Vizepräsidentin Kamala Harris in einem Interview bei.

Trump antwortete in gewohnter Manier. Auf Truth Social nannte er Kelly einen "Degenerierten, der eine Geschichte aus purem Hass auf das Trump-Syndrom erfunden hat". Er postete auch auf X und beschuldigte Harris fälschlicherweise, "mich Adolf Hitler zu nennen und was ihr sonst noch einfällt". Tatsächlich hatte Harris ihn nicht "Hitler" genannt. Lustigerweise war es sein eigener Mitstreiter, J.D. Vance, der ihn einmal in einer privaten SMS "Amerikas Hitler" nannte.

Kelly gab auch eine überraschend strenge Definition des Faschismus, ein Begriff, der bekanntermaßen sowohl als politisches Konzept als auch als politische Beleidigung flexibel ist. Er beschrieb ihn als "eine rechtsextreme, autoritäre, ultranationalistische politische Ideologie und Bewegung, die durch einen diktatorischen Führer, zentralisierte Autokratie, Militarismus, gewaltsame Unterdrückung der Opposition und den Glauben an eine natürliche soziale Hierarchie gekennzeichnet ist".

Diese Definition kommt den allgemein anerkannten historischen Definitionen der politischen Strömung, die mit der Gründung der faschistischen Bewegung in Italien 1919 entstand und sich in der Zwischenkriegszeit in Europa ausbreitete, bemerkenswert nahe. Federico Finchelstein, Professor für Geschichte an der New School for Social Research, fasst sie zusammen als "eine politische Ideologie, die Totalitarismus, Staatsterrorismus, Imperialismus, Rassismus und, im Falle Deutschlands, den Holocaust umfasste".

Historiker über den Faschismus

Seit seinem ersten Präsidentschaftswahlkampf und seiner Wahl am 9. November 2016 debattieren Historiker darüber, ob dieser Begriff auf Trump zutrifft. Die Geschichtsprofessorin Isabel Hull von der Cornell University sagte bereits 2015 in einem Interview mit einem Journalisten von Vice, Trump sei "nicht prinzipientreu genug, um ein Faschist zu sein". Sie beschrieb ihn stattdessen als "nativistischen Populisten".

Finchelstein hat ein ganzes Buch geschrieben, um den Unterschied zwischen dem historischen Faschismus und dem zeitgenössischen Populismus zu erklären. Obwohl sie viele Merkmale gemeinsam haben, argumentierte er, dass der Faschismus eine Form der Diktatur sei, während der Populismus innerhalb der Grenzen der Demokratie funktioniere.

Populismus könne jedoch in Faschismus umschlagen, wenn er Praktiken anwende, die darauf abzielten, innere Feinde zu identifizieren und zu verfolgen. Timothy Snyder, Professor für Geschichte und globale Angelegenheiten an der Yale University, hat wiederholt erklärt, dass Trump tatsächlich ein Faschist sei, und kürzlich in Vanity Fair geschrieben, dass sich die Amerikaner vielleicht stillschweigend an die "Banalität" der Tyrannei gewöhnen werden.

Finchelsteins eigene Vision entwickelte sich nach dem 6. Januar 2021, als Trump seine Anhänger anscheinend dazu aufrief, das US-Kapitol anzugreifen, um eine friedliche Machtübergabe an Joe Biden zu verhindern. Als Reaktion darauf schrieb Finchelstein einen Gastkommentar in der Washington Post, in dem er argumentierte, dass Trump dem populistischen Lager entwachsen sei und nun das faschistische Mäntelchen als endgültige Bedrohung für die Demokratie angenommen habe.

Und Finchelstein war nicht der Einzige, der den 6. Januar als unwiderruflichen Wendepunkt ansah. Auch Robert Paxton, emeritierter Mellon-Professor für Sozialwissenschaften an der Columbia University, änderte seine Meinung und schrieb, dass "das [faschistische] Etikett jetzt nicht nur akzeptabel, sondern notwendig zu sein scheint".

Andere sind bisher nicht überzeugt. Richard Evans, emeritierter Professor an der Universität Cambridge, geht davon aus, dass Trump kein Faschist ist, und argumentiert im New Statesman, dass "der 6. Januar kein Staatsstreich war" und "der Angriff auf den Kongress kein geplanter Versuch war, die Regierungsgewalt zu übernehmen".

Laut Evans zeigt Trump nicht den klassischen faschistischen Hunger nach Eroberung und expansionistischer Gewalt, und es ist politisch unklug, dass seine Gegner sich auf eine Kategorie aus der Vergangenheit fixieren, anstatt seine Politik als neues Phänomen zu analysieren.

Ruth Ben-Ghiat, Professorin für Geschichte und Italianistik an der New York University, ist in dieser Frage geteilter Meinung. In einem Essay schrieb sie, dass "das Etikett Faschismus in gewisser Weise zu kurz greift, um Trump zu beschreiben", da er "sowohl kommunistische Diktatoren als auch faschistische Führer lobt".

Ich glaube, dass Trump wie ein echter Faschist handeln würde, wenn er könnte. Die Frage ist, ob das amerikanische Volk ihn das tun lässt. In der Tat hat er im Rahmen seiner Macht faschistische Politikansätze umgesetzt.

Er hat versucht, eine demokratische Wahl zu kippen, er hat Richter für den Obersten Gerichtshof nominiert, um Roe v. Wade de facto aufzuheben und über die Körper von Frauen zu bestimmen. Er schuf zusätzliche Verfahrenshürden, um Einwanderer daran zu hindern, in Amerika Asyl zu beantragen, von denen einige an faschistische Rassengesetze erinnerten. Er drohte auch damit, das Militär und die Strafverfolgungsbehörden einzusetzen, um gegen politische Gegner vorzugehen.

Bisher musste er sich jedoch an die Grenzen des demokratischen Rechtsstaats halten. Wenn das amerikanische Volk ihn ein zweites Mal an die Macht wählt, gibt es keine Garantie, dass diese Grenzen eingehalten werden. Wenn sich der Faschismus wiederholt, wird es wieder eine Tragödie sein, keine Farce.

Benedetta Carnaghi ist Newton International Fellow der British Academy. Sie ist am Department of History der Durham University tätig.

Dieser Artikel wurde zuerst von The Conversation unter einer Creative-Commons-Lizenz veröffentlicht. Lesen Sie den Originalartikel. Übersetzer: Bernd Müller