Ukraine-Krieg: Deutschlands Wirtschaftsinteressen hinter den Werten

Händeschütteln zwischen Kanzler Scholz und dem ukrainischen Präsidenten Selenskij

Kanzler Scholz und der ukrainische Präsident Selenskij in Aachen, Mai 2023. Bild: Daina Le Lardic / © European Union 2023 – Quelle: EP

Milliardenhilfen für die Ukraine: Zwischen Solidarität und Eigennutz. Nach der CDU zementiert nun die Bertelsmann-Stiftung die Einsicht: Auch Deutschland geht es um Bodenschätze.

Staaten haben keine Freunde, nur Interessen. Dieses Bonmot der Realpolitik, das in abgewandelter Form mal Otto von Bismarck, mal Charles de Gaulle zugeschrieben wird und ursprünglich vom Premier des britischen Empire Lord Palmertson stammen soll, scheint auch Deutschlands Rolle im Ukraine-Krieg immer zutreffender zu beschreiben.

Während Finanzminister Christian Lindner (FDP) dem umkämpften Land im eurasischen "Heartland" unlängst eine erneute Milliardenunterstützung – wohlgemerkt: auf Pump – zugesichert hat, veröffentlicht das ZDF einen Artikel, dessen Titel unzweideutig ankündigt: "Warum die Wirtschaft von der Ukraine abhängt."

Der Artikel beschreibt – nach der Erklärung der Ukraine zum Interessengebiet Deutschlands durch die Unions-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung und den Einlassungen Roderich Kiesewetters (CDU) zum Lithium-Reichtum – die inzwischen mindestens dritte "Kränkung" eines vormals beinahe unerschütterlichen Weltbildes, das gerade zu Anfang der russischen Ukraine-Invasion der deutschen Öffentlichkeit aufgeprägt wurde.

Das nach den Abenteuern in Kosovo und Hindukusch bis heute unermüdlich wiederholte Mantra lautete bekanntlich, dass Deutschland in der Ukraine "die westlichen Werte" verteidige. Nun mag beides zutreffen. Aber den Rekurs auf das "niedere" Interesse an Bodenschätzen, die die doch so manche Analogie zu anderen Kriegen in der Geschichte zugelassen hätten, schien man doch tunlichst vermeiden zu wollen.

Das hat sich anscheinend geändert.

Rohstoffe für den "russischen Imperialismus"

In den frühen Tagen der russischen Invasion in die Ukraine wurde oft über die geopolitischen Ambitionen des Kremls gesprochen: Im Fokus der Berichterstattung standen die Rückgewinnung ehemaliger Sowjetgebiete und die Verteidigung russischsprachiger Bevölkerungsgruppen in der Ostukraine. Beide fielen und fallen hierzulande unter die Kategorie des "russischen Imperialismus", der, wenn nicht gestoppt, auch vor Warschau und Berlin nicht Halt machen würde.

Im weiteren Verlauf des Krieges gerieten aber auch die ökonomischen Interessen Russlands als möglicher Grund für den Einmarsch in den Fokus.

Diese wirtschaftliche Komponente beleuchtete das ZDF etwa Anfang September 2023 unter dem Titel "Bodenschätze in der Ukraine – Krieg auch um Rohstoffe".

Die Ukraine, reich an wertvollen Metallen und Mineralien, könnte für Russland sowohl ein wirtschaftlicher Gewinn als auch ein strategisches Machtmittel sein, so die damalige Einschätzung. Das Magazin Focus ging kurze Zeit später in seiner gewohnt scharfen Beurteilung des Konflikts noch ein Stück weiter und bezeichnete die Ukraine gar als "Schatztruhe", die sich Putin mit seinen Annexionen "unter den Nagel zu reißen" beabsichtige.

Auch die Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) hat noch in einer Analyse vom März 2024 die strategische Bedeutung der ukrainischen Rohstoffe vor dem Hintergrund des russischen Expansionismus’ beschrieben.

Dazu zählte sie nicht nur fossile Rohstoffe wie Erdgas und Kohle, sondern auch Titan (bedeutend für Luft- und Raumfahrt), Eisen und Mangan (Stahlproduktion) sowie das für Kernenergie und Kernwaffen essenzielle Element Uran.

Die "alten Imperialisten" aus Europa

In ihrer Analyse hob die Bundeszentrale außerdem – wie bereits ZDF und Focus zuvor – die "kritischen Rohstoffe" Lithium und seltene Erden hervor. Diese sind nicht nur von größter Bedeutung für die moderne Technologie und Elektronik, sondern auch für die "grüne Transformation" und den Umstieg auf erneuerbare Energieversorgung.

Das ZDF schloss seinen Bericht vom vergangenen Jahr deshalb mit einer bemerkenswert vorausschauenden wie auffällig ambivalenten Bemerkung:

22 der 30 Rohstoffe, die von der EU als kritische Rohstoffe eingestuft sind, schlummern in der Ukraine. Durch Putins Angriff und der Besetzung der Ostukraine ist dieses Rohstofflager für das freie Europa derzeit nicht verfügbar. Das hilft dem ehemaligen KGB-Mann, seine Großmachtfantasien zu realisieren.

Doch Vorsicht, die alten Imperialisten des alten Europas wissen auch ihre Interessen durchzusetzen. Das Liefern von millionenteuren Waffensystemen geschieht nicht nur aus reiner Menschenliebe.

ZDF: Bodenschätze in der Ukraine: Krieg auch um Rohstoffe

Während der russische Imperialismus noch als abstrakte Bedrohung über Europa zu schweben scheint, hat der europäische doch schon konkrete Formen angenommen. Darüber, dass nicht nur US-amerikanische Vermögensverwalter und Banken, sondern auch der deutsche Mittelstand auf die Absatzmärkte im Osten schielt, hatte Telepolis bereits ausführlich berichtet.

Schlüsselpartner für die "grüne Transformation"

Der neuerliche Bericht des ZDF markiert allerdings einen weiteren Schritt in Richtung eines offenen Bekenntnisses zu den wahren Beweggründen hinter den deutschen Milliardenhilfen für die Ukraine. Und zwar in Gestalt von Miriam Kosmehl, Expertin für Osteuropa bei der Bertelsmann Stiftung, die gegenüber dem ZDF zugesteht:

Die Ukraine hat tatsächlich für uns elementar wichtige Rohstoffvorkommen und seltene Mineralien anzubieten.

Die "wachstumsschwache Ökonomie" Deutschlands, die "schleunigst in die Zukunft gehen" müsse, heißt es weiter, könne "vom ukrainischen Reichtum unter der Erde nur profitieren". Die Ukraine sei deshalb "ein Schlüsselpartner Deutschlands und der EU für die Zukunftstechnologien und die 'grüne' Transformationen der Industrien".

Gleichzeitig müsse die Ukraine als Bollwerk gegen eine Rohstoff-Abhängigkeit von China und Russland aufgebaut werden, so Kosmehl. Eine Bertelsmann-Studie vom Mai 2024, die sich mit der "zukünftigen Wettbewerbsfähigkeit der Ukraine" auseinandersetzt, hält denn auch fest:

Die EU hat ein Eigeninteresse am wirtschaftlichen Aufschließen der Ukraine und sollte strategisch führen, wenn es darum geht, deren industrielles Potential zu erschließen.

Bertelsmann-Stiftung

Ob Deutschland in der Ukraine einen wahren Freund – und zwar einen auf Augenhöhe – gefunden hat, wird die Geschichte zeigen. An seinen Interessen dürften mittlerweile aber keine Zweifel mehr bestehen.