Historisch: Über 1.600 Institutionen mit 41 Billionen Dollar ziehen Geld aus Kohle, Gas, Öl
Fossiles Divestment funktioniert. Während Staaten bei der Energiewende versagen, lenken Kampagnen fossile Investitionen um. Über die Geschichte eines Riesenerfolgs.
Mehr als 1.600 Institutionen, darunter Universitäten, Pensionsfonds und Regierungen, die rund 41 Billionen Dollar an Vermögenswerten halten, haben sich inzwischen von fossilen Brennstoffen getrennt, teilte die Global Fossil Fuel Divestment Movement am Freitag mit.
Die Ankündigung erfolgt wenige Tage nach der 28. UN-Klimakonferenz in Dubai, die mit einem Aufruf zum "Übergang weg von fossilen Brennstoffen" endete, sich aber nicht auf den geforderten "Ausstieg" aus Öl, Gas und Kohle einigte, der von Wissenschaftlern, Klimaschützern und Gemeinschaften, die von den Klimafolgen besonders betroffen sind, unterstützt wird.
Forscher auf der ganzen Welt kritisierten die Untätigkeit vor allem der reichen Staaten scharf. Sie sprechen von einem Versagen, einer "Tragödie für den Planeten". "Zweifellos wird es viel Jubel und Schulterklopfen geben", sagte Kevin Anderson, Professor für Energie und Klimawandel an der Universität Manchester, gegenüber Agence France-Presse, "aber die Physik wird sich nicht darum scheren".
In einem in Nature veröffentlichten Leitartikel heißt es, dass die Kohlendioxidemissionen in rund zehn Jahren global komplett gestoppt werden müssten, damit eine 50-prozentige Chance besteht, die Erwärmung bei 1,5 Grad Celsius zu stoppen.
50 Prozent heißt: Es könnte in 50 Prozent der Fälle schiefgehen. Und keiner der Länder orientiert sich auf diese Deadline. Im Moment beinhalten die Klimaziele der Staaten, dass die Erde sich noch in diesem Jahrhundert um drei Grad Celsius aufheizen wird, was ein Desaster für die Menschheit und das Leben auf der Erde bedeuten würde, wie Klimawissenschaftler betonen.
Daher ist die Meldung in Bezug auf die Divestment-Kampagne ein hoffnungsvolles Zeichen. "Diese Zahl ist enorm", sagte Amy Gray, stellvertretende Direktorin von Stand.earth climate finance und Koordinatorin des Climate Safe Pensions Network. Zum Vergleich: 41 Billionen Dollar entsprechen etwas weniger als der Hälfte des globalen Bruttoinlandsprodukts.
Wer in Deutschland betreibt fossiles Divestment?
Die Schweizer Pensionskasse CPEG, der britische Wiltshire Pension Fund und die größte private Pensionskasse in den Niederlanden sind die jüngst beigetretenen Institutionen, die sich der immer weiter voranschreitenden Bewegung anschließen. Allein im Jahr 2023 haben die Church of England, die New York University, die National Academy of Medicine und die Triodos Bank umfangreiche Desinvestitionszusagen gemacht.
In Deutschland haben sich zum Beispiel einige Städte wie Freiburg, Göttingen, Heidelberg oder Münster, das Land Berlin sowie die Bank-Stiftung GLS Treuhand und die Universität von Göttingen von Investitionen in Kohle, Gas und Öl abgewandt.
Laut der Global Fossil Fuel Divestment Database, dem von Stand.earth verwalteten, weltweit umfangreichsten Index für institutionelle Verpflichtungen zum Ausstieg aus fossilen Brennstoffen, erstreckt sich der Ausstieg auf alle Bereiche der Gesellschaft – und nimmt weiter zu.
Dass immer mehr Institutionen sich von Investitionen in Kohle, Öl und Gas verabschieden, ist der Erfolg von Menschen, die sich weltweit seit vielen Jahren dafür eingesetzt haben, in Bewegungen und lokalen Gruppen.
Die Kampagne, die auf "fossiles Divestment" abzielt, wurde 2012 von der Organisation 350.org in den USA gestartet. Wissenschaftler hatten Daten auf den Tisch gelegt, wonach die fossile Brennstoffindustrie weltweit fünfmal mehr Kohlenstoff in Unternehmensreserven führt, als noch gefördert und verbrannt werden durfte.
Der Wert dieser unter der Erde schlummernden Öl-, Gas- und Kohlevorräte, der den Aktienkurs der Konzerne an den Börsen mitbestimmt, liegt bei 27 Billionen Dollar. Es war und ist klar, dass die Unternehmen darauf nicht einfach verzichten werden. Die Kampagne forderte daher Universitäten, Stiftungen, Verbände und Privatpersonen auf, ihr Vermögen aus dem fossilen Geschäft abzuziehen.
Was an einer kleinen Hochschule im US-Bundesstaat Maine mit einer Summe von acht Millionen Dollar begann, steigerte sich in wenigen Jahren auf 1.200 beteiligte Institutionen und rund 60.000 Personen auf der ganzen Welt, die 14 Billionen Dollar an Vermögens- und Anlagewerten repräsentieren.
Funktioniert Divestment?
Studien zeigen, dass andere Investoren die Lücke zwar geschlossen haben, wie nicht anders zu erwarten war. Aber es gehe der Kampagne, so die Organisatoren, wie bei der Isolation des Apartheidregimes in Südafrika in den 1980er-Jahren vor allem um den Imageschaden von stigmatisierten Unternehmen.
Mitinitiator Bill McKibben, Journalist, Umweltforscher und führender Klimaaktivist in den USA, wies darauf hin, dass man nicht auf den wirtschaftlichen, sondern politischen Bankrott abziele sowie darauf, den Einfluss fossiler Unternehmen zu schmälern. Sie sollten zu Außenseitern gemacht werden.
Das ist auch durchaus gelungen. Eine Untersuchung der Oxford Universität kommt sogar zu dem Schluss, dass es fossile Unternehmen aufgrund der Kampagne nun schwerer haben, Mitarbeiter zu finden, politischen Einfluss auszuüben und gelegentlich auch Kapital aufzutreiben.
Außerdem führte die Kampagne zu einer Einbeziehung von Menschen, die sonst kaum erreicht worden wären. Nicht jeder hat eine Pipeline, die durch seinen Hinterhof geht, oder ein Kohlekraftwerk in seiner Nachbarschaft. Aber jeder lebt in der Nähe einer Universität oder Kirche, die auf einem Berg von Geld sitzt, so die Aktivisten der Kampagne.
Die Idee breitete sich mit hoher Geschwindigkeit aus. Die irische Republik machte alle ihre öffentlichen Anlagen und die Stadt New York ihren Pensionsfonds in Höhe von 200 Milliarden Dollar "fossil free", weil Initiativen vor Ort Druck erzeugt hatten.
Finanzierung fossiler Projekte wird schwieriger
Zudem planen nun auch institutionelle Anleger, sich aus dem fossilen Geschäft zurückzuziehen. Die Angst vor einer Kohlenstoffblase nimmt stetig zu, bei der Investments in Öl, Kohle und Gas an Wert verlieren werden, ab dem Zeitpunkt, da die Politik die globale Energiewende einläutet, nicht nur auf dem Papier, sondern in der Realität.
Es gab Höhen und Tiefen in der Kampagne. Aber in den letzten vier, fünf Jahren ist wieder Schwung in die Sache gekommen. In weniger als zwei Jahren stieg die Zahl der Institutionen, die sich von ihren Vermögenswerten trennen, um 120, die zusammen 1,4 Billionen Dollar halten.
Die Bewegungen scheinen auch mehr und mehr direktere Effekte auf die Branche zu haben. Laut Bloomberg sind die "Kapitalkosten" für die Finanzierung neuer Projekte im Bereich der fossilen Brennstoffe in den letzten zehn Jahren steil angestiegen, und zwar von acht bis zehn Prozent auf rund 20 Prozent im Jahr 2021.
Im gleichen Zeitraum sind die Kosten für die Finanzierung erneuerbarer Energien von ebenfalls acht bis zehn Prozent auf drei bis fünf Prozent gesunken.
Will Hares, Analyst bei Bloomberg Intelligence, führt die gegenläufige Entwicklung auf die Förderung der sogenannten "ökologischen und sozialen Governance" (ESG) bei Investitionen zurück.
Ölunternehmen haben es zunehmend schwer, angesichts der zunehmenden ESG- und Nachhaltigkeitsbedenken Finanzmittel zu beschaffen, während die Banken unter dem Druck ihrer eigenen Investoren stehen, die Finanzierung fossiler Brennstoffe zu reduzieren oder einzustellen,
… sagt Hares.
Ohne Abkommen die Energiewende schaffen
Angesichts des erneut enttäuschenden Ergebnisses des Klimagipfels, der Ankündigung von COP28-Präsident Sultan Al Jaber, der auch Vorstandsvorsitzender der staatlichen Öl- und Gasgesellschaft der Vereinigten Arabischen Emirate ADNOC ist, dass sein Unternehmen weiter in Öl investieren werde, der Freigabe von fossilen Bohrungen durch US-Präsident Joe Biden, dem LNG-Boom und der Aussicht auf eine zweite Präsidentschaft von Donald Trumps hoffen Kampagnen, dass man die Welt von fossilen Brennstoffen auch ohne staatliche Gesetzgebungen und internationale Abkommen wegbewegen kann.
In den USA könnte der Bundesstaat Kalifornien in Kürze ein Gesetz verabschieden, bei dem zwei Pensionsfonds keine weiteren fossilen Investitionen tätigen. ZUdem liegt die Hoffnung auf einer Beschleunigung der Energiewende von unten.
In Deutschland zeigt sich zum Beispiel, dass der Ausbau von Solar- und Windenergieanlagen den Anteil erneuerbarer Energien am Stromverbrauch in Deutschland in diesem Jahr erstmals auf über 50 Prozent steigen ließ. Ein Rekordwert, der allerdings nicht ausreichend ist.
Denn man müsste das Tempo des Ausbaus ab jetzt mindestens verdoppeln, um überhaupt das offizielle Klimaziel für 2030 zu erreichen, so das Umweltbundesamt. Allerdings ist dieses Emissionsreduktionsziel der Bundesregierung bei Weitem nicht für das 1,5-Grad-Ziel ausreichend.
Es braucht also einen Turbo-Booster, um Deutschland wie alle reichen Länder auf Klimakurs zu bringen. Die Divestment-Kampagne ist, wie sich zeigt, eines von vielen guten und effektiven Mitteln, um den Umstieg auf Sonne und Wind zu beschleunigen.